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Gesetze "aus dem Geist der Wildwestzeit"

Der Fall des von einem Bürgerwehr-Mitglied erschossenen Trayvon Martin sei unfassbar, sagt Dietmar Bartsch. Man könne nur hoffen, dass US-Präsident Barack Obama mit seinen Vorschlägen, die Waffengesetze in den USA zu verändern, endlich auch Mehrheiten erreicht, sagt der stellvertretende Fraktionschef der Linken.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Silvia Engels | 15.07.2013
    Silvia Engels: Der Freispruch im Fall der Tötung des schwarzen Teenagers Trayvon Martin kommt möglicherweise noch einmal vor Gericht. Das US-Justizministerium prüft laut dem US-Fernsehsender "Fox News", ob sich der Schütze George Zimmerman der Verletzung von Bürgerrechten schuldig gemacht haben könnte. In dem Fall könnte er vor ein Bundesgericht gestellt werden. US-Präsident Obama hat derweil zur Mäßigung aufgerufen, denn es gab Proteste in den USA.
    Am Telefon mitgehört hat Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch.

    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Engels: Wie sehen Sie das Urteil der US-Geschworenenjury in Florida?

    Bartsch: Als Politiker sollte man ja immer sehr zurückhaltend sein, wenn man Gerichtsurteile bewertet, und für gewöhnlich kommentiere ich das auch nicht. Aber das ist ja doch ein Fall, der für mich eigentlich unfassbar ist, und ich bin auch entsetzt, dass so was möglich ist. Ich hätte das, wenn man mir das vorher gesagt hätte, nicht für möglich gehalten. Nun ist es offensichtlich so, dass die Jury vielleicht sogar nach dem Gesetz gehandelt hat, aber dann ist es dringend notwendig, dass diese Gesetze geändert werden. Das sind Gesetze aus dem Geist der Wildwestzeit und deswegen: Es ist unfassbar, ich bin entsetzt und es gibt die Hoffnung, dass ein Bundesgericht das doch noch mal aufrollt. Das könnte zumindest sinnvoll sein.

    Engels: Sie spielen auf ein Gesetz an, das in mehreren US-Bundesstaaten gilt, so auch in Florida: das sogenannte "Stand Your Ground-Gesetz". Es regelt nicht nur die Erlaubnis, Waffen zu tragen, sondern auch sie einzusetzen, wenn sich jemand in Leib und Leben bedroht sieht. Was muss da geändert werden?

    Bartsch: So was wäre ja in Deutschland zum Beispiel undenkbar und wir haben doch die schlichte Situation: Der Zimmerman war bewaffnet, der Junge nicht, der Junge ist jetzt tot. In den USA gibt es jährlich Zehntausende Tote durch Schusswaffen und da sage ich, ohne da jetzt große Ratschläge geben zu wollen, das kann nicht sein. Das sind wie gesagt Gesetze aus einer anderen Zeit. Was haben bewaffnete Bürgerwehren – und zu so einer gehörte ja Herr Zimmerman offensichtlich – in unserem Jahrhundert zu suchen? Das sind Möchtegern-Cops, das ist ja nicht ein Einzelfall, dass dort geschossen wird. Also ich sage, hier müssen die Gesetze verändert werden. Dass dort offensichtlich – jedenfalls sagen das ja viele Kommentatoren -, es wird ja immer rhetorisch die Frage gestellt, was wäre eigentlich, wenn ein weißer Junge von einem schwarzen erschossen worden wäre? Wäre das Urteil genauso ausgefallen? Ich weiß das nicht, aber es ist doch klar, dass diese Fragen aufkommen. Meine Position: Da kann ich nur – ich habe keine Ratschläge zu erteilen – hoffen, dass Obama mit seinen Vorschlägen, die Waffengesetze in den USA zu verändern, endlich auch Mehrheiten erreicht.

    Engels: Auf das Stichwort Rassismus kommen wir gleich noch einmal. Bleiben wir erst mal bei diesem Gesetz. Das Gegenargument lautet ja immer wieder – und dafür gibt es auch Mehrheiten in Umfragen in den USA -, dass in dem Land nun mal die Abwägung zwischen Schutz vor Menschen zugunsten der Selbstverteidigung als Recht ausfällt. Muss man das hier in Europa nicht auch einfach hinnehmen?

