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Gesetz soll "nicht indirekt drängen zu einer Entscheidung pro Organspende"

Auch mit dem Transplantationsgesetz wird niemand zur Organspende verpflichtet: "Wir akzeptieren ja, wenn Menschen sich anders entscheiden, wir wollen sie nicht zwingen", sagt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Er will aber gegen "Unwissen und Verunsicherung" vorgehen.

Daniel Bahr im Gespräch mit Mario Dobovisek | 01.11.2012
    Mario Dobovisek: Eine kleine orangefarbene Karte aus Papier ist es, die Leben retten kann: der Organspendeausweis. Niemand muss Organe spenden, aber jeder kann seine Bereitschaft dazu erklären. Bisher mussten Spendenwillige selber aktiv werden, ihren Arzt ansprechen, ihre Kassen oder auch den Ausweis im Internet bestellen, heute tritt das neue Transplantationsgesetz in Kraft, von nun an müssen die Krankenkassen bei ihren Versicherten regelmäßig die Spendenbereitschaft abfragen. Beitrag in Informationen am Morgen, Deutschlandfunk (MP3-Audio) Aus Hamburg Verena Herb.

    Und am Telefon begrüße ich den Bundesgesundheitsminister und FDP-Politiker Daniel Bahr. Guten Morgen, Herr Bahr.

    Daniel Bahr: Einen schönen guten Morgen.

    Dobovisek: Helfen Sie mir bitte etwas aus die Sprünge, Herr Bahr: Moniert da mit Günter Kirste, dem medizinischen Vorstand der DSO, ausgerechnet derjenige den Vertrauensverlust durch die Organspendenskandale, der mit seiner Organisation eigentlich für einen reibungslosen Ablauf der Organspendepraxis in Deutschland hätte sorgen müssen?

    Bahr: Das tut er, aber für die Fälle in Regensburg und Göttingen ist nicht die DSO zuständig, die ist für die Organspende zuständig. Die Fälle in Regensburg und Göttingen sind Vorfälle gewesen der Organverteilung, also wenn ein Organ zur Verfügung steht, nach welchen Kriterien kriegt es welcher Spender? Und hier haben einzelne Ärzte offenbar manipuliert, sich damit nicht an Regeln und Gesetze gehalten, und deswegen stimme ich Herrn Kirste zu, es muss zu harten Strafen kommen. Ich rechne auch damit, dass die Fälle in Regensburg und Göttingen zu einem harten Strafmaß führen werden. Denn das ist schon für mich sehr, sehr ärgerlich, dass jemand, der sich nicht an Regeln und Gesetze hält, damit das Vertrauen in das System zerstört oder sagen wir mal durcheinanderbringt erst mal. Und da muss der betroffene Arzt, der hier manipuliert hat, auch das ganze Strafmaß und Ausmaß spüren.

    Dobovisek: Wie hart sollten solche Strafen ausfallen?

    Bahr: Das kann bis zum Entzug der Approbation führen, das heißt, dieser Arzt kann gar nicht mehr als Arzt in Deutschland tätig sein. Es muss jetzt ja erst mal geprüft werden, ob es ein einzelner Arzt war, welche anderen beteiligt waren, wie viel Fälle es waren. Das alles findet gerade in einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung statt, es wird dann ein Strafverfahren geben. Ich rechne auch damit, dass hier das Strafrecht anzuwenden sein wird. Ärgerlich ist ja, dass es in Regensburg damals, als es Auffälligkeiten gab, nicht zu Konsequenzen geführt hat. Deswegen haben wir jetzt ja, als wir uns alle getroffen haben, auch darauf verständigt, dass diese Konsequenzen besser geahndet werden müssen, dass es besser zu Konsequenzen führen muss, damit es auch eine abschreckende Wirkung auf andere hat.

    Dobovisek: Insgesamt habe ich das aber schon richtig verstanden, dass die Deutsche Stiftung Organspende für die postmortalen Organspenden zuständig ist in Deutschland?

