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Geschenkt
Vom Geben und Nehmen

Diamantring, Laubsägearbeit, Socken: Unter dem Weihnachtsbaum finden sich auch in diesem Jahr wieder mehr oder weniger ausgefallene Präsente. Doch was macht das perfekte Geschenk aus? Psychologen und Hirnforscher, Anthropologen und Ökonomen finden ganz unterschiedliche Erklärungen.

Von Volkart Wildermuth | 24.12.2014
Weihnachtsgeschenke
Gaben unterm Weihnachtsbaum: Forscher fragen nach dem Wie und Warum. (picture alliance / dpa / Malte Christians)
"Eigentlich war die Überraschung immer das Schönste, das ganz Geheimnisvolle. Das Weihnachtszimmer, das verschlossen war und dieses Ganze, das war eigentlich das Schönste."
"Das Geschenk, das ich auf den Tisch lege, erzwingt immer das Gegengeschenk. Ich gebe um der Gabe willen nur eine reine Gabe - ich glaube, dass lässt sich in der heutigen Zeit nicht halten."
Geschenkt. Vom Geben und Nehmen. Eine Sendung von Volkart Wildermuth
"Mein Mofa. Ich fand es sehr cool, es war schon getankt. Das heißt, ich konnte mich sofort draufsetzen, als es kam, und losfahren und das war sehr schön."
"Und das ist das Zentrale, ich möchte sogar sagen das zentrale Wirtschaftsmotiv der Konsumgüterindustrie."
"Und das Tolle war auch, da das gar nicht an Weihnachten kam, sondern zwei Tage später ganz überraschend und ich gedacht hab, wer eine Knautschlacktasche hat, der ist wirklich groß."
Alle Jahre wieder kommt die Weihnachtszeit - und damit die Frage: Wem schenken, warum schenken? Und vor allem was schenken?
Da gibt es die Systematiker, die schon seit Monaten akribisch ausbalancierte Listen vorbereiten, die Spontanen, die nach dem eigenen Bauchgefühl für andere wählen, die Spätzünder, die gerade erst nach Hause gerannt sind und gar nicht mehr sicher sind, was da genau in den Taschen liegt. Es gibt die Verweigerer: "Dieses Jahr gibt es aber wirklich gar nichts" und die Übergroßzügigen, die immer noch und noch ein Päckchen hervorzaubern. Es gibt Selberbastler, Internetbesteller und Kreativ-Verpacker.
Ein Mann mit beiden Händen voller Einkaufstüten geht kurz vor Weihnachten 2012 durch die Münchner Innenstadt.
Ein Mann mit Einkaufstüten (dpa / picture alliance / Frank Leonhardt)
Und dann gibt es Weihnachtsnerds, die von der Wissenschaft wissen wollen, wem, warum und was sie schenken. Auf diesem Gebiet gibt es fast so viele Antworten, wie sich Disziplinen mit dem Schenken beschäftigen. Und nur eine dieser Antworten steht wirklich fest:
"Der Soziologe sagt: Schenken passiert. In der Tat machen es alle."
So sicher, wie das Glöckchen zum Päckchenauspacken ruft, so sicher verkündet die Gesellschaft für Konsumforschung alljährlich die Fakten rund ums Weihnachtsgeschäft. Und die lauten: 90 Prozent der Deutschen kaufen diese Jahr Weihnachtsgeschenke und investieren 288 Euro für ihre Lieben. Das summiert sich zu 15,2 Milliarden Euro. Wieder einmal mehr als letztes Jahr und im Jahr davor und dem davor. Bücher sind mit Abstand das beliebteste Geschenk. Dann folgen Spielzeug, Kleider und Kosmetik, Bargeld und Gutscheine. Rund ein Fünftel der Präsente werden online erworben. Über den größten Umsatz dürfen sich Elektronikmärkte freuen, besonders für Smartphones und Tablet fließt viel Geld. Traditionelles wie Laubsägearbeiten, Selbstgestricktes oder Kinderzeichnungen erfassen die Meinungsforscher allerdings gar nicht erst.
"Die Familie oder Laserschwert von Star Wars. Weil, man damit kämpfen konnte, mit 'nem Holzschwert tut man sich immer weh. Da sind im Moment nur zwei Neons das sind eigentlich Schwarmfische, deshalb wünsche ich mir jetzt von einem Freund auch neue Fische. Das sind Schmollys, die sind ganz schwarz, manche sind richtig dunkelblau."
