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Gesetzespaket zur Migration
"Diese Bundesregierung folgt dem rechten Kurs der AfD"

Die Grünen-Politikerin Filiz Polat hat das Gesetzespaket zur Migration von Union und SPD scharf kritisiert. Es sei ein "Katalog der Inhumanität", sagte sie im Dlf. Dadurch würden Flüchtlinge kriminalisiert und Grundrechte gebrochen. "Auch für abgelehnte Asylbewerber gilt unser Grundgesetz."

Filiz Polat im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.06.2019
Filiz Polat, Sprecherin der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Migration und Integration im Bundestag.
Filiz Polat, Sprecherin der Grünen für Migrationspolitik, kritisiert, dass ganze Personenkreise unter Generalverdacht gestellt würden (imago / Metodi Popow)
Christiane Kaess: Nach dem politischen Paukenschlag von Andrea Nahles, von allen politischen Ämtern zurückzutreten, wollen SPD und Union zeigen, dass die Große Koalition dennoch handlungsfähig bleibt. Überraschend schnell hatten sich die Koalitionspartner vorgestern auf ein Paket zu acht Migrationsgesetzen geeinigt.
Die Abgeordneten des Bundestages sollen schon bis morgen den Großteil der Regelungen verabschieden. Rückführungen beziehungsweise Abschiebungen sollen entschiedener durchgesetzt werden. Abgelehnte Asylsuchende, die ausreisen müssen, sollen einfacher in Gewahrsam genommen werden können. Sanktionen wie ein Arbeitsverbot soll es für diejenigen geben, die nicht mithelfen, ihre Identität zu klären. Auf der anderen Seite soll die Einwanderung von Fachkräften erleichtert werden. Vorgesehen ist zudem auch ein Gesetz zur Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung.
Kritik kommt von der Opposition und darüber kann ich jetzt sprechen mit Filiz Polat. Sie ist Sprecherin für Migrationspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Frau Polat!
Filiz Polat: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Härtere Regeln für Rückführungen, Abschiebungen von Asylsuchenden, die schon abgelehnt sind, die sollen forciert werden. Was ist daran falsch?
Polat: Na ja, wir erleben in dieser Woche im Deutschen Bundestag nach 1993 die schärfsten Eingriffe in das Asylrecht von Geflüchteten und unverhältnismäßige Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte. Die Gesetze, die uns vorliegen, sind ein Katalog der Entrechtung und Inhumanität, denn auch für abgelehnte Asylbewerber gilt unser Grundgesetz, und hier werden nicht wenige Grundrechte in verschiedener Weise gebrochen.
Das Problem sind nicht die Geflüchteten, sondern das Problem ist, dass diese Bundesregierung dem rechten Kurs der AfD folgt, Flüchtlinge kriminalisiert, sie als Identitätstäuscher general pauschal abtut und die Gesetze sich konterkarieren, weil wenn wir von abgelehnten Asylbewerbern sprechen, sprechen wir ja genau von denjenigen, wo Unternehmen sagen, die sind jetzt schon so lange hier, die haben sich hier integriert, wir sind aufgefordert, sie zu integrieren, und wir wollen eigentlich ein Bleiberecht für diese Personen.
"Eine Duldung light"
Kaess: Um die geht es ja nicht nur. Wo sehen Sie denn Grundrechte gebrochen?
Polat: Es wird quasi eine neue Duldung eingeführt, eine sogenannte Duldung light. Das verstößt gegen Urteile des Bundesgerichtshofes. Man sagt, es kann keinen Status unter einem Status geben. Der Anwaltsverein spricht von der Entrechtung der zukünftigen Mandantinnen und Mandanten. Mit diesem Status ist verbunden, dass man ein Ausbildungsverbot hat, ein Beschäftigungsverbot, man bekommt eine Wohnsitzauflage und man wird unter das garantierte menschenwürdige Existenzminimum gekürzt, das für alle Menschen gleich ist, unabhängig von der Herkunft und des Aufenthaltsstatus.
Kaess: Aber, Frau Polat, wenn ich das richtig verstanden habe, ist genau das als Sanktion gemeint, wenn zum Beispiel Asylsuchende nicht wirklich mithelfen, zum Beispiel ihre Identität zu klären.
Polat: Genau, und das ist das Bild, was ich vorhin skizziert habe. Es wird dieser Personenkreis der ausreisepflichtigen Personen unter den Generalverdacht gestellt, dass sie Identitätstäuscher sind. Aber schaut man sich die Gruppe an, muss man einfach feststellen, dass erstens 130.000 von diesen 180.000 Geduldeten, die aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen Abschiebungshindernisse haben – 133.000 sind erwerbsfähig, von diesen 180.000 sind über 50.000 Kinder und Jugendliche und die größte Gruppe unter diesen Menschen sind Afghaninnen und Afghanen, von denen ungefähr 14 Bundesländer sagen, in dieses Land schieben wir nicht ab, und aus unserer Sicht zurecht. Diese Menschen als Identitätstäuscher zu kriminalisieren, das halten wir für falsch, und deswegen …
Das wünschen sich auch viele in der Zivilgesellschaft
Kaess: Warum ist das ein Generalverdacht, wenn konkret in einem Einzelfall Sanktionen verhängt werden? Was hat das mit Generalverdacht zu tun?
