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Geschichte
Gott ist Luft

Ein alter Mann mit Rauschebart und weißem Haar – dieses Gottesbild gilt spätestens seit Sigmund Freud und Ludwig Feuerbach als kindisch. Doch es war ein langer Weg bis zur Entmaterialisierung des Höchsten: Der Kirchenhistoriker Christoph Markschies zeichnet in seinem neuen Buch antike christliche, jüdische und "heidnische" Gottesvorstellungen nach. Manches davon wirkt bis heute.

Von Gisela Keuerleber | 08.06.2016
    Der antimaterialistischen Tradition zum Trotz: Gott ein alter Mann mit Bart.
    Der antimaterialistischen Tradition zum Trotz: Gott - ein alter Mann mit Bart. (picture-alliance/ dpa / Steffen Kugler)
    Schauplatz Ägypten, eine Mönchsansiedlung um 400 nach Christus. Der aus Kappadokien stammende Mönch Photin besucht einen alten Einsiedler namens Serapion und macht ihm klar, Gott sei unbegreiflich, unermesslich und unsichtbar. Da bricht der fromme Alte in Tränen aus und ruft verzweifelt:"Weh mir Unglücklichem! Sie haben mir meinen Gott weggenommen und nun weiß ich nicht, wen ich anbeten und bitten soll."
    Eine Szene, die Christoph Markschies in seinem Buch erzählt. Er greift in diesem Fall auf die Aufzeichnungen des Theologen Johannes Cassianus zurück, der um das Jahr 400 nach Ägypten gereist war. Eine Zeit, in der noch viele Götter und ebenso viele Vorstellungen über das Göttliche nebeneinander existierten. Auch pagane, heute heidnisch genannte Gottesbilder, wie sie in den hellenistischen Sagen überliefert sind. Christoph Markschies, Professor für antikes Christentum in Berlin, sagt: "Natürlich hat sich in der Antike alles gegenseitig beeinflusst, ich stelle mir das ein bisschen so vor, wie heute in Amerika: an jeder Straßenecke eine Kirche, eine Religionsgemeinschaft, ein buddhistischer Tempel."
    "Gleichnis für etwas Unabbildbares"
    "Man muss sich nur klarmachen, alles das existierte auf verschiedenen Ebenen: Ein Mensch, der in der Antike studiert hat, ist nicht in einen Tempel gegangen und hat gesagt, 'die schöne große Elfenbeinstatue eines Mannes mit einem langen, wallenden Bart, so sieht der Zeus aus', sondern wusste, das ist ein Gleichnis für den eigentlich unabbildbaren Zeus. Ein bisschen schwieriger ist die Frage zu beantworten, was sagte ein schlichter Bauer, denkt er vielleicht doch, Gott sah ein bisschen so aus, und damit sind wir bei derselben Frage wie heute, hat man ein naives Gottesbild, wenn man an Gott und Götter glaubt oder hat man ein reflektiertes, und je reflektierter das Gottesbild ist, desto ähnlicher werden sich die Gottesvorstellungen."
    Am Rande des römischen Reichs waren christliche Glaubensgemeinschaften entstanden und in den Metropolen wie Rom, Alexandria und Antiochia wurden Fragen um die Körperlichkeit Gottes heftig diskutiert. Diejenigen, die Gott einen Körper zusprachen, argumentierten: "Was keinen Körper hat, existiert nicht, also muss Gott einen Körper haben."
    So etwa Tertullian, der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert wirkte. Es waren gebildete Populärphilosophen, die die neue Religion in Vorträgen erklärten oder in ihren philosophischen Schulen vertraten. Eine herausragende Rolle spielte Origenes von Alexandrien, der im 3. Jahrhundert eine 'christliche Philosophie' in Caesarea lehrte. In einer Predigt heißt es:"Da wir an vielen Stellen der göttlichen Schrift lesen, dass Gott zu den Menschen spricht, und einige der unsrigen deshalb zu der Meinung gekommen sind, man müsse sich Gott gleichsam als Menschen vorstellen, das heißt mit menschlichen Gliedmaßen und Aussehen ausgestattet, die Philosophen jedoch diese Meinung wie etwas Märchenhaftes und nach Art dichterischer Ausgeburten Erfundenes verachten, scheint es mir notwendig, davon zu handeln."
    Der Körper Gottes: "Naiver Unsinn"
    Origenes gilt als der erste christliche Theologe. Sein Denk- und Bildungshintergrund ist platonisch, er folgt Platons abstrakter Vorstellung des Göttlichen. Ihr zufolge ist das Eine als etwas Unendliches vorzustellen, jenseits des Seins sich befindenden, ohne jede Gestalt. Christoph Markschies sagt: "Letztlich verdanken wir Platon, dass wir alle denken, Gott mit einem Körper vorgestellt ist naiver Unsinn. Platon war der Auffassung, man kann zwischen höheren geistigen Realitäten und materiellen Realitäten unterscheiden und die materiellen Realitäten hat er nicht so freundlich gesehen, er war der Auffassung, wirklich hohes Geistiges ist materiefrei. Das war in der Antike eine Position. Es gab auch die stoische Position, die sagte, alles was ist, hat Materie, dafür würden sich heute viele Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler erwärmen, es gibt Liebe, aber sie ist auch Chemie. Von dieser Position war Platon ganz weit entfernt. Und diese Position hat sich im Christentum und auch im Judentum durchgesetzt, und so hat Gott seinen Körper oder sagen wir präziser, seine Materialiät verloren."