Wo liegt der Anfang des Schenkens? Sicher nicht beim Christkind. Das ist letztlich eine Erfindung Marin Luthers, um dem katholischen Nikolaus etwas entgegenzusetzen.
Das Schenken beginnt mit den Göttern, mit den Geistern. Davon ist zum Beispiel Corrine Hunt überzeugt, eine Designerin und Mitglied der Kwakwaka`wakw, aus dem Nordwesten Kanadas. Diese First Nation feiert den Potlatsch, ein prächtiges Geschenkfest, bei dem geschnitzte Tiermasken eine große Rolle spielen.
"Die Masken haben ihre eigene Seele und diese Seele ist in uns, wenn wir potlatschen."
Brautwerbeverhalten als Ursprung des Schenkens
Seit Generationen werden die geschnitzten, bunt bemalten Masken vererbt. Beim Potlatsch werden sie zum Leben erweckt. Die Gemeinschaft wird in den Tänzen gefestigt - und in den Geschenken, die der Gastgeber freigiebig verteilt. Der Teil mit den Geistern ist dem Berliner Psychologen Friedrich Rost fremd. Aber die soziale Bindekraft von Geschenken hat ihn schon in seiner Doktorarbeit "Theorien des Schenkens" beschäftig. Für Rost reichen die Wurzeln weit zurück in der Evolution.
"Es ist also sozusagen eine Art Werbegeschenk, dass sich beispielsweise Pinguine oder andere Vögel darauf einlassen, ein Verhältnis einzugehen, aus dem dann auch dementsprechende Nachkommen gezeugt werden. Das heißt, der Ursprung ist sicherlich das Brautwerbe- und auch das Brutpflegeverhalten."
Auch die Kwakwaka`wakw glauben an eine enge Bindung zwischen Tier und Mensch. Hier gibt es durchaus Parallelen zu einer evolutionären Sichtweise. Belege für diese ganz tiefe Geschichte des Schenkens kommen von einem der modernsten Forschungszweige, den Neurowissenschaften. Was das Gehirn zu Weihnachten betrifft ist die Studienlage mager. Es gibt aber eine ganze Reihe von Experimenten aus der Neuroökonomie, die sich mit dem Geben und Nehmen beschäftigen, mit Altruismus, Betrügen und Kooperation. Da sich große Präsente nur schlecht im Hirnscanner überreichen lassen, geht es bei den Studien meist um Geld. Ein Beispiel sind die Arbeiten von Jordan Grafman, einem Hirnforscher vom Institut für Rehabilitation in Chicago.
Eine MRT-Aufnahme eines Gehirns
Was das Gehirn zu Weihnachten betrifft ist die Studienlage mager. (ESA)
Die Versuchspersonen hatten 128 Dollar zur Verfügung, und zwar echtes Geld. Was am Ende des Versuchs übrig war, wurde von den Forschern ausgezahlt. Auf einem Bildschirm tauchten nacheinander eine ganz Reihe von Hilfsorganisationen auf, etwa zur Unterstützung alleinerziehender Mütter oder Essensaugaben für Obdachlose. Die Studenten im Scanner konnten per Knopfdruck von ihrem Geld spenden, sie durften Spenden von anderen freischalten oder blockieren, und manchmal klingelte zur Kontrolle auch bei ihnen selbst die Kasse. Immer unter dem wachsamen Blick des Hirnscanners.
"Wenn die Leute Geld bekommen, reagieren Regionen tief im Gehirn wie der Area tegmentalis ventralis, das Striatum und der Nucleus accumbens. Diese Regionen sind auch mit dem Stirnhirn verbunden. Wir nennen das alles Belohnungssystem, um es einfach zu machen. "
"Wer etwas gibt, belohnt sich sozusagen selbst"
Geld führt zur Ausschüttung von Dopamin im Belohnungssystem, genau wie Essen, Sex und Drogen. Deshalb fühlen sich all diese Dinge, ein leckeres Steak, ein Kuss, eine Zigarette und eben auch ein unerwarteter Gewinn so gut an. Soweit keine Überraschung. Spannend wurde es, als sich Jordan Grafman das Gehirn beim Spenden ansah, wenn die Probanden sich also freiwillig von Geld trennten. Ein Verhalten, das traditionellen Ökonomen schlicht unverständlich ist und das eigentlich schlechte Laune machen sollte.
