Donnerstag, 25. April 2024

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Geschäftsführer des Kinderhilfswerks zu Jugendarbeit
"Kinder und Jugendliche brauchen Ansprechpartner"

Jugendclubs schließen, Freizeitangebote entfallen - viele Kommunen kürzen Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit. Auf der anderen Seite steigen jedoch die Kosten für die Jugendhilfe. Dies sei nicht verwunderlich, wenn man zunächst bei der Prävention spare, sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks im Dlf.

Holger Hofman im Gespräch mit Sarah Zerback | 08.01.2019
    Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand wirft einen Schatten auf eine mit bunten Handabdrücken bemalte Wand einer Kindertagesstätte.
    Immer mehr Familien brauchen Hilfe von den kommunalen Jugendämtern. (Peter Kneffel/dpa )
    Sarah Zerback: Jedes Jahr legt das Statistische Bundesamt Zahlen vor, wieviel Geld den Kommunen die Kinder- und Jugendarbeit wert ist, und jedes Jahr ist das weniger. So wenig wie jetzt gab es tatsächlich noch nie, und das hat Konsequenzen. Mehrere tausend Jugendclubs mussten in den vergangenen Jahren bereits schließen, Abenteuerspielplätze etwa, Zeltlager, kurz all jene Angebote, die gerade für die Kinder und Jugendlichen gedacht sind, deren Eltern sich Freizeitangebote wie diese zum Beispiel nicht selbst leisten können.
    Fragt sich, wie das mit einer anderen Zahl zusammenpasst, denn tatsächlich sind die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt sogar gestiegen. Darüber kann ich jetzt sprechen und auch über die Konsequenzen, und zwar mit Holger Hofmann, dem Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. Guten Morgen, Herr Hofmann!
    Holger Hofmann: Schönen guten Morgen.
    Zerback: Seit Jahren bekommt die Kinder- und Jugendhilfe mehr Geld. Warum müssen trotzdem so viele Jugendclubs schließen?
    Hofmann: Ja, das Geld fließt vor allem in den Ausbau der Kindertagesstätten, auch in den Ausbau der Horte und auch die Pflichtaufgaben, sage ich mal, die Kommunen haben in der Jugendhilfe. Diese sogenannten freiwilligen Aufgaben wie die Kinder- und Jugendarbeit, die werden auch gerne mal hinten angestellt und im Vergleich zu den anderen dann benachteiligt.
    "Dass Ausgaben bei stationären Maßnahmen steigen, ist nicht verwunderlich"
    Zerback: Warum ist denn nur für die Pflicht und die Kür kein Geld da? Warum ist das nicht als Priorität auf dem Schirm?
    Hofmann: Es ist, glaube ich, vielen Fachleuten und auch Politik bewusst, dass sie hier einen Fehler begehen, weil natürlich ist es so: Wenn ich es vernachlässige, in die Prävention zu investieren, dann habe ich hinterher größere Probleme mit den Jugendlichen, die mir dann Schwierigkeiten machen, und habe auch mehr Ausgaben. Dass diese Ausgaben steigen bei den stationären Maßnahmen, das ist nicht verwunderlich, wenn ich vorher auf der anderen Seite bei der Prävention spare. Nur das Verständnis alleine reicht noch nicht aus. Viele Kommunen sehen einen Sparzwang und wissen dann keinen anderen Ausweg, als weiter bei der Kinder- und Jugendarbeit zu kürzen.
    Zerback: Beschreiben Sie uns das doch vielleicht mal. Was genau fehlt da, wenn die Kinder- und Jugendarbeit wegfällt?
    Hofmann: Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche - früher auch, aber heute genauso - Ansprechpartner brauchen über die Schule hinaus, über das Elternhaus hinaus, im öffentlichen Raum, im Jugendhaus. Es geht auch um Freizeitangebote, die aber auch sehr wichtig sind, weil sie Kinder und Jugendlichen Beteiligungsmöglichkeiten vermitteln und weil sie auch ein Teil sind einer, ich sage mal, Demokratiebildung – etwas, was wir ja heute mehr denn je uns wünschen, dass Kinder und Jugendliche früh auch mit demokratischen Erfahrungen in Kontakt kommen und eigene Erfahrungen machen können, miteinander Konflikte zu lösen, aber auch selbstbestimmt Projekte umzusetzen.
    Zerback: Und wenn das jetzt wegfällt im Freizeitbereich und stattdessen, wie Sie sagen, zum Beispiel in den Schulen landet – Kinder und Jugendliche müssen ja eh viel mehr Zeit in der Schule verbringen; das ist ja der Trend -, ist das dann nicht einfach nur die gleiche Aufgabe, aber unter einem neuen Dach?
    Hofmann: Ja, natürlich ist dieser Bereich auch – wir denken an die Schulsozialarbeit – hinzugekommen. Mittlerweile findet die Jugendarbeit nicht nur am Nachmittag statt, sondern auch am Vormittag mit Schulsozialarbeit. Jetzt könnte man vielleicht sagen, na gut, am Nachmittag vielleicht dann umso weniger. Aber nein, wir haben ja an vielen Schulen trotzdem Situationen, dass der Unterricht selbst nur bis zum späten Vormittag geht, in den Nachmittag hinein, und dass dann trotzdem noch freiwillige Angebote sich anschließen. Hier braucht es auch diese kommunalen Angebote, die sich hier andocken.
