Samstag, 20. April 2024

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Geschlechterbilder in Computerspielen
"Frauen sind immer noch weit in der Unterzahl"

Der Emanzipationsdiskurs ist längst in der Gamerszene angekommen - inklusive Backlash. Der Kulturwissenschaftlerin Lara Keilbart gehen die Veränderungen aber noch nicht weit genug: "Wenn Frauen sich immer in einer Rolle sehen, dann hat das eine gewisse Normierungsfunktion", sagte sie im Dlf.

Lara Keilbart im Corsogespräch mit Tim Baumann | 09.01.2020
Ein Screenshot aus "Tomb Raider" zeigt die Heldin Lara Croft an einem Tisch
Lara Croft, die Heldin der "Tomb Raider"-Reihe, ist die populärste Frauenrolle in Computerspielen (Square Enix)
Tim Baumann: Frau Keilbart, Sie beobachten schon seit einiger Zeit die Darstellung von Geschlechterrollen in vielen verschiedenen Medien: in Comics, Filmen und Computerspielen, und berichten unter anderem im Blog "Polygamia" darüber. Wie sieht das Bild der Frau im Spiel denn aus?
Lara Keilbart: Also, aktuell ist das Bild der Frau im Spiel immer noch ein bisschen zwiespältig zu betrachten. Wir haben zwar in den letzten Jahren ein paar mehr Figuren bekommen, die von der Repräsentation her und von der Darstellung her mehr und mehr auch dem Bild der Frau in der Realität gleichen, aber es gibt auch immer noch ganz viele Probleme, es gibt immer noch viele sexistische Darstellungen, es gibt rassistische Darstellungen, die Frauen sind auch immer noch zahlenmäßig weit in der Unterzahl, wenn es um die Hauptcharaktere geht. Oder wenn sie eben Nebencharaktere sind, haben sie auch oft immer noch das Problem, dass sie gerettet werden müssen oder dass sie weniger Handlungsmacht haben als ihre männlichen Kollegen.
Marketing war lange auf Jungs ausgerichtet
Baumann: Ja, das ist die bekannte "damsel in distress". Wie erklären Sie sich denn, dass Frauen in Spielen oft sexualisiert dargestellt werden?
Keilbart: Na ja, das ist ein Problem, das die Nerd-Kultur schon seit einiger Zeit hat, so seit Mitte der 80er, als so diese erste Nerd-Kultur-Welle in den Mainstream schwappte mit den Heimcomputern und den Konsolen und das Marketing auch immer mehr von Familie und Kindern im Allgemeinen zu Jungs gewechselt ist. Dadurch hat sich so eine Nischen-Sache entwickelt, die die Jungs, - jetzt meistens Erwachsene über 30, aber auch die nachkommende männliche Generation -, gerne für sich als Raum behalten möchte und mit allen Mitteln gegen Entwicklungen - vor allem gegen progressive Gesellschaftsentwicklungen -, irgendwie verteidigen wollen, weil sie meinen, in diesem Raum können sie sich halt alles erlauben.
Und das ist natürlich dann auch die sexistische Darstellung von Frauen, weil das natürlich begehrenswerte Objekte sind, gerade für junge Männer ist das natürlich immer so ein bisschen auch die sexuelle Befriedigung im Kopf, die da mitspielt. Das ist halt einfach für die, ein bisschen der Aspekt davon, dass man Frauen auch immer noch als Objekte behandeln darf – was ja in der Realität schon lange nicht mehr so einfach ist.
Ketten-Bikinis und Riesenbrüste
Baumann: Wenn wir jetzt von dieser Deutungsebene noch mal auf das ganz konkrete Phänomen zurückgehen, wie äußert sich diese sexualisierte Darstellung von Frauen in Games? Haben Sie da ein Beispiel?
Keilbart: Na ja, also zum einen ist es so, dass Frauenkörper ganz oft nach so einer Norm dargestellt werden, die in der Realität eigentlich so gut wie nie funktioniert: Zum einen haben wir Frauen mit enorm großer Oberweite, die Brustgrößen sprengen da vieles an Möglichkeiten. Vor allem: Natürlich gibt es Frauen mit großen Brüsten, aber die haben natürlich dann auch eine Körperform, die dem ganzen entspricht. Also, Frauen in Spielen haben dann eben oft irgendwie EE oder F und haben aber dann eine Figur von Frauen, die eigentlich ein A haben. Also die sind schlank und superdünn und haben meistens überhaupt keine Taille – und haben aber Riesenbrüste. So ist das ganz offene Beispiel, was es leider auch immer noch gibt.
Eine Lara Croft-Figur steht in der Tomb Raider-Ausstellung im Computerspielemuseum in Berlin, aufgenommen am 26.02.2013.