    Spätestens seit dem Mittelalter verbindet das Christentum und das Judentum die Überzeugung, dass Gott weder eine menschliche Stimme, noch eine menschenähnliche Gestalt hat. Beide Denktraditionen - so Christoph Markschies - haben sich wechselseitig beeinflusst. Der jüdische Universalgelehrte Moses Ben Maimon, genannt Maimonides vertrat im 12. Jahrhundert die Auffassung, die Bibel müsse metaphorisch gelesen werden. So auch die zentrale Aussage, Gott habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen. Rund ein Jahrhundert nach Maimonides hat der Kirchenlehrer Thomas von Aquin die platonische Tradition im Christentum fortgeführt. Seine Argumente lesen sich ähnlich wie bei Maimonides: "Jeder Körper nämlich ist, da er ein stetig Ausgedehntes ist, zusammengesetzt und hat Teile. Gott aber ist nicht zusammengesetzt. Also ist er kein Körper."
    Mit der platonischen Tradition handelte sich das Christentum auch den Dualismus 'Geist-Körper' ein: Leib und Geist stehen sich feindlich gegenüber, alles Körperliche - auch die Sexualität - erhält eine Abwertung. Christoph Markschies: Natürlich, wenn Gott sozusagen, ohne jede Form von Materialität und Körperlichkeit ist, dann ist es auch ganz gut, wenn ich alles unternehme, um meinen Körper möglichst zurückzudrängen. Das führt zu großen Leistungen, die Asketen, die versucht haben - etwas spaßig gesagt - Wein, Weib und Gesang so weit als irgend möglich zurückzudrängen, aber der Preis dieser Entwicklung hin zum Platonismus ist wie alle Entwicklungen mit Kosten verbunden gewesen und diese Kosten sind relativ hoch."
    Und so gab es immer wieder Versuche, körperliche Bedürfnisse abzutöten, auch extremes Asketentum mit tödlichem Ausgang: Hungern, Schlafentzug, Haare und Nägel wachsen lassen, sich einmauern, in Ketten legen oder sich geißeln.
    "Seele und Körper gehören zusammen"
    "Zum Beispiel haben wir in der Nähe von Bethlehem einen Mönch gefunden, der hat sich mit Ketten zusammengeschnürt, so dass er sich nicht aufrichten konnte, sondern sein Leben immer demütig geführt hat. In der Tat, Menschen, die ihren Körper fast zerstörten, die wollten Gott gleich werden, und haben ihren Körper zerstört. Aber da hat es auch von den Platonikern Kritik gegeben, und die haben gesagt, man darf das Geschenk des Körpers nicht mutwillig zerstören. Aber in der letzten Konsequenz liegt, wenn ich Gott ähnlich werden will, muss ich auf meinen Leib verzichten und da ich nicht Selbstmord begehen darf, muss ich seine Bedürfnisse, seine Größe und sein Gewicht reduzieren wo ich kann."
    Die Hierarchisierung, dass das Geistige von höherem Wert sei als das Körperliche, hatte fatale und langandauernde Folgen, begründet durch die Vorstellung der reinen Geistigkeit Gottes. Die historische Untersuchung von Christoph Markschies ist eine materialreiche Wanderung vor allem durch die antike und spätantike Zeit, als noch nicht entschieden war, welche Lehre von Gott und dessen Körperlichkeit sich durchsetzen würde. Bei diesen Auseinandersetzungen spielten auch machtpolitische Aspekte eine Rolle, etwa der Kampf um Einflusssphären der jeweiligen Bischöfe.
    Der Autor Markschies ist Experte für antikes Christentum - und doch, so hofft er, verweist sein Buch auch auf ganz heutige Probleme: "Ich denke heute in dieser Platonischen Tradition, in der wir stehen, in der alle hohe geistigen Dinge, gar nichts mit Materialität zu tun haben, sind wir immer in der Gefahr in einer Sackgasse zu stehen, in der man mit Naturwissenschaftlern nicht reden kann. Dann sieht es so aus, dass die einen nur über Chemie reden und die andren über die geistigen Werte reden.
    Und das Buch ist ein Plädoyer dafür, dass man es einfacher hat, wenn man damit rechnet, Geist und Materie, Seele und Körper sind keine Alternativen, sondern sind Dinge, die zusammen gehören, Aspekte eines Ganzen und wenn man auf alle Seiten und alle Aspekte achtet, dann kann man den Menschen besser beschreiben und der Theologe würde hinzufügen auch Gott."