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Gescheitertes NPD-Verbot
"Ich bin für eine offensive Auseinandersetzung mit AfD und NPD"

Der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, SPD, forderte im DLF eine Debatte mit Parteien wie der NPD oder der AfD, "die uns von extrem rechts versuchen, infrage zu stellen." Auch eine Sperre der öffentlichen Finanzierung hält er für denkbar. Wirkliche Schwierigkeiten könnten "ein paar verrückte Rechtsextreme" jedoch nicht bereiten.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.01.2017
    Klaus von Dohnanyi, SPD, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg.
    Klaus von Dohnanyi, SPD, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg, befürwortet das Urteil das Bundesverfassungsgerichts, die NPD nicht zu verbieten. (imago / Jürgen Heinrich)
    Ann-Kathrin Büüsker: Verfassungsfeindlich ja, aber zu unbedeutend, um tatsächlich etwas ausrichten zu können - das ist sehr plakativ zusammengefasst das Urteil, das das Bundesverfassungsgericht gestern mit Blick auf die NPD gefällt hat. Die Richter betonten zwar, dass die NPD eine gedankliche Nähe zur NSDAP besitzt, aber es fehlt ihr schlichtweg an Möglichkeiten, ihre antidemokratischen Ziele tatsächlich umzusetzen. Deshalb lehnte das Bundesverfassungsgericht den Länderantrag für das Verbot der NPD ab. Damit hat Karlsruhe auch klar die Leitlinien für ein Parteiverbotsverfahren definiert.
    Über diese Entscheidung der Karlsruher Richter möchte ich nun mit Klaus von Dohnanyi sprechen. Der gelernte Jurist war in den 80ern für die SPD Erster Bürgermeister von Hamburg. Guten Morgen, Herr von Dohnanyi!
    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Hätten Sie auch so entschieden wie die Karlsruher Richter?
    von Dohnanyi: Ich habe die Akten ja nicht alle gesehen. Das ist sehr schwer, sich in die Schuhe von Richtern zu stellen, die lange, monatelang Akten und Unterlagen und Argumente studiert haben. Ich glaube, nur in einem weiche ich von dem Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Voßkuhle ab. Die NPD ist ja nicht nur gedanklich wie die NSDAP. Sie ist ja auch in ihrem physischen Verhalten so. Wer die Vor-Nazi-Zeit, die letzten Weimarer Jahre zwischen 1929/30 und 1933 etwas studiert hat, der weiß, dass ein wesentlicher Teil die Anwendung von Gewalt war und im Übrigen wie bei der NPD heute nicht nur gegenüber Fremden, sondern auch gegenüber anders denkenden Deutschen, und das ist bei der NPD ja auch so. Ich würde die Sache etwas breiter ansetzen. Trotzdem kann man sehr wohl zu dem Ergebnis von Herrn Voßkuhle kommen.
    "Es geht um eine offene Debatte"
    Büüsker: Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger, wir haben ihn gerade im O-Ton gehört, der hat gesagt, eine Partei wird erst verboten, wenn sie eine Gefahr ist. Das könnte auch mal zu spät sein. Hat er damit Recht?
    von Dohnanyi: Nein, in diesem Falle wirklich nicht. Da bin ich wiederum ganz bei der Seite des Bundesverfassungsgerichts. Die NPD ist minimal in den Landtagen, sie geht zurück, sie hat kein Geld mehr. Man sollte ihr - das ist eine Anregung von Herrn Voßkuhle - vielleicht die öffentliche Finanzierung sperren, wenn das mit den entsprechenden Mehrheiten im Bundestag möglich ist und im Bundesrat. Aber ich glaube nicht, dass, sage ich mal, wir in einer Phase sind, in der von der NPD diese Gefahr ausgeht. Man muss darauf achten, dass dieser ganze rechte Schwall, der dort kommt, der ja mehr ist als Populismus, der auch Gewalt enthält und wie bei der Pegida zum Teil üble Verleumdungen, die wirklich an die Nazi-Zeit erinnern, wenn man da einen Galgen herumträgt für Frau Merkel und so weiter, das ist wirklich wie 1929/30. Da muss man schon aufpassen. Aber ich denke, im Ganzen hat das Bundesverfassungsgericht Recht. Ich würde dem auch zustimmen. Es geht um eine offene Debatte und es geht um die Frage, wie sieht sich Deutschland selbst, und was diese Leute vertreten ist ja gar nicht Deutschland, ist auch gar kein Interesse von Deutschland, sondern ist eigentlich nur ordinärer Quatsch.