Frühere Versionen von Lara Croft vermittelten ein höchst unrealistisches Körperbild (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
Aber es ist natürlich auch manchmal jetzt ein bisschen subtiler geworden, indem Frauen zwar irgendwie die coolen Kämpferinnen sind, aber sie haben dann trotzdem, was das Outfit angeht, kaum Kleidung an oder Rüstung, die ihre Körper irgendwie bedeckt oder schützt – während ihre männlichen Kontrahenten oder Mitspieler dann oft die härtesten, krassesten Rüstungen und Helme anhaben, wo man überhaupt nichts mehr vom Mann sieht, haben die Frauen immer weniger an und kämpfen dann quasi in den Ketten-Bikinis rum.
Wenn Catwoman und Batman die Plätze tauschen
Und wenn man sich das mal witzigerweise anschaut: Es gab vor nicht allzu langer Zeit so ein kleines Video, vor allem auf Twitter ist das rumgegangen, aber ich glaube in den anderen sozialen Netzwerken auch. Es gibt ein Batman-Spiel, ein Arkham-Spiel, in dem auch Catwoman vorkommt. Und die haben einfach mal die optische Darstellung von Catwoman und Batman ausgetauscht, so dass die Figur, die eigentlich Catwoman ist, mit dem Character Model, also mit der Darstellung von Batman – und umgekehrt. Und da sieht man erst mal, wie absurd das ist, weil Batman sich wirklich die ganze Zeit bewegt als würde er einen Striptease irgendwo machen und total so Schlangenbewegungen und sich die ganze Zeit so räkelt und irgendwie durch den Raum schreitet. Und die Kamera ist die ganze Zeit auch auf dem Hintern oder auf den Brüsten fokussiert, während Batman – beziehungsweise jetzt eben Catwoman – einfach nur stoisch dasteht, sich kaum bewegt und immer nur so ein, zwei Worte murmelt. Da sieht man eben dann schon, wie sich das ganze immer noch weiter fortsetzt.
Baumann: Wir haben es mit ganz vielen stereotypen Reproduktionen von Rollenbildern zu tun, von Frauen und von queeren Personen. Welche Auswirkungen hat das denn auf die Spielerinnen und Spieler?
Keilbart: Na ja, das ist natürlich schon so ein bisschen auch eine Wechselwirkung. Es gibt da natürlich viele Studien – und gerade zu Auswirkungen von Gaming gibt es immer wieder auch widersprüchliche Studien -, aber es ist natürlich schon klar, dass Medienbilder auch wirken für die Leute, die sie konsumieren. Das bedeutet: Wenn Frauen sich eben immer in einer gewissen Rolle oder in einer gewissen stereotypen Darstellung sehen, dann hat das eine gewisse Normierungsfunktion, so dass die auch denken: Okay, so müssen Frauen wohl handeln, agieren, aussehen. Und das ist natürlich schon ziemlich schädlich. Deswegen sind andere Bilder auch total wichtig.
Einzelne Frauenfiguren reichen nicht aus
Das Problem ist: Wenn es immer nur eine Frau oder eine queere Person gibt, dann wirkt das ja immer auf alle. Wenn es jetzt drei, vier, fünf verschiedene Frauen oder queere Personen gibt, die unterschiedliche Ausprägungen haben, sowohl optisch als auch vom Charakter her, dann kann man sich natürlich auch viel besser mit der Sache auseinandersetzen. Und natürlich gibt es auch böse queere Menschen und natürlich gibt es auch böse Frauen, oder es gibt natürlich auch Frauen, die total sexy aussehen – und das ist auch völlig in Ordnung! Aber es gibt eben nicht nur solche Frauen und es gibt nicht nur solche queeren Menschen. Und das ist dann das Problem, wenn man dann nur so Einzelfälle hat, die dann aber immer auf alles ausstrahlen.
Und daraus richtet sich das dann natürlich schon auch auf die Leute, die das konsumieren – nicht nur die Frauen, natürlich auch die Männer, die daraus so eine Anspruchshaltung generieren. Deswegen ist auch so etwas wie "GamerGate" entstanden, weil sie eben jahrelang Spiele konsumiert haben, die Frauen für sie als Objekt da waren. Und deswegen hat sich da auch so eine Einstellung weitergetragen.