"Da war das Belohnungssystem sogar noch aktiver! Das hat uns ziemlich überrascht. Wer etwas gibt, belohnt sich sozusagen selbst. "
Sex and Drugs und andere beschenken setzen Dopamin frei, so entsteht wohl das, was die Engländer den "warm glow" beim Schenken nennen.
"Das ist bemerkenswert. Unsere Befunde zeigen: Der Altruismus nutzt oder übernimmt das Belohnungssystem. Deshalb fühlt sich Schenken nicht nur gut an, das Verhalten wird auch verstärkt. Man macht es gerne wieder."
Über diese Koppelung an das Belohnungssystem hat die Evolution die menschliche Großzügigkeit gestärkt, vermutet Jordan Grafman. Und das heißt auch, es gab einen entsprechenden Selektionsdruck. Schenken war offenbar für den Zusammenhalt menschlicher Gemeinschaften wichtig. Kleine Geschenke dürften schon sehr, sehr lange die Freundschaft erhalten haben.
"Das sind keine großen Geschenke, das sind manchmal Bohnen, das sind manchmal wirklich kleine Präsente, also mal wirklich ein preiswertes Buch, das muss nicht ein teures Kochbuch sein. Viele Geschenke, die man auspacken kann, über den Baum legen kann, mit denen wir feiern, einfach Freude zu machen."
"Das Besondere an dem, was wir heute schenken nennen, ist ja, dass Leute so viel übrig haben, dass sie gezielt Personen aus dem Nahbereich oder auch als Gäste andere beschenken. Und das ist eine Erfindung des Adels. Ganz eindeutig."
Der Adel kann per Definition die Arbeitskraft vieler ausnutzen, so Friedrich Rost. Die Bessergestellten feierten den eignen Reichtum schon immer in prächtigen Geschenken. Wer bei einem griechischen Fürsten zu Gast war, durfte nach dem Gelage oft den goldenen Trinkbecher mitnehmen.
Rost: "Das hatte aber immer auch verpflichtenden Charakter. Es war nicht so, dass die Gaben frei waren, sondern im Grunde genommen mussten dann die Gäste natürlich auch sozusagen bündnistreu bleiben."
Hier zeigen sich schon die verborgenen Wiederhaken von eben nicht so selbstlosen Gaben. Die üppigen Geschenke festigten also den Status Quo – bei Europas Adeligen aber auch bei den Kwakwaka'wakw. Deren Geschenkfeste sind berühmt
"Wenn ich durch die Tür zu einem Potlatsch komme und das Feuer knistern und die Trommeln schlagen höre, dann bin ich zu Hause."
Mitten in einem großen Blockhaus lodert das Feuer, an den Wänden die großen Holzmasken, es ist heiß und laut. Im Raum drängen sich die Gäste, bis zu 800 Personen sind der Einladung eines Mannes, einer Frau oder einer Familie zum Potlatsch gefolgt. Zu Beginn erscheinen die Trauermasken und die Gemeinschaft gedenkt der kürzlich Verstorbenen. Dann beginnen die Maskentänze. Wer hier Wolf, Vogel, oder Geist repräsentieren darf, ist durch die Hierarchien streng geregnet. Am Ende der drei Tage erscheint eine besondere Maske, sie repräsentiert den Geist der Gaben und der Gastgeber oder die Gastgeberinn überreicht eine Flut von Geschenken.
"Es ist also nicht einfach ein krudes Überreichen von Geschenken."
Claus Deimel, bis zu seinem Ruhestand in der Generaldirektion der Kunstsammlung Dresden, hat zweimal an einem Potlatsch teilgenommen. Die Gaben sind eingebunden in eine mythische Zeremonie, die die Gemeinschaft zusammenhält. Die Geschenke am Ende sind vielfältig, reichen von Hunderten von Plastikeimern bis hin zum traditionellen Öl.
"Es wird ein Öl aus einem Fisch hergestellt, das sehr lange haltbar ist, das sehr nahrhaft ist und auch als Heilmittel verwendet wird. Und das ist also eine sehr traditionelle Gabe. Profanere Gaben sind Haushaltsgeräte: eine Nähmaschine, Radios, Fernseher oder auch Geldmengen. Im Durchschnitt sind es Werte, wenn man das jetzt in Euro rechnen würde, von 10.000 bis 60.000, 80.000 Euro die auf so einem Geschenkfest verteilt werden."