    Bartsch: Das sind natürlich Entscheidungen in den USA, aber man hat zumindest als Europäer das Recht, dieses schwer zu kritisieren. Schauen Sie, was ist denn da jetzt passiert? Ein 17-Jähriger ist erschossen worden. Vielleicht mag das ja auch ein bisschen eine Tragik sein. Aber die Tatsache, wie das dort gelaufen ist, dass es möglich ist, dass ein 17-Jähriger, der unbewaffnet ist, der eine Süßigkeitentüte in der Hand hatte, dass der einfach erschossen wird, das können wir doch nicht irgendwie akzeptieren in unserem Jahrhundert. Das ist wirklich die Zeit aus dem Wilden Westen mit Indianern. Man kennt das aus Filmen. Aber das ist doch nicht akzeptabel!

    Engels: Das Verfahren war ja von vornherein politisch belastet, wegen der großen Debatte, ob es einen rassistischen Zusammenhang gebe. War da überhaupt noch für die Jury ein faires Verfahren möglich, denn man hat ja keine Zeugenaussagen von diesem Fall?

    Bartsch: Ich gehe davon aus, dass sich die Jury schon an die Gesetze, die dort gelten, gehalten hat. Eine andere Möglichkeit durch die offizielle Begleitung, viele Medien, eine große Öffentlichkeit war dabei, war gar nicht möglich. Aber das weist ja darauf hin, dass offensichtlich über die Gesetze nachgedacht werden muss. Aber ich habe die Frage eben schon gestellt. Sie wird in den USA, wie ich gelesen habe, nicht nur einmal gestellt. Wäre das Urteil genauso ausgefallen, wenn der Todesschütze ein Schwarzer gewesen wäre und das Opfer ein weißer Junge? Ich glaube, die Debatte wäre anders verlaufen. Vielleicht hätte es auch ein anderes Urteil gegeben. Ich will das aus der Ferne nicht beurteilen, aber dass da jetzt viele, viele alte Wunden in den Vereinigten Staaten, wobei man ja auch da feststellen muss, dass es große Unterschiede gibt, in den Südstaaten gibt es dort ein ganz anderes Herangehen als in vielen liberalen Nordost- und Nordweststaaten, also es ist schon unterschiedlich in den USA. Aber ich glaube, diese Zeiten müssen auch im Süden überwunden werden.

    Engels: Weshalb führen in den USA nach wie vor viele Strafprozesse häufig zur Vermutung, Richter seien rassistisch voreingenommen gegenüber Schwarzen? Ist diese Kluft nach wie vor nicht geschlossen?

    Bartsch: Ich glaube, dass das natürlich mit der Tradition der Vereinigten Staaten zusammenhängt. Das hat ja noch mit dem Krieg der Nord- gegen die Südstaaten zu tun und vielen weiteren Entwicklungen. Da ist über Jahre, über Jahrzehnte Rassismus latent vorhanden gewesen, der ist ja auch befördert worden, und dieses bricht immer wieder auf. Deswegen war ja auch die Wahl von Obama so ein wichtiges Signal. Ich will jetzt gar nicht seine Politik bewerten. Aber hier ist er jetzt auch in besonderer Weise gefordert, dass zumindest über diese Gesetze etwas verändert wird. Das ändert nicht diese Grundgedanken und diese Grundwidersprüche. Die sind nur über einen längerfristigen Prozess veränderbar. Aber ich will mal darauf hinweisen, dass das nun nicht nur ein Problem der Vereinigten Staaten ist. Das gibt es leider auch in Europa und leider auch in unserem Land.

    Engels: Ist das Land in den letzten Jahren in Rassenfragen wieder auseinandergedriftet?

    Bartsch: Wenn ich das aus der Ferne beurteilen sollte, da verlangen Sie jetzt zu viel von mir. Das wäre vermessen, wenn ich sagen würde ja oder nein. Das kann ich wirklich nicht einschätzen. Und ich würde die These wagen, dass es in den Bundesstaaten sehr unterschiedlich ist.

    Engels: Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag. Wir sprachen mit ihm über Reaktionen und Einordnungen nach dem Urteil gegen George Zimmerman, der freigesprochen wurde im Verfahren um die Erschießung von Trayvon Martin. Vielen Dank.

    Bartsch: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Demonstrationen für die Festnahme des Todesschützen von Trayvon Martin in Florida
    Demonstrationen für die Festnahme des Todesschützen von Trayvon Martin in Florida (picture alliance / dpa / Brian Blanco)