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Gesundheitssystem
Der polnische Patient

Chronische Unterfinanzierung, niedrige Löhne. Die Klagen im polnischen Gesundheitssystem klingen so: „Auf eine Leistenbruch-OP warten wir bis zu eineinhalb Jahre“, sagt eine Patientin.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster | 08.02.2020
    Ein Stethoskop liegt auf einem Tisch.
    Geräte- und Kräftemangel sowie schlechte Arbeitsbedingungen beschreiben das polnische Gesundheitssystem (imago images / Westend61 / Andrew Brookes)
    "Wir finden einfach keine Ärzte", verzweifelt ein Klinikdirektor. Während das private Gesundheitswesen boomt, siecht das Öffentliche vor sich hin. 2017 streikten in ganz Polen Assistenzärzte, etliche traten in den Hungerstreik. So machten sie auf ihre miserablen Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung aufmerksam.
    Die Regierung gelobte Besserung, erhöhte die Gehälter und versprach, die Gesundheitsausgaben anzuheben. Doch ein Großteil des zusätzlichen Geldes fließt nun in eine neugegründete "medizinische Forschungsagentur". Sie soll dafür sorgen, dass Patienten in Zukunft "effektiver und moderner behandelt werden können", so der Gesundheitsminister. Vor allem Telemedizin soll den medizinischen Fortschritt zu allen Patienten bringen. Derweil sammeln Stiftungen weiterhin Millionen, um Krankenhäuser dringend benötigte Geräte zu finanzieren.
    Ein Blick hinter die Kulissen.
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    Lieber mit privater Hebamme
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    Bei der Benefizveranstaltung Großes Orchester der Weihnachtshilfe wird in Polen jedes Jahr im Januar Geld für Medizingeräte gesammelt
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    Modelle der polnischen Comarch-Gruppe für die digitale Gesundheitsüberwachung
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    Sprechstunde am Bildschirm, Videokonsultationen vor oder während Operationen: In Zeiten von Personalknappheit bieten in Polen moderne Technologien Perspektiven. Aus diesem Grund drängen auch immer mehr polnische IT-Firmen mit neuen Produkten in das Gesundheitsgeschäft.

    Eine Deutschlandfunk-Produktion von Juni 2019