Freitag, 19. April 2024

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Gesundheitspolitiker zu Feinstaubwerten
"Wir brauchen hier eine Neubewertung"

Solange die wissenschaftliche Sicherheit nicht gegeben sei, solle man sehr zurückhaltend mit Fahrverboten umgehen, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel (CDU) im Dlf. Ihn hätten fundierte Studien bisher nicht voll umfänglich überzeugt, so Rüddel.

Erwin Rüddel im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.01.2019
    Feinstaubmessstation an der Schwarzwaldstrasse in Freiburg
    Erwin Rüddel forderte die Kommunen auf, den Standort ihrer Mess-Stationen für die Feinstaubbelastung zu überprüfen. (picture alliance / dpa / Winfried Rothermel)
    Christiane Kaess: Die Meldung sorgte gestern für einiges Aufsehen. Mehr als 100 Lungenärzte haben in einem Positionspapier den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide bezweifelt. Sie sähen keine wissenschaftliche Begründung, die die geltenden Obergrenzen rechtfertigen würde, heißt es da. Viele Studien, die Gefahren durch Luftverschmutzung zeigen sollen, hätten erhebliche Schwächen. Diese Studien sind aber Grundlage für die Grenzwerte und weil diese in vielen deutschen Städten nicht eingehalten werden, gibt es Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Das Papier hat eine heftige Diskussion ausgelöst.
    Mitgehört am Telefon hat Erwin Rüddel von der CDU. Er ist der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Rüddel.
    Erwin Rüddel: Guten Morgen.
    "Hier geht es um Gesundheit und nicht um Ideologien"
    Kaess: Jetzt haben wir auf der einen Seite diese Studienergebnisse und dann diese Stellungnahme auf der anderen Seite von einigen Lungenärzten. Welcher Seite schenken Sie denn mehr Glauben?
    Rüddel: Ich bin am zweifeln, ob 40 Mikrogramm der richtige Wert ist. In dem letzten Beitrag haben wir ja gehört, dass man glaubt, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Also kann sie nach der Aussage nicht bei 40 Mikrogramm liegen. Ich denke, wichtig ist, dass wir Gesundheitsschutz als oberstes Ziel nehmen, und ich habe auch gleichzeitig das Gefühl, dass unsere Chancen, auch diese niedrigen Werte einzuhalten, nicht alle ausgeschöpft werden. Der Bund gibt relativ viel Geld, damit Kommunen entsprechend kommunale Fahrzeuge umrüsten können. Hier sind die Kommunen auch in der Pflicht. Mein Eindruck ist, dass alle Chancen, auch diese niedrigen Werte einzuhalten, noch nicht genutzt werden. Ich plädiere auch für eine Versachlichung der Diskussion. Hier geht es um Gesundheit und nicht um Ideologien.
    Kaess: Die Versachlichung wünschen sich jetzt viele, aber die ist ja nicht so leicht zu erreichen. Es gibt jetzt Kritiker dieses Positionspapiers der Lungenärzte, die sagen, diese Aussagen von rund 100 Ärzten, die bewegen sich auf dünnem Eis, weil dem gegenüber stehen fundierte Studien. Ist die Entscheidung nicht eindeutig, wer hier recht hat?
    Rüddel: Ich muss sagen, mich haben die fundierten Studien bisher nicht voll umfänglich überzeugt. Wir sind in der Gesundheitspolitik gewöhnt, dass wir evidenzbasiert entscheiden. Das heißt, dass wissenschaftlich belegt sein muss, dass bestimmte Dinge …
    Kaess: Das ist es ja!
    Rüddel: Das scheint ja nicht zu sein, weil es sehr viele gibt, die das hinterfragen. Ich denke, wir brauchen hier eine Neubewertung. Ich vermute – ich bin ja kein Wissenschaftler; ich bin Politiker und ich brauche eine entsprechende Entscheidungsbasis -, ich vermute, dass es hier einen Systemfehler gibt, und der muss ausgeschlossen werden. Wir müssen beides tun. Es geht ja letztendlich auch um Eigentumsrechte von Menschen.
    Kaess: Da spielen Sie jetzt auf die Dieselfahrzeuge an?
    Rüddel: Auf die Dieselfahrzeuge. Man muss auf der einen Seite hier verhältnismäßig entscheiden. Man muss evidenzbasiert entscheiden. Ich bin der Meinung und glaube wie gesagt, dass auch die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, aber nicht bei 40 Mikrogramm. Ich bin der Meinung, wir müssen zweigleisig fahren. Wir müssen sehen, dass wir alle Chancen nutzen, die Werte nach unten zu drücken. Auf der anderen Seite müssen wir überprüfen die Systematik, wie man zu diesen Ergebnissen gekommen ist. Meiner Meinung nach sollte man, solange diese Evidenz und wissenschaftliche Sicherheit nicht gegeben ist, sehr zurückhaltend mit Fahrverboten umgehen.