    Bahr: Nur für die Spenden, also das heißt identifizieren, wo ist ein potenzieller Spender, nicht für die Verteilung. Für die Verteilung der Organe ist in Deutschland Eurotransplant zuständig, auch eine Stiftung, die nicht nur für Deutschland, sondern für mehrere europäische Länder die Verteilung der Organe vornimmt. Davon profitieren wir, von Eurotransplant, aus dem Raum der europäischen Länder erhalten wir mehr Organe als wir selbst zur Verfügung stellen. Insofern ist das getrennt von den Organisationen her, für uns ein Vorteil dadurch, dass wir von anderen Ländern in Europa, die mehr potenzielle Spender haben, auch profitieren können.

    Dobovisek: Darüber hinaus gibt es noch die Bundesärztekammer und auch die Deutsche Transplantationsgesellschaft, allesamt sind privatrechtlich organisierte Organisationen. Klingt nach reichlich Unordnung und wenig Kontrollmöglichkeiten – für Sie als Politiker.

    Bahr: Nein, die Kontrollen sind ja da, es ist ja auch so, dass die Vorfälle passiert sind in staatlichen Krankenhäusern, die einer staatlichen Aufsicht unterliegen, und trotzdem hat ein Arzt ja offenbar Manipulationen vorgenommen. Es ist also nicht die Frage der Rechtsform, sondern wie Kontrolle und Aufsicht vorgenommen wird, und wir haben ja jetzt Veränderungen vorgenommen. Mit dem neuen Transplantationsgesetz kann nicht mehr ein Arzt alleine die Werte bestimmen, sodass man in der Warteliste aufrücken kann, wie das durch die Manipulationen in Göttingen und Regensburg der Fall war, sondern das muss jetzt ein Sechs-Augen-Prinzip sein, das heißt, andere Ärzte müssen mit diese Werte bestätigen. Und wir nehmen unangemeldete Prüfungen vor. Mit diesen Prüfungen ist jetzt beispielsweise ja auch in München etwas aufgedeckt worden, das zeigt ja, dass unser Weg der Kontrolle, der besseren Aufsicht offenbar gut funktioniert.

    Dobovisek: Warum fordert dann Ihr Koalitionskollege Johannes Singhammer jüngst im Deutschlandradio Kultur regelmäßige staatliche Kontrollen in allen Bereichen? Heißt das, dass die Kontrollen, die Sie ansprechen, nicht ausreichen?

    Bahr: Da müssen Sie Herrn Singhammer fragen. Wir haben ja regelmäßige staatliche Kontrollen. Jetzt bei den Prüf- und Überwachungskommissionen, die beispielsweise in München, Hamburg und Berlin die Kliniken untersucht haben, sind Vertreter der Länder, die für die Aufsicht der Krankenhäuser zuständig sind, auch dabei. Insofern wird die Aufsicht verbessert, das ist mir auch ein Anliegen, ich glaube aber nicht, dass es die Probleme löst, wenn alles jetzt der Staat organisiert.

    Wie gesagt, Deutschland profitiert sehr, dass wir im Eurotransplant-Verbund sind, wenn Deutschland das alleine und nur der Staat machen würde, stünden weniger Organe zur Verfügung. Insofern ist es für mich nicht eine Rechtsformfrage, sondern wie der Prozess gut organisiert wird. Das haben wir verbessert. Ich denke dabei immer an die, die gerade auf der Warteliste sind und dringend auf ein Organ warten. Für die müssen wir jetzt alles tun – durch bessere Regeln, dass Regeln eingehalten werden, dass Regelverstöße auch geahndet werden, vor allem aber, dass die Bereitschaft zur Organspende gesteigert wird, denn am Ende ist es vor allem ein Mangel der Organen, der zu solchen Vorfällen auch geführt hat.

    Dobovisek: Blicken wir doch noch einmal genauer auf die Arbeit der Deutschen Stiftung Organspende, deren Mitarbeiter sprechen mit den Angehörigen der Verstorbenen, dafür werden sie auch gesondert geschult, teils mit der als manipulativ geltenden Kommunikationstechnik Neurolinguistisches Programmieren. Auch sei es wünschenswert, heißt es laut Taz seitens der DSO-Führung, dass am Ende des Gesprächs die Zustimmung zur Organspende erfolge. Ist das im Sinne des Erfinders, dass Beratungsgespräche manipulativ geführt werden?

