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Gestörten Zellteilung als Ursache für Alzheimer

Neurologie. - Verhalten sich Nervenzellen wie Tumorzellen und verursachen so Alzheimer? Eine auf den ersten Blick unsinnige Frage, denn Nervenzellen können sich nicht teilen, können also nicht durch unkontrolliertes Wachstum eine Krankheit auslösen. Doch Leipziger Wissenschaftler entdeckten, dass auch Nervenzellen zumindest versuchen sich zu teilen. Ihre Theorie: Die gestörte Zellteilung könnte eine Ursache für Alzheimer sein.

Von Hartmut Schade | 17.10.2007
    Sind in unserem Gehirn Dr. Jekyll und Mister Hyde zugange? Auf diesen Vergleich kam der Leipziger Hirnforscher Professor Thomas Arendt durch eine überraschende Beobachtung: In Gehirnzellen von Alzheimer-Patienten entdeckte er drei oder gar vier DNA-Stränge. Hinweis auf eine beginnende Zellteilung, bei der das Erbgut zunächst verdoppelt werden muss. Doch bei Nervenzellen ist eine Teilung ausgeschlossen.

    " Und an diesem Dilemma, des begonnenen Zellteilungsprozesses und dem gleichzeitigen Unvermögen diesen Prozess zu vollenden, sterben sie offensichtlich. "

    Die Fähigkeit, sich zu teilen, besitzen alle Zellen, auch die Vorläuferzellen der Nerven. Doch während Körperzellen diese Fähigkeit bewahren, übernimmt die Teilungsmaschinerie in den ausgereiften Nervenzellen andere Aufgaben.

    " Wir nehmen an, dass diese darin bestehen, dass sie die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, die wir als Synapsen bezeichnen, also letztendlich die Verknüpfung im neuronalen Netzwerk reguliert. Also eine neue Eigenschaft, derer nur Nervenzellen bedürfen, übernimmt. Und damit aber gleichzeitig die Gefahr besteht, dass wieder ein falsches Umschalten in dieses alte Programm Zellteilung erfolgt. Wir haben das bezeichnet als die Dr.-Jekyll-and-Mr.-Hyde-Theorie. "

    Dem Jekyllschen Wirken des Zellteilungsprogramms verdanken wir also unsere Fähigkeit zum Denken, zum Bewusstsein. Als Mister Hyde beraubt es uns genau dieser Fähigkeiten, indem es die Nervenzellen allmählich sterben lässt. Über die Gründe für den Wandel von Jekyll zu Hyde, mutmaßt Thomas Arendt:

    " Dass also Störungen in der plastischen Verknüpfung von Nervenzellen im Netzwerk letztendlich die Ursachen dafür sind, das die Zellteilungsmechanismen wieder aktiviert werden. "

    Dafür spricht, dass ein Vorgänger-Eiweiß, aus dem die Amyloidplaques, also die Ablagerungen zwischen den Nervenzellen, am Verknüpfen von Nervenzellen beteiligt ist. Die Eiweißklumpen sind für Thomas Arendt deshalb ein Zeichen für Reparaturversuche des Gehirns, nicht aber die eigentliche Ursache für der Alzheimersche Erkrankung. Doch warum verhalten sich Nervenzellen anders als Körperzellen, warum teilen sie sich nicht einfach und ersetzen so kranke graue Zellen?

    " Es ist offensichtlich für ein komplexes Netzwerk günstiger, dass zu unterbinden, weil es schwieriger ist, das Resultat einer Zellteilung, eine neue Zelle, noch zu integrieren. "

    Stimmt Thomas Arendts Theorie der gestörten Zellteilung als Ursache für Alzheimer ergeben sich völlig neue Therapieansätze. Denn schlüpfen Nervenzellen in die Rolle des Mister Hyde, dann verhalten sie sich ähnlich wie Tumorzellen.

    " Der initiale Schritt, der Verlust der Kontrolle über die Zellteilung ist aus unserer Sicht ähnlich. Und das bedeutet eben auch, dass wir dort Angriffspunkte für therapeutischen Eingriffsmöglichkeiten sehen. Die könnten also eines Tages wahrscheinlich mal sehr ähnlich sein zwischen Tumorerkrankung und Alzheimerscher Erkrankung. "

    In Arendts Labor laufen schon die ersten Mäuse, denen die Leipziger Forscher ein Gen eingepflanzt haben, das einen Zellteilungshemmer produziert, der nur im Gehirn wirkt.

    " Man kann an der Maus, das ist vom Menschen noch sehr weit weg, zeigen, dass eine Schädigung von Nervenzellen geringere Ausmaße hat, wenn diese Gen angeschaltet ist. Und wir wollen das im weiteren fortführen, durch Entwicklung einer Gentherapie mit der Zielstellung dann, diese Gene in die Hirne von Alzheimerpatienten einzubringen und dort ganz genauso diesen Prozess abzuschalten. "

    Eine Gratwanderung für die Forscher, denn es darf nur die Zellteilung im Gehirn lahmgelegt werden, nicht aber die der Körperzellen. Offen ist auch die Frage, welche Konsequenzen das Ausschalten des Mister Hyde hat. In Stevensons Novelle führt dies auch zum Tode von Jekyll. Aber Literatur ist nicht Hirnforschung, und so weit will auch Thomas Arendt die Metapher von Jekyll und Hyde in unserem Kopf nicht strapazieren.