Samstag, 20. April 2024

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Gesundheitspolitikerin Maag (CDU)
"Urlaub weder im eigenen Land noch im Ausland geboten"

Wegen der "besorgniserregenden Dynamik" der Coronainfektionen hält die gesundheitspolitische Sprecherin der Union im Bundestag Karin Maag (CDU) eine Einschränkung von Reisen für sinnvoll. Jeder müsse seinen Teil beitragen, um das Ausbruchsgeschehen unter Kontrolle zu halten, sagte sie im Dlf.

Karin Maag im Gespräch mit Christiane Kaess | 09.10.2020
06.05.2019, Berlin: Karin Maag (CDU), gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellt den zweiten Gesetzentwurf zur Organspende in der Bundespressekonferenz vor. Eine fraktionsübergreifende Gruppe schlägt verbindliche regelmäßige Befragungen der Bürger zur Spendebereitschaft etwa beim Ausweisabholen in Ämtern vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa | Verwendung weltweit
Die Gesundheitspolitikerin Karin Maag (CDU) bittet die Bevölkerung, bis zum Vorliegen eines Impfstoffs Vorsicht walten zu lassen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die Zahl der täglichen COVID-19-Infektionen in Deutschland liegt laut Robert-Koch-Institut den zweiten Tag in Folge über 4.000. Ein bedenklicher "Meilenstein", findet der Virologe Martin Stürmer und warnt vor einem Kontrollverlust, vor Überlastung der Gesundheitsämter und Krankenhäuser, vor erneut mehr älteren Patienten und höheren Todeszahlen, wenn wir weiter solche Zahlen zulassen.
Martin Stürmer bei der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow 'Markus Lanz' im Fernsehmacher Studio auf dem Phoenixhof. Hamburg, 28.01.2020 | Verwendung weltweit
"Lassen wir weiter diese Zahlen zu, besteht die Gefahr eines Kontrollverlustes"
Der Virologe Martin Stürmer zeigt sich besorgt ob der aktuellen Coronafallzahlen. Maßnahmen wie Sperrstunden findet er sinnvoll, aber "leider etwas zu spät".
Was kann die Politik, was kann der Einzelne tun? Welche Einschränkungen sind sinnvoll? Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Karin Maag (CDU), plädiert für eine Einschränkung der Reisetätigkeit in diesen Herbstferien. Reisen sei gerade nicht geboten, weder im In- noch im Ausland. Und nur wenn der Reiseverkehr weniger werde, könnten sich die einzelnen Bundesländer auf eine gemeinsame Linie einigen, glaubt Maag.
"Ohne gemeinsame Verantwortung werden wir scheitern"
Als großes Infektionsrisiko haben sich auch Feiern oder andere gesellige Anlässe erwiesen. "Nähe ist ein Katalysator", sagt Maag. Das Virus vermehre sich in solchen Settings, auch etwa unter Heizpilzen an der frischen Luft.
Die Gesundheitspolitikerin appelliert auch an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Wir sollten bitte nicht akzeptieren, dass wir mit Zahlen um die 20.000 Neuinfektionen am Tag leben könnten, wie mancher Virologe es sage. Ziel sei es, den gesellschaftlichen Regelbetrieb aufrechtzuerhalten.

Das Interview im Wortlaut:
Christiane Kaess: Frau Maag, mehr als 4.500 Neuinfektionen heute Morgen. War die Zahl von über 4.000 gestern kein Ausreißer, sondern ist das jetzt der Trend?
Karin Maag: Es ist leider der Trend. Das Ausbruchsgeschehen hat tatsächlich jetzt wirklich eine besorgniserregende Dynamik erreicht. Und wenn wir das Ziel haben – und das ist uns wirklich ganz wichtig -, dass der Regelbetrieb in Deutschland aufrechterhalten wird unter Corona-Bedingungen, dass wir nicht mehr zum Lockdown kommen wie im Frühjahr des Jahres, dann muss jeder seinen Teil dazu beitragen, dass das Ausbruchsgeschehen so gut wie möglich in den Griff bekommen werden kann.
Kaess: Haben Sie eine Erklärung für diesen sprunghaften Anstieg?
Maag: Natürlich ist es so: Wir versuchen gerade in den Städten - das Virus vermehrt sich ja in diesen besonderen Settings sehr gut. Da geht es um Gedränge, da geht es um Geselligkeit, da geht es um Feiern und Familienfeste – vor allen Dingen jetzt, wenn es kälter wird, in den geschlossenen Räumen, gerade in den geschlossenen Räumen im Gedränge, auch unter Heizpilzen beispielsweise. Nähe ist ein Katalysator und deswegen haben wir die Sorge, dass das so weitergeht.
