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Geschichtsaufarbeitung via Fernsehen

Die polnischen Öffentlichkeit zeigt ein wachsendes Interesse an der Vertreibung der eigenen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Seit den 90er Jahren forschen polnische Historiker am erzwungenen Heimatverlust ihrer Landsleute. Nun kommt das Thema in die Massenmedien. Demnächst sollen Spielfilme und TV-Miniserien entstehen.

Von Martin Sander |
    "Ich denke schon, dass es eine gewisse Rückkopplung gibt, aus dieser deutsch-polnischen Diskussion heraus auch die Frage zu stellen, was ist eigentlich mit den polnischen Vertriebenen geschehen."

    Andreas Kossert, Historiker am Deutschen Historischen Institut in Warschau und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Vertreibung der Deutschen. Kossert diagnostiziert ein wachsendes Interesse der polnischen Öffentlichkeit an der Vertreibung der eigenen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg.

    "Vor allen Dingen: Wie verliefen die Vertreibungsvorgänge in Polen. Die beginnen eben 1939, gehen dann durch die gesamte Besatzungszeit hindurch und finden einen Höhepunkt mit der Annexion der ostpolnischen Gebiete durch die Sowjetunion und der Vertreibung von Millionen Polen in das Restpolen, das dann 1945 übrig geblieben ist."

    In der Vergangenheit fand das Thema Vertreibung in Polen kaum Beachtung. Die Vertreibungspolitik Stalins passte bis zur Wende nicht in den politischen Rahmen. Die Umsiedlungen Hitlers galten nur als untergeordneter Aspekt deutscher Verbrechen. Erst seit den 90er Jahren forschen polnische Historiker verstärkt über den erzwungenen Heimatverlust ihrer Landsleute.

    Nun kommt das Thema in die Massenmedien. Das staatliche polnische Fernsehen hat in diesem Jahr einen Drehbuchwettbewerb unter dem Titel "Die Vertreibung der Polen durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg" ausgeschrieben. Demnächst sollen Spielfilme und dazu TV-Miniserien entstehen.

    Eines der bislang unter rund 100 Einsendungen ausgewählten Projekte verarbeitet ein Stück Familiengeschichte unweit der Stadt Thorn. In dieser Gegend, die im Herbst 1939 als Teil des sogenannten Warthegaus dem deutschen Reich einverleibt wurde, lebten vor allem Polen, darunter der Großvaters von Drehbuchautor Lech Makowiecki.

    "Mein Großvater weigerte sich, die deutsche Volksliste zu unterschreiben, denn er fühlte sich als tief verwurzelter Pole, und deshalb wurde er mit seiner ganzen Familie von seinem Hof vertrieben. Um Mitternacht fiel eine Abteilung des deutschen 'Selbstschutzes' ein. Sie hatten rund zehn Minuten Zeit, die nötigsten Sachen zu packen. Mein Großvater verließ mit seiner Frau und vier Kindern auf einem Pferdewagen sein Haus, das daraufhin von einem deutschen Bauern in Besitz genommen wurde.

    Mein Großvater wurde dann per Eisenbahn nach Thorn gebracht, dort einige Monate festgehalten. Später gelang es meinem Vater zu fliehen. Mein Großvater aber starb, er geriet in einen Konflikt mit seinen deutschen Wächtern, wurde sehr heftig geschlagen und erlag kurz darauf seinen Verletzungen. Das ist, kurz gesagt, die Geschichte seiner Vertreibung."

    In seinem Drehbuch will Lech Makowiecki auch das Schicksal seines Vaters nach dem Tod des Großvaters einbeziehen. Der Vater war während des Krieges Zwangsarbeiter bei einem deutschen Bauern und floh mit diesem gemeinsam vor den sowjetischen Truppen. Durch die Person des Vaters erscheint Vertreibung also einmal aus polnischer und einmal aus deutscher Perspektive.

    "Ich versuche, mich bei meinem Projekt ganz auf die historische Wahrheit zu stützen, auf das Quellenmaterial. Alles, wovon der Film erzählen wird, ist historisch belegt. Dabei möchte ich nicht, dass dieser Film irgendwie antideutsch wird, sondern ich verstehe ihn als eine Warnung vor Faschismus, Kommunismus und anderen Formen des Fanatismus."

    Ein weiteres Filmprojekt des polnischen Fernsehens handelt von Vertreibungen im sogenannten "Generalgouvernement", dem formal nicht in das Reichsgebiet eingegliederten Teil des besetzten Landes. Dort, in der Umgebung der Stadt Zamosc, wurden Hunderttausende Polen vertrieben, ihre Kinder den Eltern geraubt und zwangsgermanisiert.

    Von seiner Spielfilmproduktion verspricht sich das Polnische Fernsehen nicht nur Erfolg zuhause. Es setzt mit dem Mittel des Films auch auf Resonanz im Nachbarland Deutschland, wo das Thema Vertreibung von Polen bislang kaum bekannt ist. Der Historiker Andreas Kossert erläutert:

    "Wir haben jetzt die ersten Studien, die auch in deutscher Sprache zugänglich sind, aber trotz allem ist uns noch immer nicht die Komplexität der Vertreibungsvorgänge in Polen präsent. Es ist jetzt gerade in Polen ein Atlas erschienen über Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von 1939 bis 1949.

    Und das ist etwas, was eigentlich Pflichtlektüre in deutschen Schulen sein müsste, wo man einfach sieht, dass Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen am 1. September 1939 begannen und tatsächlich eine Grunderfahrung durch den ganzen Zweiten Weltkrieg hindurch waren."