    Büüsker: Sie haben jetzt die Gefahren von Rechtspopulismus angesprochen. Pegida ist ein Beispiel, die AfD wird hier auch immer wieder als ein Beispiel genannt. Wie finden wir denn mit diesen Gedanken, die es ja gibt, einen Umgang in der Demokratie?
    von Dohnanyi: Eine Demokratie, die öffentlich ist, und die freie Debatte. Und diese Debatte muss natürlich da stattfinden, wo die Parteien eventuell schon im Parlament sind, wie das zum Beispiel in Sachsen-Anhalt der Fall ist bei der AfD, und am Ort, wenn die Pegida wieder durch Dresden zieht. Ich meine, da gab es einen jungen Mann, den habe ich mal im Fernsehen gesehen, der diese Debatte versucht hat, auf der Ebene von Vernunft und Argumenten zu führen. Die andere Seite hört natürlich gar nicht zu. Das gehört ja zu diesen Parteien, nicht zuzuhören, sondern nur zu schreien. Aber man kann schon mit der Debatte etwas erreichen. Insgesamt finde ich, dass Deutschland im Ganzen, Bundestag und, ich glaube, alle Parteien sich mehr Klarheit darüber beschaffen müssen, was Deutschland eigentlich ist.
    Unsere Geschichte ist nicht eine Geschichte zentraler Autorität, sondern unsere Geschichte ist eine Geschichte dezentraler Kultur und so ist Deutschland gewesen, bevor, sage ich mal, Napoleon einen ersten Schritt zu einer künstlichen Einheit geschaffen hat. Heute sind wir wieder in einem Zustand, in dem wir sehr wohl in dieser Welt, die so viel Flexibilität verlangt, zurückfallen können auf einen dezentralen Staat, der stark von kulturellen, auch ökonomisch-kulturellen Momenten getragen ist. Ich nenne nur mal zum Beispiel die viele Zahl von Genossenschaften. Das sind Dinge, die Deutschland auszeichnen und mit denen muss man arbeiten, und da haben natürlich diese anderen Parteien überhaupt nichts zu sagen. Zentralismus, Autorität ist nicht der entscheidende Punkt. Jemand - ich sehe das heute in einer englischen Zeitung - hat eine Umfrage gemacht: Wie stark muss ein Führer in den verschiedenen Ländern sein? In Frankreich erwarten 80 Prozent einen starken Führer, in Deutschland nur 20, und Gott sei Dank haben wir eine Bundeskanzlerin, die Autorität hat, nicht indem sie groß prahlt, sondern indem sie tut, was zu tun ist.
    "Sehe nicht das Problem, dass Demokratie gefährdet wird"
    Büüsker: Dennoch ist ja gerade das Vertrauen in die Parteien bei vielen Bürgerinnen und Bürgern gerade sehr gering ausgeprägt und damit auch ein bisschen der Vertrauensverlust der Demokratie. Das kann für uns schon zu einem großen Problem werden.
    von Dohnanyi: Das sehe ich nicht so. Das wird nicht zu einem Problem der Demokratie. Die Parteien - Man muss sehen: Wie wir zum Teil uns organisieren, ist gemessen an den schnellen Veränderungen in der Welt relativ altmodisch vielleicht. Darüber muss man nachdenken. Wir haben auch im Bundestag keine Debatte in bestimmten Fragen, die wirklich streitig ausgetragen werden kann. Ich nehme mal das Flüchtlingsproblem. Da ist ja keine der Parteien im Bundestag zentral anderer Meinung. Das sind Dinge, die man sicher bedenken muss. Aber ich sehe nicht das Problem, dass, sage ich mal, die Demokratie gefährdet wird, dadurch, dass es Vertrauensverlust in die Parteien gibt. Immerhin wählen, ich weiß nicht, 80 Prozent drei große Parteien, die CDU mit 35, fast 37 Prozent, dann kommen die Grünen, dann sind wir schon fast bei 50. Mit der SPD sind wir dann bei fast 70. Wir haben schon eine immer noch sehr starke Zustimmung zu den inzwischen klassischen Parteien der Republik.
