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Getuntes Zirpen

Verhaltensforschung. - Wer mit Freunden in einer Kneipe sitzt, in der Musik läuft, muss lauter sprechen, um gehört zu werden. Das gibt es auch im Tierreich: Einige Vogelarten können ihren Gesang an eine laute Umgebung anpassen. Jetzt haben Bielefelder Verhaltensbiologen erstmals zeigen können, dass auch Insekten dazu in der Lage sind.

Von Jochen Steiner | 15.11.2012
    An einer Autobahn irgendwo in Deutschland. Wer es schafft, die Auto- und LKW-Geräusche auszublenden, der kann zum Beispiel das hier hören: Eine Heuschrecke, knapp zwei Zentimeter lang, grün-braun oder rötlich gefärbt. Der Nachtigall-Grashüpfer ist in Mitteleuropa recht weit verbreitet und hat sich auch den Grünstreifen an Autobahnen als Lebensraum ausgesucht. Die Insekten reiben mit ihrem rauen Hinterbein über eine hervorstehende Ader ihres Flügels. Dieses verführerische Zirpen der Grashüpfer-Männchen soll Weibchen anlocken. Der Autobahn-Lärm scheint das aber zu einem äußerst schwierigen Unterfangen zu machen.

    "Es sind einige Studien bekannt, zum Beispiel über verschiedene Vogelarten, wo man schon weiß, dass eben der Autobahn-Lärm den Gesang oder die Gesangsproduktion beeinflusst und von daher haben wir uns gedacht, das wäre interessant das mal bei Insekten zu untersuchen, weil da eben noch nichts bekannt ist."

    Die Verhaltensbiologin Ulrike Lampe und ihr Team von der Universität Bielefeld haben im Sommer 2010 fast 200 Nachtigall-Grashüpfer gefangen, Männchen und Weibchen. Die Forscher sammelten sie ein auf Grünstreifen direkt neben einer Autobahn und in ruhigen, ländlichen Gegenden. Zurück an der Uni ging es ins selbstgebaute Tonstudio.

    "Was wir hier sehen ist im Prinzip eine große Holzkiste, die von innen mit Isoliermaterial ausgekleidet ist und in dieser Holzkiste haben wir ein Mikrofon, das auf eine kleine Plattform ausgerichtet ist."

    Auf diese Plattform hat die Doktorandin dann die Männchen gesetzt, eins nach dem anderen, um ihr Zirpen aufzunehmen. Die sonst so sprungfreudigen Hüpfer blieben ruhig sitzen.

    "Die Heuschrecken sind nicht weggehüpft, weil sie unter einem Lichtkegel sitzen. Die Umgebung ist dunkel und da sich diese Tiere zum Licht orientieren sind sie einfach da sitzen geblieben, weil sie sich da am wohlsten fühlen…"

    …und dann mussten die Männchen nur noch zum Zirpen angeregt werden. Lampe:
    "Zum Singen könnten wir die Tiere animieren indem wir ihnen Weibchen vorgesetzt haben, das geht dann relativ schnell. Man muss sie dann nur ein bisschen in die richtige Richtung stupsen, damit sie dann auch wissen, da sitzt ein Weibchen vor mir und dann fangen die eigentlich relativ schnell an zu singen."

    Mit einer speziellen Computersoftware wertete Ulrike Lampe die Gesänge aus. Das Ergebnis:

    "Wir haben herausgefunden, dass die Heuschrecken-Männchen von den Autobahn-Standorten die Frequenzen ihrer Gesänge nach oben verschieben, beziehungsweise dass sie Gesänge mit etwas höheren Frequenzen produzieren."

    Gerade einmal um 300 Hertz ist im Durchschnitt das Zirpen der Grashüpfer-Männchen von der Autobahn höher als das der Männchen vom Land.

    "Wir denken, dass es Sinn macht weil der Autobahnlärm tieffrequent ist und eben auch in diesem Bereich Überschneidungen mit dem Heuschrecken-Signal zeigt."

    Aus anderen Studien ist bekannt, dass die Weibchen seltener auf das männliche Zirpen antworten, wenn der tieffrequente Teil nicht zu hören ist. Ein Männchen, das vor allem im tiefen Bereich zirpt, könnte dann ohne Weibchen dasitzen. Die lärmgeplagten Männchen haben sich mit der Zeit an die Störgeräusche angepasst, vermuten die Forscher, und den mittel- bis tieffrequenten Bereich ihres Zirpens ein bisschen weiter nach oben verschoben. Diese Männchen verändern ihren Gesang aber nicht spontan, es ist eine längerfristige Anpassung. Weitere Studien sollen nun klären, ob und in wie weit sich dies in den Genen der Autobahn-Grashüpfer wiederfindet.