Dafür wird lange gespart. Bei den Kwakwaka'wakw ist ein mächtiger Mensch nicht, wer viel hat, sondern wer viel gibt. Manchmal den gesamten Besitz. Beim nächsten Potlatsch gibt es dann wieder etwas zurück.
"Aber das wichtigste für diese Leute ist, dass sie einen gesellschaftlichen Status dadurch erhalten. Dass sie einen Namen haben, oftmals werden Namen verliehen, es ist also wie eine Art Taufzeremonie, gesellschaftliche Taufzeremonie. Es sind also gesellschaftliche Titel, zunächst der normale Name, und dann bekommt man Häuptlingstitel, Adelstitel und je mehr Potlatsche ein Kwakwaka`wakw geben kann, desto angesehener ist er."
Der Potlatsch war auch ein Mittel der Kommunikation mit Nachbarvölkern. Gaben schaffen Bindungen, mit wem man sich nichts schenkte, den bekriegte man. Das System Potlatsch geriet mit der Ankunft der Europäer aus dem Gleichgewicht, die Völker im Nordwesten Kanadas wurden durch den Handel reich und versuchten sich in Geschenken zu übertreffen - bis zum Ruin. Die Missionare setzten 1885 ein Verbot des Potlatsch durch. Erst seit den 1950ern dürfen die Kwakwaka'wakw ihre Geschenkfeste wieder feiern.
"Ich möchte, dass die Leute verstehen, wie es ist, in einer Gemeinschaft zu leben, die nicht nur materielle Geschenke teilt, sondern auch Zeit und Energie. So entsteht Spiritualität, die Musik belebt dich und lässt dich spüren: Du bist Teil von etwas wunderbarem. "
Auch europäische Gesellschaften kennen eine totale wirtschaftliche Verausgabung, bei Feiern, etwa bei großen Hochzeiten oder dem Fest des Schützenkönigs. Dem Ethnologen Claude Levi-Strauss galt sogar die Geschenkeflut zu Weihnachten als christliches Pendant zum Potlatsch. Claus Deimel sieht aber wichtige Unterschiede.
"Der Potlatsch ist etwas Öffentliches. Das Besondere ist, dass dieses Geschenk-Geben sehr stark gesellschaftlich geregelt wird. Es wird also kontrolliert, was man macht. Bei uns ist es aber so, dass es sehr individuell ist. Jede Familie hat ihre eigenen Riten, jede Familie hat ihre eigenen finanziellen Möglichkeiten. Es geschieht mehr im Privaten."
Im privaten Raum aber doch nach gesellschaftlichen Regeln, betont der Soziologe Holger Schweiger aus Erlangen. Auch er hat ein Buch zum Thema geschrieben. Titel schlicht: "Schenken".
"Warum bricht die Kette von Schenken und Gegenschenken nicht ab? Weil es ein kommunikativer Prozess wie bei Rede und Gegenrede ist."
Deshalb sind Geschenke außerhalb von etablierten Beziehungen auch etwas Zweischneidiges. Werbegeschenke zum Beispiel begründen zumindest unbewusst eine Verpflichtung. Das zeigt eine Vielzahl psychologischer Studien, so Friedrich Rost.
"Das führt dazu, dass zumindest bei Erwachsenen eben erst mal doch eine gewisse Skepsis vorliegt, was will der von mir? Wenn ich daran denke, wie nach der Wende wirklich die CDU mit Bananen Stimmen geworben hat, das war schon wirklich ganz außergewöhnlich, dass dieser Trick damals zumindest wirkte."
Schenken ist eben doch nicht so ganz selbstlos, wie es zunächst den Anschein hat. Eine Studie aus Norwegen hat ergeben, dass Männer ihren Müttern weniger schenken, sobald sie eine feste Freundin haben. Die Beziehung zur Mutter hat an Bedeutung verloren, entsprechend wird weniger in sie investiert.