    Wir müssen ja auch einfach sehen: Für viele Jugendliche ist es so, dass sie sich auch überschulisch hinaus einen Ort wünschen, wo sie agieren können, weil man in der Schule eine bestimmte Rolle einnimmt. Für die einen ist das gut, für die anderen weniger. Für die, für die es weniger gut ist, ist es gut oder schön, wenn es dann auch außerhalb der Schule Angebote gibt, wo sie vielleicht eine neue Rolle einnehmen können, wo sie auch ihren Neigungen, ihren Talenten nachgehen und nicht nur das schulische Wissen sich aneignen.
    "Wir brauchen eine hinausreichende Arbeit"
    Zerback: Jetzt bleiben wir noch mal bei dem Gedanken, es bleibt alles wie es ist, an der Verteilung wird jetzt nichts geändert. Was müsste denn dann passieren, damit Jugendarbeit in Kooperation mit Schule gelingen kann?
    Hofmann: Wir brauchen hier auch in der Jugendarbeit Möglichkeiten einer hinausreichenden Arbeit. Die Situation ist die: Wenn ein Sparzwang oder Spardruck eintritt, dann reduziert sich Jugendarbeit auf Angebote innerhalb der Jugendeinrichtungen. Aber genau das ist eigentlich das, was wir in Anbetracht der zunehmenden Zahl von geflüchteten Kindern nicht gebrauchen können. Wir brauchen eine hinausreichende Arbeit. Wir brauchen natürlich auch eine Jugendarbeit, die an Schule wirkt, über den Stadtteil auch an der Schule wirkt, und das ist etwas, was nur möglich ist mit ausreichendem Personal und auch mit neuem Knowhow. Auch da fließt ja dann kein Geld rein in die Aus- und Fortbildung der Sozialarbeit und der Jugendarbeit.
    "Keine Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für geflüchtete Kinder und Jugendliche"
    Zerback: Stichwort Integration. Die Sozialstruktur in den Kommunen verändert sich durch Zuzug, Einwanderung auch. Wird das genug berücksichtigt?
    Hofmann: Es ist so, dass wir in diesem Feld keine Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für geflüchtete Kinder und Jugendliche haben. Natürlich in den Gemeinschaftsunterkünften gibt es diese, aber die sind nicht unbedingt sozialpädagogisch ausgebildet. Außerhalb ihrer Einrichtung finden sie dann vielleicht, wenn sie dort landen, an der Schule auch entsprechende Angebote. Aber wie gesagt: Einmal ist eine Voraussetzung, dass sie dort überhaupt ankommen und auch bleiben. Das andere ist natürlich auch, dass für sie auch der Stadtteil ein ganz wichtiger Ort ist, an dem sie sich aufhalten, die Gemeinde, die Innenstädte, wo sie dann sich wohl fühlen wollen und auch angenommen sein wollen. Um das ein Stück weit zu ermöglichen und nicht es dazu führen zu lassen, dass die Energie, sage ich mal, dieser Jugendlichen sich negativ äußert, braucht es auch Angebote, und diese Angebote muss Jugendarbeit bereitstellen können.
    "Gemeinschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen"
    Zerback: Herr Hofmann, wer muss da jetzt aktiv werden? Sind es nur die Kommunen, oder muss da auch die Familienministerin heran oder gar der Finanzminister, solange die Töpfe noch voll sind?
    Hofmann: Es ist eine gemeinschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Es wäre jetzt zu einfach zu sagen, die Kommunen müssen hier mehr leisten und müssen ihre Mittel entsprechend umschichten. Viele Kommunen sind hier tatsächlich unter einem hohen Spardruck. Land und Bund müssen hier mit heran. Wir brauchen, glaube ich, ganz konkret einmal ein Sofortprogramm zur Schulsozialarbeit. Das kann der Bund auch leisten. Wir brauchen von den Ländern auch klare Angebote für Kommunen, dass sie auch Strukturen der Jugendarbeit erhalten und ausbauen und es nicht nur alleine den Kommunen überlassen.
    "Angebote ermöglichen, wo Jugendliche selbstbestimmt agieren können"
    Zerback: Wo wir schon beim Thema sind. Wenn Sie nun den Bedeutungsverlust der Kinder- und Jugendarbeit beklagen, haben Sie sich denn auch schon mal ganz selbstkritisch gefragt, ob Sie mit Ihren Angeboten heutzutage Kinder und Jugendliche noch erreichen? Oder könnte man die vielleicht auch noch ein bisschen attraktiver gestalten?
    Hofmann: Es bleibt immer, glaube ich, eine Herausforderung, für Jugendarbeit sich weiterzuentwickeln. Denken wir an das Thema Demokratiebildung. Demokratiebildung ist sicher in vollem Umfang auch in der Jugendarbeit angekommen. Das heißt letztendlich auch Macht abzugeben an Kinder und Jugendliche, ihnen Angebote zu ermöglichen, wo sie auch selbstbestimmt agieren können. Davon hatten wir auch schon mal mehr, muss man sagen. Das nimmt auch ein bisschen ab. Hier braucht es natürlich auch letztendlich wiederum ausreichende Ressourcen. Das hat aber auch dann etwas damit zu tun: Wenn ich eh wenig Personal habe, dann bin ich auch nicht bereit, besondere Dinge zu entwickeln und auszuprobieren.
    Zerback: … sagt Holger Hofmann. Er ist der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. Vielen Dank, Herr Hofmann, für das Gespräch!
    Hofmann: Ich danke ebenso.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.