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Gesicht und Bedeutung

Greta Garbo habe ein Gesicht, in dem man sich verlieren könne wie in einem Liebestrank - so beschrieb Roland Barthes das Gesicht des Filmstars. Mit Filmstars verbindet man in unserer Kultur aber nicht nur Gesichter. Medienikonen wie Madonna und Brigitte Bardot stehen auch für bestimmte Eigenschaften oder Ereignisse.

Von Ute Krupp | 15.09.2004
    In der Werbung, in der Politik, dem Film oder der Fotografie sind Gesichter der Schauplatz für Beschreibungen und Zuschreibungen. Das Gesicht ist eine starke Organisation, so der Titel des von Petra Löffler und Leander Scholz herausgegebenen Buches, in dem Vorträge zum Thema Gesicht gesammelt sind.

    "Urgesicht und Ungesicht" heißt das erste Kapitel. In verschiedenen Aufsätzen geht es um eine differenzierte Wahrnehmung von Gesichtern, darum, was Mensch und Tier, was Kinder und Erwachsene verbindet - beziehungsweise unterscheidet. Das Gesicht steht im Mittelpunkt der Beobachtungen, und zwar als Schauplatz von Gefühlen, als Ausdruck unmittelbarer oder gespielter Mimik - als Ort der Kommunikation. Die nicht-verbale Kommunikation ist etwas, was Kinder, Tiere und Außerirdische, die man aus Filmen kennt, miteinander verbindet. Das Gesicht beschreibt Identität, aber auch die Differenz verschiedener Lebewesen. Wieso im Science Fiction gerade die Kombination aus Verwandtschaft und Differenz verschiedener Lebewesen das Spannende sein kann - oder wieso die unterschiedlichen Sprachen von Mensch und Tier eine Sprachphilosophie wie die von Wittgenstein hervorgerufen haben, darum geht es unter anderem im ersten Teil des Buches.

    Neben Identität und Differenz kann ein Gesicht auch für Abweichungen stehen. Die Zuschreibung von Normalität und Abweichung, dieser Aspekt ist für Mediziner und Kriminologen, wenn es um Krankheit oder Verbrechen geht, wichtig. Mit Zuschreibungen, aber auch mit Selbstmodellierung beschäftigt sich das zweite Kapitel. In diesem Zusammenhang reflektiert Thomas Morsch den Begriff der Schönheit. Schönheit wird im Zeitalter der Medien nicht mehr als etwas Auratisches gesehen, sondern als herstellbar und produzierbar. Thomas Morsch greift Diskurse zum Thema Schönheit auf, diskutiert mediale Inszenierungen, dabei zeigt er, dass Schönheit heute nicht mehr als das Gegenteil von etwas gesehen wird, als etwas Außergewöhnliches, sondern Teil der Normalität ist. Und diese Normalität ist - dank verfügbarer operativer Möglichkeiten - für jeden beziehungsweise jede zu haben. Das ideale Gesicht ist nichts außergewöhnliches mehr. Das Verhältnis von Normalität und Ideal hat sich dadurch verändert in den letzten Jahrzehnten.

    Mit dem Verhältnis von Realität und Fiktion setzt sich Susanne Regener auseinander. Dieses wurde ihrer Meinung nach durch das Attentat des 11. September neu konstelliert, denn die mediale Verarbeitung der Bilder des 11. September habe zu einer großen Verunsicherung geführt, so ihre Argumentation. Man sprach damals auch von Fakes. Jedenfalls, das ist ihre These, kamen erhebliche Zweifel an den Informationen auf, die über die Bilder im Fernsehen vermittelt worden sind, diese Bilder schienen nicht unbedingt die Realität abzubilden. Außerdem befasst sich Frau Regener im Zusammenhang mit dem 11. September auch mit Zeichenwelten, unter anderem damit, was in der westlichen Kultur als gut, was als böse beschrieben wird. Die Politik definiert sich sehr über Gesichter. Die Gesichter der Drahtzieher des 11. September sehen alle normal aus - nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten, in denen die Gesichter von Verbrechern degeneriert oder anormal waren. Susanne Regener zeigt, dass das Gesicht an sich heute nichts mehr über die Normalität des Menschen aussagt - diese wird über Zuschreibungen wie gut oder böse hergestellt und politisch eingesetzt.

    Während es im zweiten Teil des Buches um Gesichter im medialen Zusammenhang geht, um Bedeutungszusammenhänge, die im medialen Kontext entstehen, beschäftigen sich die Autoren im letzten Kapitel unter anderem mit künstlerischen Produktionen, die historische und medientechnische Zusammenhänge reflektieren. Ein Beispiel dafür ist Rosemarie Trockel. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten häufig mit Medienikonen - greift dabei auf Stilisierungen von Gesichtern zurück, verändert den Kontext, reduziert die Oberfläche beispielsweise auf eine Frisur, also auf etwas, das stellvertretend für eine Person stehen kann. Ähnlich wie einige ihrer Kollegen interessiert Trockel sich für die Bedeutungen, die Gesichter vermitteln, für die Kommunikation, die aufgrund von Bildern entsteht, die als ideal inszeniert werden. Arbeiten wie ihre, die sich mit Visualisierungstechniken beschäftigen und Gesichter in den Mittelpunkt der künstlerischen Produktion rücken, werden im letzten Kapitel ausführlicher, auch bildlich, dargestellt.

    Das Buch gibt einen Überblick über die Orte, an denen Gesichter in Szene gesetzt werden - über Bedeutungen, Interpretationen und Techniken der Wiedergabe von Gesichtern. Neue Zusammenhänge können so entstehen oder alte aufgelöst werden. Ein Gesicht kann einfach ein Gesicht sein - oder es kann öffentliche Meinungen zum Ausdruck bringen oder zum Schauplatz für Projektionen jeder Art werden. Die beiden Herausgeber Löffler und Scholz haben Aufsätze zusammengestellt, die dieses Spektrum zum Ausdruck bringen und so ein interessantes und lesenswertes Buch gemacht.


    Petra Löffler / Leander Scholz
    Das Gesicht ist eine starke Organisation
    DuMont, 350 S., EUR 24,90