Menschen tragen Mund-Nasen-Bedeckungen und gehen in Berlin-Kreuzberg über den Markt am Maybachufer.
Kommentar: Viele kleine auflodernde Brände
Bei mehr als 4.000 gemeldeten Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden besteht Grund zur Sorge, meint Christiane Knoll. Die größte Gefahr werde in den nächsten Monaten von Aerosolen ausgehen.
Gemeinsame Linie nur möglich, wenn Reisen eingeschränkt wird
Kaess: Jetzt hat Jens Spahn gestern nur gemahnt, angesichts der steigenden Zahlen. Ist er im Grunde machtlos, wenn es um konkrete Entscheidungen geht? Denn die Ministerpräsidenten und Präsidentinnen, die machen ja das, was sie in ihrem Bundesland für richtig halten.
Maag: Wir können einen einheitlichen Rahmen auf Bundesebene setzen. Dafür sind wir verantwortlich. Das sind solche Themen wie Grenze 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage. Das ist das, was wir beitragen können.
Wie dieser Rahmen umgesetzt wird, dafür sind die Länder verantwortlich. Wenn es jetzt beispielsweise um die letzte gemeinsame Entscheidung geht in der Telefonschaltkonferenz, die die Hotspot-Strategie zwar bestätigt, dann aber sagt, Beherbergungsverbote, dann ist es Ausdruck von Sorge der Ministerpräsidenten, dass der eine oder andere aus dieser gemeinsamen Linie ausschert.
Es funktioniert nur dann, wenn beispielsweise die Reisetätigkeit in Deutschland eingeschränkt wird, und wenn die eben nicht eingeschränkt wird, dann kann ich verstehen, wenn der eine oder andere Ministerpräsident sagt, dann muss ich meine Bevölkerung besser schützen.
Kaess: Schauen wir noch mal auf diese Warnungen des Bundesgesundheitsministers. Die Zahlen steigen seit Wochen und es ist ja immer wieder gewarnt worden, und trotzdem steigen sie jetzt sprunghaft weiter an. Muss man nicht feststellen, dass diese Warnungen einfach nicht mehr durchdringen?
Maag: Das wäre schade, weil wenn die Warnungen nicht mehr durchdringen, dann können wir die Ausbruchsherde nicht mehr nachverfolgen. Dann würden wir die Pandemie nicht mehr so im Griff haben, wie wir es jetzt noch im Griff haben. Das ist der Appell an gemeinschaftliches Handeln. Wir können nur dann die Pandemie im Griff behalten, wenn jeder für andere Verantwortung übernimmt, wenn jeder sich dessen bewusst wird, dass er vielleicht eine leichtere Version, weil er jünger ist, der Pandemie oder von Corona bei sich haben wird, aber möglicherweise einfach auch Eltern, Großeltern, Bekannte, Freunde ansteckt. Ohne diese gemeinsame Verantwortung werden wir tatsächlich scheitern.
Exponentieller Anstieg könnte schnell einsetzen
Kaess: Der Rekord war ja im April fast 6.300 Neuinfektionen. Rechnen Sie denn damit, dass wir das sehr schnell erreicht haben oder vielleicht sogar überschritten haben?
Maag: Das Problem ist natürlich der exponentielle Anstieg. Wenn es so weitergeht, werden wir relativ schnell solche Zahlen erreichen. Da habe ich die Sorge, dass wir dann schon in ein, zwei Wochen soweit sind. – Ich hoffe nicht!
Kaess: Muss diese Sorge im Moment so groß sein? Denn trotz dieser Zahlen haben wir bisher in den Krankenhäusern keine Überlastungen. Die Todeszahlen sind sehr gering. Und es gibt mittlerweile auch Virologen wie zum Beispiel Hendrik Streeck, die warnen, immer nur nach diesen Zahlen sich zu richten. Ich zitiere Herrn Streeck da mal. Er sagt: "20.000 Neuinfektionen pro Tag, das klingt erst mal nach Apokalypse, aber im Grunde sollte uns das keine Angst machen, weil ein milder Verlauf oder ein Verlauf oder Symptome trägt nicht so stark zum Infektionsgeschehen bei." – Starren die verantwortlichen Politiker auch zu sehr auf diese Zahlen?