"Also die Komponente des Altruismus würde ich ehrlich gesagt vor dem sozial kommunikativen Ansatz her nicht sehen. Mit dem Geschenk, das ich auf den Tisch lege, in Anführungszeichen also diese Materialität des Geschenks erzwingt immer eine Antwort, erzwingt immer eine Gegenreaktion, erzwingt immer das Gegengeschenk. Es liegt etwas vor mir, ein Gegenstand, der mich permanent daran erinnert, es ist noch etwas offen, ich muss zurückgeben. Und diese Last auf der Seite des dann Beschenkten, ja, ist dann oftmals vielleicht nicht sehr positiv empfunden",
meint Holger Schwaiger. Wobei das erste Gegengeschenk die Freude über das Präsent ist und der Dank. Zusätzlich sorgen gerade am Weihnachtsabend die gesellschaftlichen Normen dafür, dass alle etwas auf den Gabentisch legen und die Geschenkeschuld direkt ausgeglichen wird. Diese Normen bergen aber ihre eigenen Probleme. Soll ein Geschenk zum Beispiel möglichst kreativ sein, oder soll man sich an den Wunschzettel halten?
"Mit den Kindern haben wir natürlich immer traditionell auf Wunschzettel geachtet und meistens so eine Mischung gefahren zwischen die Wünsche erfüllen aber natürlich auch was Überraschendes, was Schönes. Man muss es in vernünftigen Grenzen halten, aber wenn man das tut, dann kriegt man meistens auch einige oder alle der Sachen, die man sich gewünscht hat. Bei mir gab es mal eine große Enttäuschung, weil ich war ganz sicher, dass ich wusste, was in dem einen Geschenk drin ist, und habe mir es deshalb bis ganz zum Ende aufgehoben, damit ich es als letztes auspacken kann. Ich war mir ganz sicher, das darin ein E-Book ist, was ich mir gewünscht hatte, und dann habe ich es ausgepackt und es war kein E-Book, es war eine Kamera."
Eine Hand überreicht einer anderen Geldscheine.
Geld - ein heikles Geschenk (picture alliance / dpa / Josef Horazny)
Francis Flynn von der Stanford Universität hat 90 Studenten aufgefordert, einen Wunschzettel bei Amazon anzulegen. Später durften sie dann für einen anderen Versuchsteilnehmer entweder selbst ein passendes Geschenk auswählen oder eines von dessen Wunschliste bestellen. Damit das Forschungsbudget nicht gesprengt würde, sollten alle Geschenke nicht mehr als 30 Dollar kosten. Ergebnis: der Wunschzettel hat für Schenker und Beschenkte eine ganz andere Bedeutung.
"Wer schenkt glaubt, dass ein individuelles Präsent bedeutungsvoller ist als eines vom Wunschzettel. Die Beschenkten freuen sich aber mehr über Präsente von der Liste, weil da ihre Wünsche respektiert wurden."
Die Psychologin Gabrielle Adams von der London Business School hat bei vielen Studien mit Francis Flynn zusammengearbeitet.
"Es macht vielleicht Spaß, nach dem passenden Geschenk zu suchen. Aber die Daten zeigen, wenn wir eine Freude machen wollen, dann können wir ruhig auf Wunschzettel oder Hochzeitslisten zurückgreifen. Man muss nicht immer einzigartig sein und die perfekte Gabe finden."
Übrigens: am besten für beide Seiten sind kurze Wunschzettel. Und: Geld ist ein heikles Geschenk.
Forscher aus Bath in England haben 92 Studenten in der Weihnachtszeit Tagebuch über ihre Geschenkebilanz führen lassen. Die Studenten freuten sich eindeutig auch über Geld, aber nur, wenn es von entfernten Verwandten kam. Innerhalb der Familie oder vom eigenen Freund, der eigenen Freundin, wird Geld als zu unpersönlich und daher unbefriedigend wahrgenommen.
"Geldgeschenke - und es ist immer eine Frage - Gutscheingeschenke, sind das noch richtige Geschenke? Ich würde es allenfalls als Sonderformen von Geschenken bezeichnen."
Geld- und Gutscheingeschenke liegen eindeutig im Trend, aber das Unbehagen verspürt offenbar nicht nur der Soziologe Holger Schwaiger.
"Geld wird, man sieht es oft paradoxerweise, kunstvoll verpackt. Warum wird es getan? Dadurch soll die wahre Identität, also der ökonomische Wert des Geldes soll in den Hintergrund geschoben werden. Das soll verschleiert werden."