    Bahr: Nein, das ist auch nicht korrekt, und das ist nicht Sachlage des Gesetzes. Wir haben ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben, dass solche Gespräche ergebnisoffen stattfinden sollen. Wir akzeptieren ja, wenn Menschen sich anders entscheiden, wir wollen sie nicht zwingen und auch nicht indirekt drängen zu einer Entscheidung pro Organspende, sondern wir wollen sie aufklären, wir wollen ihnen Informationen geben und sie positiv überzeugen, ihnen Ängste nehmen. Deswegen ist das, was ich auch gelesen habe, nicht in Ordnung, wir haben uns auch als Aufsicht daran gewandt.

    Es wird ja auch bei der DSO jetzt Veränderungen geben. Der Staat, das heißt der Bund und die Länder, werden mit in den Stiftungsrat gehen, dafür werden gerade die Satzungen verändert, damit in der DSO auch ein Vertreter des Bundes, ein Vertreter der Länder mit in dem Stiftungsrat drinsitzt. Es wird personelle Konsequenzen bei der DSO geben, es sind ja neue Besetzungen der Führungsspitze vorgesehen, das heißt, auch die DSO wird sich einer Veränderung unterziehen müssen. Gleichwohl hat die DSO mit den Vorfällen in Regensburg und Göttingen so nichts zu tun, weil es eben nicht ein Vorfall der Organspende, sondern der Verteilung von Organen war, das muss man nun dazusagen.

    Dobovisek: Der Vertrauensverlust ist aber nun einmal da, und offenbar reichen Ihre Maßnahmen nicht aus, denn das Transplantationsgesetz und die einzelnen Punkte dieses Gesetzes sind ja bekannt inzwischen, sind schon länger bekannt, und die Spendenbereitschaft jüngst, im Oktober, wir haben es vorhin gehört, ist erheblich zurückgegangen. Also was werden Sie noch tun?

    Bahr: Moment mal, die Spendenbereitschaft ist seit Anfang des Jahres stagnierend leider, da war von Regensburg und Göttingen noch gar nicht die Rede, und die neuen Maßnahmen beginnen ja jetzt erst zu wirken. Die ersten Krankenkassen schreiben Ihre Versicherten an – ich begrüße das ausdrücklich, weil ich glaube, Vertrauen kann man nur zurückgewinnen, wenn man jetzt offensiv aufklärt und informiert. Und viele solcher Entscheidungen beruhen ja auf Unwissen und auf Verunsicherung. Die kann man nicht abbauen, wenn Krankenkassen jetzt noch länger warten mit dem Anschreiben und der Aufklärung, sondern wenn sie jetzt zügig damit beginnen, da sind alle Krankenkassen aufgefordert. Einige wollen das wegen der Verwaltungskosten offenbar erst im nächsten Jahr beginnen, aber es sollte nicht zu lange gewartet werden, und die Maßnahmen werden insgesamt jetzt umgesetzt.

    Ich bin eigentlich guten Mutes, dass wir in den nächsten Monaten und Jahren die Organspendebereitschaft verbessern können, denn die Bereitschaft der Menschen ist groß. Sie möchten sich auch darauf verlassen, dass ein Organ zur Verfügung steht. Die Regeln und Gesetze sind so scharf wie in kaum einem anderen Land um uns herum. Jetzt müssen die angewandt werden, und wenn einer sich nicht an Regeln und Gesetze hält, dann muss er bestraft werden. Ich glaube, so kriegt man das Vertrauen am besten wieder zurück. Am Ende zählt, jeder, der ein Organ spendet, ist ein Lebensretter, weil er jemand anders eine zweite Chance auf ein Leben schenkt. Und wenn es jetzt weniger Organspende gibt, heißt das, dass mehr Menschen länger warten müssen oder sogar auf der Warteliste versterben. Und deswegen müssen mehr mitmachen, damit weniger warten müssen.

    Dobovisek: Heute tritt das neue Transplantationsgesetz in Kraft. Der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, vielen Dank.

    Bahr: Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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    Ärzte führen eine Nierentransplantation durch. (picture alliance / dpa / Balazs Mohai)
    Organspendeausweis
    Organspendeausweis (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)