Polat: Das hat mit Generalverdacht zu tun, weil man erst mal diesem Personenkreis unterstellt, dass sie den Staat betrogen haben. Es wird von Illegalen gesprochen. Nehmen wir noch mal die Gruppe der Afghanen. Die sind gekommen, weil sie aus einem Kriegsland kommen und hier um Schutz gebeten haben. Viele von den Afghaninnen und Afghanen sind abgelehnt worden und diejenigen, die gegen diesen Bescheid geklagt haben – wir wissen um die Qualität der Bescheide des Bundesamtes -, haben zu 30 Prozent recht bekommen.
Diese Menschen sind jetzt geduldet, sie sind keine Asylberechtigten, haben aber die Möglichkeit, in ein Bleiberecht zu kommen. Das wünschen sich auch viele in der Zivilgesellschaft, viele Flüchtlingsinitiativen, und wir wissen, dass sie Afghanen sind. Sie täuschen nicht über ihre Identität. Es ist aber praktisch für sie nicht möglich, an Identitätsdokumente zu kommen, und hier wird ein falsches Bild gezeichnet und es wird eine Mitwirkung suggeriert, die die Betroffenen gar nicht beibringen können.
Kaess: Jetzt sagt die Union aber oder weist noch mal darauf hin, dass im letzten Jahr es mehr gescheiterte Rückführungen gab als solche, die tatsächlich vollzogen wurden. Und vor diesen Entscheidungen steht ja ein Verfahren. Sehen Sie hier keinen Handlungsbedarf?
Polat: Ganz ehrlich: Auch in der Sachverständigenanhörung wurde deutlich – wir hatten am Montag die Expertinnen und Experten zu dem Gesetzespaket gehört und es wird wirklich versucht, dieses Vollzugsdefizit, was die Union selber als regierende Fraktion darstellt, wird widerlegt, sehr eindeutig. Der Paritätische Gesamtverband hat deutlich gemacht die Zahlen für 2018. Wir hatten 19.000 rechtskräftig festgestellte Ausreisepflichtige und im gleichen Jahr sind 18.000 abgeschoben worden. Und dann sind 2018 41.000 rechtskräftig Abgelehnte ausgereist.
Kaess: Da sagt die Union, wenn ich da mal kurz einhaken darf, das sind natürlich nur die Zahlen vom letzten Jahr und das geht ja alles schon viel länger zurück.
Polat: Das ist richtig.
Kaess: Ich möchte an der Stelle mal kurz einspielen, was Thorsten Frei, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender, gestern dazu im Deutschlandfunk gesagt hat.
O-Ton Thorsten Frei: Wir reden hier immer über die letzte Möglichkeit. In keinem Fall ist es so, dass Menschen einfach von der Polizei abgeholt und zum Flughafen gebracht werden, sondern natürlich haben wir jedes Mal das Ziel der freiwilligen Ausreise. Und das wird auch mehrfach versucht! Wir sprechen hier über Leute, die in der Regel Identitätstäuscher sind, Mitwirkungsverweigerer sind, die letztlich alles dafür tun, um ihre Ausreise aus Deutschland zu verhindern, obwohl sie keine Flüchtlinge sind, obwohl sie kein Bleiberecht haben. Und da geht es um Rechtsdurchsetzung!
"Wir haben kein Vollzugsdefizit"
Kaess: Soweit Thorsten Frei. Und er hat es noch mal betont: Es geht hier um die Umsetzung von geltendem Recht.
Polat: Genau. Aber wie gesagt, wir haben kein Vollzugsdefizit. Diejenigen, die über ihre Identität täuschen, die eine Straftat begehen, eine schwere Straftat, da sind die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes schon jetzt gegeben, und die werden auch abgeschoben. Ich habe gerade die Zahlen für 2018 genannt; man kann das aber auch für die Jahre davor skizzieren.
Kaess: Wieso sagen Sie, dass es kein Vollzugsdefizit gibt, wenn die Union auf der anderen Seite sagt, dass es im letzten Jahr – ich habe es schon mal angeführt an dieser Stelle – mehr gescheiterte Rückführungen gab als die, die tatsächlich dann durchgesetzt worden sind?
Polat: Ja, das Interessante ist ja – ich habe das Interview von Herrn Frei nachlesen können -, dass sie die Zahlen nicht beibringen können. Wir haben mehrfach nachgefragt, aus welchen Gründen die Abschiebungen scheitern, und er sagt oder die Union sagt immer wieder, weil die Menschen untergetaucht sind, und das ist nicht belegbar. Wir müssen nur einfach mal die Zahlen aus Bayern kennen. Auch hier die Gruppe der Afghaninnen und Afghanen, weil sie die größte Gruppe der Ausreisepflichtigen ist.
Kaess: Frau Polat, da kommt die Musik im Hintergrund. Wir müssen leider an der Stelle einen Punkt machen, weil wir auf die Nachrichten zulaufen.
Polat: Gut.
Kaess: Ich glaube, Ihre Ansicht ist klar geworden. – Vielen Dank für das Interview.
Polat: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.