Samstag, 20. April 2024

Archiv

Geschichtspolitik in Polen
Entscheidung im POLIN Museum

Der Historiker Dariusz Stola wird voraussichtlich aus politischen Gründen nicht mehr Direktor des POLIN Museums in Warschau. Der Fall sei nur ein weiteres Beispiel für die Fortsetzung der Geschichtspolitik der nationalkonservativen Regierung in Polen, glaubt Martin Sander.

Martin Sander im Gespräch mit Michael Köhler | 15.02.2020
Der Direktor des Museums der Geschichte der polnischen Juden (Polin) in Warschau, Dariusz Stola.
Dariusz Stola, Direktor des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau bis 2019 (Stach Leszczyñski/dpa)
Michael Köhler: Das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau (POLIN) ist eines der meistbesuchten Museen Polens. Direktor Dariusz Stola führte das Haus erfolgreich seit der Eröffnung 2014 bis Anfang 2019. Obwohl er im vergangenen Mai wiedergewählt wurde, wollte ihm Kulturminister Piotr Glinski den Posten nicht wieder anvertrauen. Martin Sander, was hat Polens Regierung gegen einen erfolgreichen Museumschef?
Martin Sander: Die polnische nationalkonservative Regierung, insbesondere der Kulturminister Piotr Glinski, haben politisch etwas gegen Dariusz Stola gehabt. Der Anlass war, dass das äußerst erfolgreiche POLIN Museum vor zwei Jahren eine Ausstellung über Antisemitismus unter der kommunistischen Führung 1968 gezeigt hat und dabei Parallelen zur Gegenwart unter der nationalkonservativen PiS-Regierung gezogen hat. Das hat Piotr Glinski, dem Kulturminister, überhaupt nicht gefallen. Die Nicht-Ernennung, denn seit Mai letzten Jahres ist Dariusz Stola zwar gewählter, alter und neuer, aber eben nicht vom Kulturminister ernannter Direktor, die Verweigerung der Unterschrift ist eine Art von politischer Rache.
Köhler: Ist damit, nach dem was Sie gerade beschrieben haben, der Kulturminister Glinski siegreich aus diesem Konflikt hervorgegangen? Wie verändert das das Museum?
Sander: Ich glaube, dass das Museum tatsächlich stark unter politischem Druck steht. Es hat ja mehrere Träger. Einerseits ist es abhängig vom Kulturministerium, andererseits von der Stadt Warschau, die von der liberalen Opposition regiert wird und zum Dritten von einem Jüdischen Historischen Institut, dem Trägerverein, der aber auch von Staatsgeldern abhängt. Da nun Dariusz Stola gesagt hat, er will nun nicht mehr länger warten und er ist bereit, auf sein Amt zu verzichten, in das er gewählt wurde, bedeutet das natürlich ein Sieg der Regierung und des Kulturministers. Für das Museum heißt das, dass es sich tatsächlich unter politischen Druck setzen lässt. Wer ist nun der Sieger? Piotr Glinski ist der Sieger für seine Anhängerschaft, also vielleicht für ein Drittel der polnischen Wähler. Aber er ist natürlich unter Intellektuellen, Historikern und für die liberale Öffentlichkeit untendurch. Das war er aber auch schon vorher.
Köhler: Das Kulturministerium teilte gestern mit, dass der geschäftsführende Direktor Zygmunt Stepinski als Kompromisskandidat akzeptiert wurde, ist damit Ruhe eingekehrt? Ist das ein Friedensangebot?
Sander: Ja, das ist ein Friedensangebot und das muss wohl das Museum auch annehmen, damit überhaupt die Geschäfte weitergeführt werden. Denn man hatte auch Probleme mit Sponsorengeldern. Inzwischen hat sich diese ganze unsichere Situation auch auf die Finanzierung ausgewirkt. Stepinski ist tatsächlich der Kompromisskandidat. Es sieht so aus, als ob er Stola nachfolgen soll.
Institut zur Pflege des Erbes des Nationalen Denkens
Köhler: Jetzt kommt noch etwas hinzu, das Sie uns geschichtspolitisch erklären müssen. Der Kulturminister hat angekündigt, auch diesen Monat noch ein weiteres Institut zur Erinnerung an zwei Männer zu öffnen, nämlich an Roman Dmowski und Jan Paderewski. Erklären Sie uns, was hat es damit auf sich?
Sander: Der Kulturminister hat nun vor zehn Tagen angekündigt, dass ein Institut zur Pflege des Erbes des Nationalen Denkens entstehen soll. Zwei Protagonisten wurden dort genannt. Der eine ist Roman Dmowski, einer der großen und in Deutschland wenig bekannten polnischen politischen Gestalten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er gehört politisch zu den extremen nationalen Rechten. Er hat wie Viele meinen, gewisse Verdienste bei dem Zustandekommen der Verträge von Versailles und bei der Wiedergründung des polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg. Er war aber ein biologisch-rassistisch argumentierender Antisemit, sagen kritische Denker und Forscher über ihn. Und dennoch wird man ihm nun dieses Institut zur Pflege des Erbes Nationalen Denkens widmen. Das ist für einen großen Teil der Wissenschaft und auch der liberalen Öffentlichkeit in Polen genauso ein Skandal wie die Nicht-Berufung von Stola als Direktor des POLIN Museums
Köhler: Wie schätzen Sie das Ganze geschichtspolitisch ein?
Sander: Eigentlich ist es die Fortsetzung der Geschichtspolitik der nationalkonservativen Regierung, die es seit fünf Jahren gibt. Aber es ist eine neue Stufe erreicht. Man beruft sich ebenso wie in den Fragen der Gerichte und des Rechtsstaats nicht auf die Regeln und die Gesetze, sondern setzt sich über sie hinweg.[*] Das Institut, das hauptsächlich dem national konservativen Vordenker Roman Dmowski und Antisemiten gewidmet ist, das spricht für sich, auch wenn die Regierung natürlich das Recht hat, ein solches Institut ins Leben zu rufen und zu finanzieren.
[*] Der Autor hat eine nicht korrekte Aussage zurückgezogen. Wir haben den Satz an dieser Stelle entfernt und das Audio entsprechend gekürzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.