Männliche Ermächtigungsfantasien
Baumann: Aber wenn das denn solche Auswirkungen hat, müsste das Thema dann nicht auch inklusiv mit Männern diskutiert werden? Es gibt ja schließlich auch total überzeichnete Darstellungen von Männern in Computerspielen – eigentlich sind die sogar vorwiegend. Also die sind häufig muskelbepackt, die sind sexuell erfolgreich, die sind voller Durchsetzungskraft und agil, sie vermitteln nicht unbedingt ein realistisches Körperbild der meisten Männer – oder sind auch nur eine annähernd realistische Identifikationsfläche für junge männliche Gamer. Warum geht dieser Aspekt in der Diskussion unter?
Ein Screenshot aus "God of War® III Remastered", der Held Kratos steht grimmig blickend vor einem Relief
Kratos aus "God of War® III Remastered" (Sony / God of War III (remastered) )
Keilbart: Na ja, es ist auf jeden Fall eine ganz andere Art von Überzeichnung, denn während das, was Sie jetzt gerade beschrieben haben, so eine Power-Fantasy ist, so eine Ermächtigungsfantasie, ist das ja bei Frauen genau das Gegenteil: Da wird ja Macht entzogen, wenn sie als Objekt dargestellt werden. Und Leute, die Kratos spielen, wie er da als muskelbepackter Grieche mit seiner Axt tausende von Leuten zerhackstückelt, das ist ja eine Fantasie, die finden ja dann auch junge Männer oft erstrebenswert. Das ist ja nicht so, dass die sich dann davon abgestoßen fühlen, sondern die fühlen sich dadurch ja mächtiger. Und das ist schon mal ein ganz wichtiger Unterschied zwischen den beiden Darstellungen.
"Wenn sich dieses Bild ändert, habt ihr auch was davon"
Nichtsdestotrotz sollte man natürlich auch Männer in die Diskussion mit einbinden, denn dieses sogenannte "toxische Männlichkeitsbild" schadet natürlich gerade denen, die anders denken, anders fühlen und sich dem auch nicht unterordnen wollen oder können. Deswegen müssen Männer natürlich auch da mit eingebunden werden.
Aber es ist natürlich schon so, dass in erster Linie Frauen und Nicht-Cisgender-Hetero-Männer darunter leiden und deswegen ist da schon ein Unterschied zu sehen. Und deswegen ist das auch völlig okay, wenn man erst mal unter sich so ein bisschen sich gegenseitig unterstützt und die Männer erst mal mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert. Aber gleichzeitig natürlich immer sagt: Auch ihr habt davon etwas, wenn sich dieses Bild ändert. Mal ganz abgesehen davon, dass es ja auch irgendwann langweilig ist, wenn ich 30, 40 Jahre immer dieselben Geschichten mit denselben Figuren höre oder spiele, das ist ja dann auch irgendwie für den hartgesottensten Gamer wahrscheinlich irgendwann nicht mehr so interessant.
Gleichberechtigung: Zwischen Veränderung und PR-Masche
Baumann: Jetzt ist es so, dass die Entwicklung in den letzten Jahren auch in AAA-Titeln dazu geht, dass man etwas andere Frauendarstellungen hat: Lara Croft hat ihre Körperform verändert, auch im neuen "Call of Duty – Modern Warfare" kann man jetzt an kurdische Freiheitskämpferinnen erinnernde Frauen spielen. Ist man da auf einem anderen Weg in der AAA-Szene?
Screenshot aus "Horizon Zero Dawn" - die Helden Aloy legt im Wald mit ihrem Bogen auf ein Maschinenmonster an
In "Horizon Zero Dawn" kämpfen die Spieler als Heldin Aloy gegen allerlei Maschinenmonster (Guerrilla Games )
Keilbart: Ich sehe da tatsächlich noch nicht so wirklich einen anderen Weg, ich sehe da eher so ein bisschen Marketing. Also, natürlich war zum Beispiel auch so was wie "Horizon – Zero Dawn" letztes Jahr total super – und das ist auch eines der besten Positivbeispiele: Die Figur ist von der Körperform, wie sie sich gibt, von ihrer Story … es ist alles mal ein bisschen anders gedacht. Aber das ist dann ein Spiel von, was weiß ich, wie viel hundert, die jedes Jahr rauskommen.
Und wenn dann eben solche Military Shooter aufs Cover plötzlich eine Frau drauf drucken und damit dann die Gleichberechtigung propagieren, dann hat das für mich schon eher was von einem PR-Stunt, weil wenn man sich die nackten Zahlen anschaut, ist es halt immer noch die Ausnahme. Und in solchen großen Multiplayerspielen geht es halt auch schon ziemlich unter. Ich glaube, dass es ein bisschen eine Entwicklung gab, dass gewisse Dinge nicht mehr so einfach in AAA gehen, also gerade diese plumpe Sexualisierung nimmt ab. Und wenn sie noch da ist, dann ist sie selten besonders erfolgreich. Aber sie ist nicht ganz weg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.