    Büüsker: Und trotzdem haben wir viele Bürgerinnen und Bürger, die der Politik nicht mehr zuhören. Sie haben es auch gerade selber gesagt, dass Leute, die für Rechtspopulistisches empfänglich sind, für andere Dinge gar nicht mehr empfänglich sind. Wie finden wir denn mit denen wieder einen Dialog?
    von Dohnanyi: Ja, indem wir über die Dinge, die sind, wirklich diskutieren. Und da hat die Presse und haben die Medien und haben auch das Radio und das Fernsehen …
    Büüsker: Und die Politik!
    von Dohnanyi: Ja, die Politik versucht ja ihren Teil. Man muss dann auch erkennen, wo die Politik ihren Teil tut.
    Büüsker: Sie haben aber selber gerade gesagt, dass im Parlament nicht mehr allzu viel Debatte stattfindet.
    von Dohnanyi: Ja, das ist richtig. Ich habe von dem Flüchtlingsproblem gesprochen. Da sind nun mal die im Parlament vertretenen Parteien im Kern einer Meinung. Das ist ein gewisses Problem, weil natürlich es einen gewissen Prozentsatz gibt in der Bundesrepublik, die da ganz anderer Meinung sind. Da fehlt eine solche Debatte, das ist ein Problem und das liegt natürlich an der Struktur, mit der wir gegenwärtig regieren, regieren müssen auch. Aber es ist nicht so, dass im Bundestag sonst keine Debatten stattfinden. Ich finde, wir dürfen uns auch nicht selber herunterreden. Wir sind stabil, wir haben eine starke internationale Stellung und vielleicht müssen wir manchmal einige Dinge auch gegenüber dieser AfD oder wer auch immer sich da bewegt noch etwas deutlicher und klarer ausdrücken.
    Ich glaube, wir müssen unser Deutschland so verstehen und so sehen, wie es das ist: ökonomisch stark, dezentral mit sehr vielen Bürgerinitiativen, mit sehr viel Gemeinsamkeiten, die wir zu verteidigen haben. Ich finde, wenn wir unsere Sparkassen in der EU, also in Brüssel verteidigen, dann hat das auch etwas zu tun mit dem Bild von Deutschland, denn das ist das dezentrale, sozusagen ortsnahe Deutschland, was sich in den Sparkassen ausdrückt. Wenn andere nur mit Großbanken arbeiten, sollen die das tun, aber wir nicht, und dass wir das offen verteidigen, das halte ich für bedeutsam und dazu auch die Argumente bringen, warum wir das tun. Ich denke, wir haben im Grunde genommen eine Lage in Deutschland, in der wir durchaus hoffnungsvoll sein können, und ich bin für eine offensive Auseinandersetzung mit diesen Leuten, die in der AfD oder auch bei der NPD oder wo auch immer uns von extrem rechts - das ist ja bei der AfD nicht überall so -, uns von extrem rechts versuchen, sozusagen in Frage zu stellen.
    "Es gibt immer Verrückte in jedem Land"
    Büüsker: Und Sie glauben, dass, wenn wir die Vorzüge unseres Systems betonen, wir auch jene bekommen, die vielleicht zu rechtsextremen Tendenzen neigen?
    von Dohnanyi: Wahrscheinlich nicht. Aber es gibt immer Verrückte und das gibt es in jedem Land und mit denen muss man auch sich auseinandersetzen und leben, und wenn sie die demokratischen Rechte anderer verletzen, muss man sie vor Gericht ziehen und sie auch verurteilen. Das ist ein Problem, dass in Ostdeutschland es NPD-Bereiche gibt, in denen die NPD versucht, die Region zu beherrschen oder den Ort zu beherrschen, und da muss natürlich mit Polizei und wirklich mit Kraft durchgegriffen werden, weil das darf man nicht dulden. Und wenn da die Polizei fehlt, muss man sie dafür zusammenstellen. Aber wir brauchen nicht Sorge zu haben, dass uns ein paar verrückte Rechtsextreme, die es überall in der Welt gibt, wirkliche Schwierigkeiten bereiten werden.
    Büüsker: … sagt Klaus von Dohnanyi. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    von Dohnanyi: Vielen Dank, Frau Büüsker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.