"Money can't buy you love", die Beatles-Zeile ist auch der Titel einer weiteren Studie des Teams Gabrielle Adams, Franics Flynn. Die beiden Psychologen wollten herausfinden, welche Bedeutung der Preis für den Schenker und den Beschenkten spielt. Oder die Beschenkte. Bei einer Umfrage unter heterosexuellen Paaren auf einer Hochzeitswebseite stellte sich heraus: Der Wert eines Verlobungsrings wird von Mann und Frau unterschiedlich betrachtet. Die Männer waren sich sicher: Je mehr ich investiere, desto mehr wird sie den Ring schätzen. Doch die künftigen Bräute schauten gar nicht so sehr auf das Preisschild. Weitere Untersuchungen legen nahe, dass der Wert eines Geschenks nicht in Dollar gemessen wird. Wichtiger ist, ob die Beschenkten den Eindruck haben, hier hat jemand sich Gedanken gemacht.
"Meine Studien zeigen, die Leute neigen dazu, zu Weihnachten zu viel Geld auszugeben. Ob ein Geschenk gefällt oder nicht, hängt kaum vom Preis ab", so Gabrielle Adams. Wichtig ist auch, sich zu beschränken. Das ist das Paradox des Schenkens.
Entdeckt wurde es von Konsumforschern aus Virginia. Sie baten Versuchspersonen sich vorzustellen sie würden einen iPod verschenken, entweder alleine oder zusammen mit einem Gutschein für einen Song. Andere sollten sich vorstellen, die Geschenke zu erhalten. Die Schenker hielten die Kombination iPod plus Song für attraktiver. Bei den Beschenkten war es genau umgekehrt. Sie schienen unbewusst Bilanz zu ziehen, hier der teure iPod, da der billige Song, im Durchschnitt ist das allenfalls ein mittelmäßiges Präsent. Und das, obwohl sie objektiv mehr erhalten hatten!
Konsumforscher interessieren sich naturgemäß für den Wert eines Geschenks. Psychologen achten mehr auf die Botschaft, die damit ausgedrückt wird. Dabei gibt es auffallende Geschlechterunterschiede.
Die Kanadierin Elisabeth Dunn erzählte Männern und Frauen, ihr Partner würde ihnen einen Gutschein schenken. War der für das jeweilige Lieblingsgeschäft, war die Zufriedenheit groß. Gab es den angeblichen Gutschein aber für einen Laden, den der Versuchsteilnehmer nicht besonders schätzte, dann waren Männer messbar verstimmt. Frauen dagegen sahen über den Missgriff hinweg. Die Psychologin vermutet, dass sie ihre Beziehung durch eine negative Reaktion nicht noch mehr belasten wollten.
Unterm Strich zeigt sich: Die Schenker wissen oft nicht, was die Beschenkten wirklich wollen. Und das, obwohl sich jeder Mensch häufig in beiden Rollen wiederfindet.
"Es gibt eine Reihe von Erklärungen, warum wir uns mit dem Schenken so schwer tun. Wir haben vor allem Probleme mit dem Perspektivwechsel, uns einzufühlen in das, was dem Beschenken wirklich Freude macht. Offenbar übertragen wir das, was wir in der einen Rolle erleben, nicht auf die andere Rolle."
Es fällt Menschen generell nicht leicht, spontan eine andere Perspektive einzunehmen. Es gelingt aber besser, wenn man sich des Problems bewusst ist und gezielt versucht, nicht zu fragen, "Was gefällt mir?", sondern "Was würde meinem Großvater, meiner Geschäftspartnerin oder meinem Mann gefallen?", meint Gabriele Adams.
"Das sind gute Nachrichten für Weihnachten. Unsere Forschung belegt: Man muss gar nicht so viel ausgeben. Es kommt auf die persönliche Note an, die Erinnerungen und Gedanken hinter dem Geschenk. Und wenn es dann doch nicht gefällt, ist es nicht so anstößig, die Sache weiterzugeben."
Auch hier zeigt sich: Geschenke sind zu allererst Kommunikation. Das spiegelt sich im Übrigen auch im Gehirn wieder. Beim Spenden, also dem Verschenken von Geld, sorgt nicht nur die Aktivierung des Belohnungssystems für ein warmes Gefühl, hat Jordan Grafman festgestellt.
