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Gestatten: Die Neuabgeordnete Nina Scheer

Sie gehört zu den vielen Neuabgeordneten des Deutschen Bundestages, die vom normalen ins parlamentarische Leben gewählt wurden: Nina Scheer, 42, eigentlich studierte Musikerin, jetzt für die SPD im Einsatz. Vom Promibonus wegen ihres Politikervaters Hermann Scheer will sie aber nichts wissen.

Von Frank Capellan | 10.10.2013
    Nina Scheer spielt auf der Violine. Eine Sozialdemokratin gibt Bach. Zuerst die Musik, dann die Politik. Diese Reihenfolge galt lange für die 42-Jährige: Obwohl sie aus einem politischen Elternhaus kommt, tritt sie erst einmal nicht in die Fußstapfen ihres prominenten Vaters. Nach der Schule entschließt sie sich zum Musikstudium, Hauptfach Violine. "Aber klar", sagt sie heute, ein engagierter Mensch war sie auch damals schon.

    "Als Geigenstudentin in Essen, damals habe ich mich dann auch für die Belange des Orchesterkurses eingesetzt, hab mich da zur Orchestersprecherin wählen lassen. Auch als Klassensprecherin in der Schule gab es schon politisch motiviertes Engagement!"

    Jetzt erreicht dieses Engagement einen vorläufigen Höhepunkt. Aus der Musikerin ist eine Bundestagsabgeordnete geworden. Ich treffe Nina Scheer dort, wo sich die Altgedienten des Berliner Politikbetriebes gerne einfinden: Cafe Einstein, Unter den Linden. Die Frau mit den langen dunklen Haaren setzt ihre Hornbrille ab, greift zu einer Tasse Minztee, nimmt einen Schluck und beginnt zu erzählen, warum sie ihrem Musik- noch ein Jurastudium folgen ließ. Weil sich zu Hause immer alles um Politik drehte.

    "JA! Politik war der ständige Begleiter, an den Stellen, an denen ich es nicht immer inhaltlich nachvollziehen konnte, gab es von meiner Seite auch mal eine kleine Rebellion; aber alles in allem habe ich das immer als ein ganz selbstverständliches Element des Daseins auch empfunden einer Zeit, in der ich vielleicht, sechs, sieben, acht Jahre alt war."

    Heute ist der Ausbau der erneuerbaren Energien ihr zentrales Thema. Seit 2007 ist sie Geschäftsführerin von "Unternehmensgrün", einem Zusammenschluss von Unternehmern, für die Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sind.

    "Ich möchte gerne daran mitwirken, die Energiewende schnell voranzubringen. Ich finde, gerade in dem Zeitfaktor steckt eine ganz entscheidende Aufgabe, die wir zu bewältigen haben, mit Blick auf Klimawandel, aber auch die fossile Ressourcenverknappung."

    Der Name Scheer verpflichtet, werfe ich ein. Sie schüttelt den Kopf. Sie möchte nicht auf die Tochter von Hermann Scheer reduziert werden. Und sie möchte auf keinen Fall den Anschein erwecken, als stelle sie in der Fraktion Ansprüche allein wegen ihres Namens. Dass die Fragen nach dem 2010 im Alter von 66 Jahren verstorbenen Vater kommen, ist ihr klar – gern hört sie sie nicht. Schon 1999 erhielt Hermann Scheer den Alternativen Nobelpreis, neben Anerkennung erlebte er auch Anfeindungen. Auch in der eigenen Partei. Hermann Scheer war unbequem, auch als Mitglied des SPD-Vorstands. 2009 etwa, als er sauer war, weil die SPD-Führung nach dem Wahldebakel allzu selbstherrlich über die Zukunft der Genossen entschied.

    "Dass in einem Hauruckverfahren fast putschistisch, 48 Stunden nach der Wahl, bevor eine Diskussion stattgefunden hat, ein solcher Akt der Selbstnominierung eines kleinen Personenkreises stattgefunden hat, dieses ist, offen gesagt, nicht erträglich."

    War der Vater ein Mann, der aneckte, weil er aussprach, was er dachte - ist das ein Ansporn auch für ihre Art, Politik zu machen? Nina Scheer weicht aus.

    "Ich hab die Zeit nach 2009 ähnlich erlebt wie er, auch mit einer gewissen Empörung. Und ich muss auch sagen, jeder wählt seine eigenen Wege, sich Gehör zu verschaffen. Ich empfinde mich als jemanden, der Klartext spricht, auch wenn ich vielleicht an der einen oder anderen Stelle es anders gemacht hätte als mein Vater, der als Klartext-Redner bekannt war."

    Ein Blick zur Uhr, Zeit zu zahlen. Ihre künftige Büroleiterin wartet schon auf sie. Am Tisch gegenüber sitzt Klaus Ernst, einst Chef der Linkspartei. Rot-Grün war auch ihr Traumbündnis, sagt Nina Scheer, aber als Mitglied des linken Flügels ihrer Partei macht sie auch keinen Hehl daraus, dass sie Rot-Rot-Grün lieber nicht ausgeschlossen hätte.


    Nur ein kurzer Fußweg ist es bis zum Reichstag. Gleich wird Nina Scheer als MdB zum dritten Mal an einer Fraktionssitzung der SPD teilnehmen. Wir laufen vorbei an Abgeordnetenbüros – sie hat noch keines und keine Ahnung, wo sie mit ihren Mitarbeitern landen wird.

    "Nein! Das weiß ich noch nicht, aber das ist, glaube ich, auch ein ganz normaler Gang des Verfahrens. Erst mal müssen ja noch die ausscheidenden MdBs ihre Räumlichkeiten räumen und dann muss natürlich neu sortiert werden, wo wer hinkommt!"

    Dann steht sie im dritten Stock des Reichstages, vor der Fraktion. Durch dicke Glasscheiben lässt sich ein Blick tief hinunter in den Plenarsaal erhaschen. Auf welchem der blauen Stühle wird Nina Scheer in der konstituierenden Bundestagssitzung am 22. Oktober Platz nehmen?

    "Gut, das wird sich zeigen. Es sind ja ein paar mehr geworden in der SPD. – Capellan: Werden Sie da als Oppositionsabgeordnete sitzen oder doch eher als Mitglied einer Regierungsfraktion? Noch niemand kann was darüber sagen, der Weg dahin bedeutet, scharf auf die Inhalte zu gucken, die uns dahin führen, in welche Richtung auch immer."

    Da ist sie schon ganz diplomatisch, so wie die alten Hasen im Deutschen Bundestag. Nur mit Blick auf ihre musikalische Ader, die sie mit ein paar anderen Abgeordneten teilt, macht sie eine klare Ansage. Ein kleines Parlamentsorchester, fraktionsübergreifend, lacht sie, ja das hätte was.

    "Vielleicht mach ich mal ne Rundmail: Aufruf zum Streichquartett oder so was in der Art ..."

    Immer am Tag vor der Sitzung des Haushaltsausschusses, fügt sie noch augenzwinkernd hinzu. Dann ist sie weg. Im Fraktionssaal …