    "Wir brauchen neue Studien, neue Analysen"
    Kaess: Das sieht ja die Bundesregierung noch nicht so eindeutig, wie Sie das jetzt dargestellt haben. Da kam gestern das Argument, wir müssen auch für saubere Luft sorgen, für Menschen wie Ältere oder Kinder oder Kranke. Entkräftet das die Kritik der Lungenärzte an den Grenzwerten nicht und müsste vor allem Ihnen als Gesundheitspolitiker das ganz besonders am Herzen liegen?
    Rüddel: Das liegt uns ganz besonders am Herzen und deshalb müssen wir eine kurz-, mittel- und langfristige Strategie fahren. Dazu gehört auch, dass es gar nicht erst zu dieser Diskussion kommen muss, weil die Grenzwerte entsprechend eingehalten werden. Da gibt es viele technische Möglichkeiten, um das zu erreichen. Wir müssen uns einfach ehrlich machen. Der nächste Schritt ist dann das Verbot von Böllern, das Verbot von Kerzen, die Landwirtschaft gibt es da als Verursacher. Ich denke, wir brauchen neue Studien, neue Analysen, und auf deren Basis muss dann neu entschieden werden, weil das, was uns derzeit vorliegt, scheint mir wissenschaftlich nicht fundiert zu sein, sondern da spielt nach meiner Meinung mehr Ideologie eine Rolle, dass man dieses Ergebnis wollte, als dass es wissenschaftlich belegt ist.
    Kaess: Ich muss da noch mal Sie als Gesundheitspolitiker fragen. Sie zweifeln diese Grenzwerte auch an. Aber dem gegenüber steht ja die Sorge um die Gesundheit der Menschen, wenn dieser Grenzwert jetzt verändert werden sollte. Ist das für Sie als Gesundheitspolitiker nicht die stärkere Sorge?
    Rüddel: Ich habe ja am Anfang betont, dass Gesundheitsschutz das oberste Ziel ist. Aber es muss nachgewiesen sein, dass dieses Ziel erreicht wird, und nach dem, was ich jetzt von den Wissenschaftlern, von den Praktikern, von den Ärzten gelesen habe – und die Zweifel, die sind bei mir angekommen -, bin ich der Meinung, dass man hier alles in eine bestimmte Verhältnismäßigkeit bringen muss. Da, denke ich, müssen wir die Dinge auf null stellen und Evidenz nachweisen. Und wenn Evidenz nachgewiesen ist, dann muss ganz konsequent gehandelt werden, und bis das nachgewiesen ist, sollen endlich die Kommunen ihren Verpflichtungen nachkommen und entsprechend Fahrzeuge umrüsten. Und die Kommunen, die betroffen sind, sollten einmal prüfen, ob diese Mess-Stationen an den richtigen Stellen stehen. Mich wundert, dass wir in Deutschland diese Diskussion haben auf der Basis von EU-Beschlüssen und dass diese Diskussion in anderen Ländern nicht der Fall ist. Weder bei den Umweltpolitikern, noch bei den Gesundheitspolitikern wird das in anderen Ländern diskutiert.
    Kaess: Herr Rüddel, wie groß ist denn der Verlust an Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Studien, wenn das jetzt alles in Frage gestellt wird, und warum würden Sie denn neuen Studien mehr Glauben schenken?
    Rüddel: Ich denke, dass man die Basis für diese Untersuchungen neu definieren muss. Eventuell ist man da vor zehn Jahren …
    "Ich zweifele an, dass hier die Wissenschaft solide gearbeitet hat"
    Kaess: Aber wer sollte das denn tun? Das wären ja wieder die gleichen Wissenschaftler. Warum sollte das Ganze plötzlich mehr Glaubwürdigkeit für Sie jetzt zum Beispiel bekommen?
    Rüddel: Ich zweifele an, dass hier die Wissenschaft solide gearbeitet hat, und ich zweifele auch an, dass die Politik vor zehn Jahren entsprechend sensibel entschieden hat. Wir haben heute andere Verhältnisse und praktisch muss die wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema auf neue Füße gestellt werden und dann muss die Politik neu entscheiden. Auch in der Wissenschaft entwickelt man sich weiter. Es gibt neue Erkenntnisse. Wenn es hier um Eigentumsrechte von Menschen geht und natürlich auch um Gesundheit, dann muss das abgewogen werden, und dafür brauche ich für meine Entscheidung neue Zahlen.
    Kaess: … sagt Erwin Rüddel von der CDU. Er ist Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Herr Rüddel, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Rüddel: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.