"Daneben reagieren auch Zentren tief im Frontalhirn. Die sind aktiv, wenn wir uns anderen nahe fühlen, wenn etwa eine Mutter an ihr Baby denkt. Die gleichen Regionen sind auch beim Spenden beteiligt. Eine Spende ist also nicht nur an sich schon belohnend, sie führt auch zu einem Gefühl der Verbundenheit, hier nicht mit einer Person, sondern einer Organisation."
Die betroffenen Regionen sind übrigens genau die, in denen auch das Bindungshormon Oxytocin seine Wirkung entfaltet. Studien von anderen Hirnforschern zeigen: Menschen, deren Gehirn eine größere Aktivierung beim Spenden zeigt, spenden auch häufiger, zumindest im Labor. Ganz besonders die Spitze des Frontalhirn scheint für die Spendenbereitschaft wichtig zu sein.
"Diese Hirnregion ist beim Menschen am weitesten entwickelt. Also dieses finanzielle Opfer für die Gemeinschaft ist etwas typisch Menschliches und es ist deshalb nicht überraschend, dass hier diese am meisten entwickelte Region des Gehirns eine Rolle spielt."
Wer mehr gibt, ist positiver gestimmt
Ein bisschen Oxytocin mehr, eine höhere Aktivierung eines sozialen Hirnzentrums fasziniert Neurowissenschaftler. Entscheidend ist aber, ob diese Veränderungen auch spürbar sind. Vergangenes Jahr hat eine groß angelegte psychologische Studie tatsächlich bestätigt, dass Schenken und Spenden auch zum emotionalen Wohlbefinden beitragen. Dazu wurden 200.000 Menschen aus 136 Staaten gefragt, wie viel sie in letzter Zeit gespendet hätten, und wie sie sich fühlten. Es zeigte sich ein klarer Zusammenhang: Wer mehr gibt, ist positiver gestimmt. Das bestätigte sich in einem weiteren Experiment, bei dem die Probanden entweder für sich oder für andere einkaufen sollten. Auch hier erhöhte die soziale Tat das Wohlbefinden und das in reichen Ländern wie den USA oder Kanada ebenso wie in Uganda, Indien oder Südafrika.
"Also als Kind habe ich mal von meiner Patentante ganz unerwartet eine Knautschlacktasche bekommen, da war ich höchstens acht oder neun. Also ich fühlte mich unglaublich erwachsen. Wir Erwachsenen schenken uns jetzt nichts mehr."
Unterm Strich sagen die verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft: Schenken ist unvermeidlich. Unterschiedliche Kulturen finden ganz verschiedene Wege, diese materielle Form der Kommunikation zu organisieren. Schenken tut gut und es ist oft einfacher als gedacht, das passende Präsent zu finden, wenn man sich die Mühe macht, die Welt aus den Augen der anderen zu betrachten. Nun ist schon Nachmittag an diesem 24. Dezember, die Geschäfte haben geschlossen, für Bastelarbeiten ist es zu spät. Aber die Wissenschaft hat noch einen letzten Tipp, damit es dieses Jahr fröhlicheWeihnachten werden.
Ein verpacktes Geschenk wird messbar mehr geschätzt, das zeigt eine lange Reihe von Studien aus der Marktforschung. Deshalb lohnt der Aufwand mit buntem Papier und Schleife. Und wer nicht vorgesorgt hat: Selbst Packpapier ist besser als gar nichts. Die Gründe sind übrigens umstritten. Forscher aus den USA neigen zu der Ansicht, die Verpackung wird geschätzt, weil sie zeigt, dass der Schenker in die Beziehung investiert. Australische Experten glauben schlicht, dass schon Kinder lernen, dass Geschenke und Verpackung und fröhliche Feste einfach zusammen gehören. Fehlt die Schleife, fehlt die Freude.
"Also, es ist nie zu spät zu schenken und besser zu schenken, sagt die Wissenschaft!"
Schwaiger: "Kommunikation funktioniert an jedem Tag, nicht nur an Weihnachten oder Geburtstagen."
"Das schönste Geschenk war eigentlich, wenn sich jemand, dem wir was gekauft haben, sich da irrsinnig drüber freut und es eigentlich gar nicht erwartet hat, dass es das Geschenk ist. Das ist die größte Freude eigentlich."
Geschenkt. Vom Geben und Nehmen
Von Volkart Wildermuth
Regie und Technik: Frank Merfort
Redaktion: Christiane Knoll