Maag: Nein, weil ich vorher ja gesagt habe, unser Ziel ist es, den Regelbetrieb aufrecht zu erhalten, zwar unter Corona-Bedingungen, aber den Regelbetrieb. Und wir schaffen das auch deshalb, weil wir natürlich jetzt besser wissen, wie wir mit dem Virus und seinen Eigenschaften und den Krankheitsverläufen umgehen können.
Kaess: Aber der Regelbetrieb, wenn ich da mal einhaken darf, könnte eventuell bei 20.000 Neuinfektionen, so wie Herr Streeck das darstellt, auch weitergehen.
Maag: Das weiß der Herr Streeck vermutlich nicht und ich weiß es auf jeden Fall auch nicht. Das kommt auch immer darauf an, wie die Verläufe bei den einzelnen Personen sind. Jetzt haben wir wie gesagt eher Jüngere, die sich angesteckt haben. Wenn die Ansteckung dann wieder auf die Älteren übergeht, wenn das Alter höher wird, dann sind wir auch schnell wieder in dem Bereich, wo wir uns Sorgen machen müssen, müssen wir die Menschen in die Krankenhäuser einliefern oder Ähnliches. Deswegen ist meine herzliche Bitte, dass wir nicht einfach akzeptieren, dass wir 20.000 Neuerkrankungen haben, sondern dass wir versuchen, das Ganze zu verhindern.
"Feste sind im Moment die Hauptinfektionsquelle"
Kaess: Ist das Problem auch, Frau Maag, dass das größte Risiko ja auszugehen scheint von Privatfeiern in geschlossenen Räumen, und hier kann der Staat eigentlich am wenigsten tun?
Maag: Wie gesagt, Gedränge, Geselligkeit, Feste (und das in geschlossenen Räumen) ist natürlich im Moment die Hauptinfektionsquelle. Das ist richtig.
Kaess: Da hat die Regierung und da haben die Länderchefs auch zu wenig Eingriffsmöglichkeiten?
Maag: Jetzt werden in vielen Ländern entsprechend unseren Vorschlägen Familienfeiern unterbunden. 25 Personen maximal in privaten Räumen, 50 in öffentlichen Räumen. Da kann der Staat schon eingreifen und vor allen Dingen auch solche Verbote durchsetzen. Da geht es tatsächlich um Ordnungswidrigkeiten, um Strafen. Und wenn es nicht anders geht, dann muss der Staat diese Strafen auch eintreiben und verwirklichen.
"Wir müssen das Nachtleben einfach ausschalten"
In Berlin gilt aktuell eine Sperrstunde ab 23 Uhr, um das Coronavirus einzudämmen. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) glaubt nicht, dass sie illegale Partys komplett verhindern kann, doch Kontrollen würden so leichter.
Kaess: Aber wie lange wollen Sie das machen? Denn die Akzeptanz bei der Bevölkerung, da muss man auch irgendwann befürchten, dass die einfach mal zurückgeht. Jetzt kommen die Herbstferien hinzu und Politiker wie auch der Bundesgesundheitsminister, die haben ja immer mal wieder gesagt, besser in Deutschland Urlaub machen. Jetzt gibt es innerdeutsche Risikogebiete mit den entsprechenden Einschränkungen. Macht das Sinn, dass es jetzt zum Teil sogar einfacher ist, im Ausland Urlaub zu machen als im eigenen Land?
Maag: Es ist gerade weder im eigenen Land, noch im Ausland geboten, und ich würde auch nicht dazu raten, jetzt da in Urlaubsgebiete zu reisen, weil auch im Ausland, in Europa sind natürlich die Infektionszahlen fast ausnahmslos sehr hoch, sogar höher als bei uns.
"Mit Impfstoff werden wir wieder Normalität haben"
Kaess: Die Deutschen sollen alle zuhause bleiben in den Herbstferien. Ist das Ihr Appell?
Maag: Die Menschen sollen bitte sich überlegen, was notwendig ist und was nicht. Ich bin froh, dass wir immer noch eine sehr, sehr große Akzeptanz haben. Wir können mit unseren Erklärungen erreichen, dass die Corona-Bedingungen nun mal akzeptiert werden. Das soll nicht dauerhaft so sein. Die Wissenschaft arbeitet am Impfstoff und ich glaube, mit diesem Impfstoff werden wir nächstes Jahr wieder Normalität haben. Aber bis dahin bitte ich ganz herzlich, sich an solche Einschränkungen zu halten. Sie tun nicht nur sich selber einen Gefallen, sondern vor allen Dingen auch den schwächeren Gliedern in unserer Gesellschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.