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Gestörte Ökosysteme machen krank

Biologie/Medizin. - Die biologische Vielfalt hat nicht nur für den Naturschutz, sondern auch für die Gesundheit der Menschen enrome Bedeutung. Denn immer mehr Forscher warnen vor einem unheilvollen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden von Arten und der Ausbreitung neuer infektiöser Krankheiten.

Von Monika Seynsche | 26.04.2012
    Felicia Keesing lacht viel, wenn sie redet. An diesem Abend steht die Biologieprofessorin im lauten Flur eines Konferenzgebäudes in London, hat einen langen erhitzten Vortrag hinter sich und einen Flug zurück ans Bard College in New York vor sich. Dort untersucht sie die Verbreitung von Krankheiten, die im Nordosten der USA durch Zecken übertragen werden.

    "Wir sehen einen sehr klaren Zusammenhang zwischen der Größe ungestörter Waldgebiete und der biologischen Vielfalt die sie beherbergen. In den kleinsten Wäldern kommen am wenigsten Arten vor; und das sind in der Regel genau solche Arten, die die Verbreitung von Krankheiten fördern. In unserem Fall bedeutet das: je kleiner das Waldgebiet, desto größer die Gefahr für Menschen, sich dort mit Lyme-Borreliose, Babesiose oder anderen durch Zecken übertragenen Krankheiten zu infizieren."

    Wird ein Ökosystem gestört, sind nicht alle Pflanzen- und Tierarten gleichermaßen betroffen. In der Regel verschwinden zuerst die Spezialisten, die Arten also, die relativ hohe Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Im Nordosten der USA ist das zum Beispiel das Nordoppossum. Eine Säugetierart, die Zecken in ihrem Fell sehr effizient tötet und dadurch die Verbreitung der Lyme-Borreliose unterdrückt. Verschwindet das Nordoppossum, übernehmen genügsame Opportunisten das Feld, wie die Weißfußmaus. Auf ihr können infizierte Zecken recht unbehelligt leben und den Erreger weitertragen.

    "Wir denken, dass zwei Dinge eine Rolle spielen: Zum einen sind Ratten, Mäuse und andere solcher – ich nenn sie mal etwas salopp "Unkrautarten” - deshalb so erfolgreich in gestörten Ökosystemen, weil sie so gut wie überall leben können. Sie sind in der Regel klein, bekommen sehr schnell sehr viel Nachwuchs und sterben früh. Für viele Krankheitserreger sind sie deshalb die idealen Wirte, weil sie hartnäckig und zahlreich sind."

    Zum anderen mehren sich in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise darauf, dass diese Arten weniger Aufwand in ihr Immunsystem stecken und sich in erster Linie auf die angeborene Immunantwort verlassen.

    "Wenn Sie eine Ratte oder eine Maus sind, dann leben Sie sowieso nicht lange. Also lohnt es sich für Ihr Immunsytem gar nicht, viel Aufwand zu betreiben, um sich gegen wiederkehrende Krankheitserreger zu wappnen. Wenn wir Menschen dagegen Grippe bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass wir sie im gleichen Jahr noch mal bekommen. Denn unser Immunsystem hat gelernt, den Erreger zu erkennen."

    Diese erworbene Immunantwort ist ein Markenzeichen aller Wirbeltiere. Auch Ratten und Mäuse haben sie. Felicia Keesings Theorie zufolge investieren solche opportunistischen Arten aber weniger Energie in ihre erworbene Immunantwort, als es Spezialisten tun.

    "Diese "Nicht-Unkrautarten” sind in der Regel Arten, die länger leben und größer sind. Und weil sie länger leben, gehen wir davon aus, dass sie mehr Aufwand in ihre erworbene Immunantwort stecken und sich deshalb auch besser gegen wiederkehrende Erreger verteidigen können. Sie werden den Erreger los und geben ihn nicht einfach so weiter. Außerdem sind diese Arten schlicht und ergreifend nicht so häufig. Selbst in ungestörten Ökosystemen leben große Säugetiere nicht so dicht beeinander, wie die kleineren "Unkrautarten” es tun."

    Das mache sie noch einmal unattraktiver für Krankheitserreger, sagt Felicia Keesing. Jim Mills schätzt die Arbeit der Biologin als sehr interessant ein. Der pensionierte Medizinökologe hat viele Jahre bei der CDC gearbeitet, der amerikanischen Behörde zur Kontrolle von Infektionskrankheiten. Für ihn dient der Erhalt der biologischen Vielfalt dem Schutz der Menschen.

    "Es gibt Möglichkeiten, Biodiversität zu bewahren, selbst dort, wo der Mensch in die Natur eingreifen muss. Roden Sie nicht einen kompletten Wald, sondern lassen Sie einzelne Habitate unberührt. Pflanzen Sie nicht überall Zuckerrohr- oder Sojaplantagen. Und je größer Sie diese natürlichen Inseln lassen, desto mehr Vielfalt können Sie bewahren."

    Eine Vielfalt, die nicht nur den Tieren und Pflanzen nützt, sondern auch Menschenleben retten kann.