Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gesucht auch für Grundschule: Chemie, Physik, Musik

Ich halt das einfach für ne richtige Sache im Leben, dass man sein Wissen weitergibt, ganz vergröbert gesagt. In Jugendliche zu investieren, ist ne Sache, wofür sich wirklich Aufwand lohnt.

Von Elske Brault | 20.05.2004
    Thomas Weiss, 30 Jahre alt, hat sich sein Informatikstudium mit Jobs in der Freien Wirtschaft finanziert. Dort könnte er das Doppelte verdienen - und dennoch will der Diplominformatiker Lehrer werden. Er studiert jetzt Mathematik auf Lehramt. Der Quereinstieg ins Referendariat wäre für ihn eine Abkürzung auf dem Weg zum Lehrerberuf. Deswegen hat er sich in Hamburg beim Amt für Schule beworben - nicht gerade die Sorte Seiteneinsteiger, die die zuständige Beamtin Monika Knebel-Pasinski händeringend sucht.

    Also die meisten brauchen wir für die beruflichen Schulen, für Elektrotechnik und Metalltechnik. Da würden wir im Moment sogar noch den roten Teppich ausrollen, denn da haben wir, wenn ich mir das anschaue, 16 Plätze für Elektrotechnik und eine Bewerbung. Und 17 Plätze für Metalltechnik und zwei Bewerbungen.

    Von den dreitausend Bewerbungsmappen, die jährlich auf ihrem Schreibtisch landen, schickt Monika Knebel-Pasinski zwei Drittel sofort zurück. Denn die Bewerber haben nur die Fachhochschulreife. Und ein Universitätsabschluss ist nun mal Bedingung. Fünf Jahre Berufserfahrung sollte man mitbringen und möglichst erste Erfahrungen als Ausbilder. Thomas Weiss zum Beispiel gibt an der Universität Übungskurse für Erstsemester. Damit verdrängt er die meisten Konkurrenten.

    Wenn wir das eingegrenzt haben, dann sind es etwa 150, 200, kommt der Schritt, dass wir zuerst persönliche Gespräche führen, sie einladen zum Vorstellungsgespräch, und anschließend in eine Schule schicken.

    Thomas Weiss landete im Gymnasium Osdorf und schaute dort bei fünf Mathematikstunden zu. Der so dringend benötigte Elektrotechniker hätte sein erstes Vorstellungsgespräch an der Staatlichen Gewerbeschule für Informations- und Elektrotechnik bei Schulleiter Dietmar Richter.

    Was wir brauchen, ist eigentlich ein Ingenieur der Informationstechnik, ich betone Technik, der zum Beispiel in Netzwerktechniken, in Computertechnik, in Betriebssystemen Bescheid weiß. Und solch einen Bewerber erwarten nicht nur zufriedene, motivierte Auszubildende, sondern auch Realschüler, die keine Lehrstelle bekommen haben und nun als Berufsfachschüler quasi zwischengeparkt sind.

    Der Lehramtskandidat muss sich darauf einstellen, dass manche seiner Schüler nur sporadisch zum Unterricht erscheinen. Dass sie ihre Hausaufgaben nicht machen, dass sie Arbeitsblätter, die ihnen ausgeteilt werden, überhaupt nicht lesen, dass sie dann schlechte Klassenarbeiten schreiben, sich dann sehr sehr wundern, überhaupt nicht verstehen, dass sie durch ihr mangelndes Lernverhalten die Ursache dafür sind.

    Wen Unterricht auch in solchen Klassen nicht schreckt, der darf eine erste Unterrichtsprobe abliefern.

    Es zeigt sich dann immer wieder, ob derjenige vor der Klasse auf Fragen der Schüler eingehen kann, oder ob er sich nur hinstellt und doziert zum Beispiel, so einen Menschen können wir hier an der Berufsschule überhaupt nicht gebrauchen.

    Und natürlich auch nicht anderswo: Thomas Weiss hat bei seiner Unterrichtsprobe in einer zwölften Klasse des Gymnasiums Osdorf darauf geachtet, die Schüler von Anfang an mit einzubeziehen.

    Und dann hab ich mir erstmal die Frage gestellt: Was will ein Schüler mit der Winkelberechnung? Winkel findet man typischerweise überall, aber die kann ich ausmessen, die muss ich nicht berechnen.

    Also köderte der 30jährige die Klasse mit einem Beispiel aus dem Bereich Film. Mit etwas, das garantiert jeder Jugendliche schon einmal gesehen hat.

    Ja, wenn also Raumschiff Enterprise irgendwie fliegt, ja das ist ja alles vom Computer berechnet. Da ist ja nichts mehr ein reales Modell. Und damit die Schattierungen auf diesem Modell richtig dargestellt werden können, muss man Winkel ausrechnen, ganz viele. Wie kommt das Licht auf das Raumschiff, in welchem Blickwinkel ist man selber zu dem Raumschiff - sowas in der Art.

    Winkel als Lichtstrahlen denken - das half den Schülern wirklich. Da machte es dann wenig, dass Thomas Weiss an der Tafel kläglich scheiterte.

    Ich wollte eben zum Schluss ne Formel schön umranden, und die Formel war dann mehr oder weniger verstreut über die Tafel.

    Nun müssen Schulleiterin und Beisitzerin entscheiden, ob sie Thomas Weiss für den direkten Weg zum Referendariat empfehlen. In zwei bis drei Jahren würde er ihn ja ohnehin antreten. Mit guten Chancen auf eine Festanstellung. Mathematik und Informatik gehören zu den gesuchten Fächern wie Chemie und Physik. Denn dort können Hochschulabgänger in der freien Wirtschaft mehr verdienen. Thomas Weiss geht es eben gerade nicht ums Geld.

    Ich weiss, dass ich ne gewisse Freiheit habe, den Stoff aufzubereiten. Und da wird mich auch keiner daran hindern, dass ich das gut mache. Und in der freien Wirtschaft hab ich einfach erlebt, dass ich daran gehindert wurde.