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Gewagter literarischer Ritt über den bottnischen Meerbusen

Constantin Göttferts erster Roman, "Satus Katze", ist vom finnischen Nationalepos, dem "Kalevala", inspiriert und zeugt von einer großen Faszination, die das Land auf den Autor ausgeübt zu haben scheint. Cornelia Staudacher hat das Buch gelesen und mit dem Autor gesprochen.

Von Cornelia Staudacher | 09.11.2011
    Ein Apokalyptiker auf dem "Scheitelpunkt zwischen Realität und Alptraum" wurde Constantin Göttfert in einer Rezension seiner Kurzprosa "Holzung" genannt. Kein Wunder also, dass ihn die weite, vielerorts menschenleere, aber mythengeschwängerte Landschaft Nordfinnlands mit ihren waldigen Ebenen, baumlosen Hügeln und vereisten Mooren, die den Menschen seine Ausgesetztheit und Vereinsamung spüren lassen, anzog. Sie ist der ideale Nährboden, auf dem der Roman "Satus Katze" gedeihen konnte, der von einer unheimlichen, dunklen Stimmung getragen ist und dem man die Faszination anmerkt, die das Land, seine Bewohner und die Begegnung mit den alten Sagen und Mythen auf den Autor ausübten. Als Student hielt er sich einige Monate im Rahmen des Erasmus-Programms im Norden Finnlands auf.

    "Ich war von Januar bis Ende Mai hier und hab halt auch diesen Wechsel mitgemacht, von der absoluten Dunkelheit bis hin zu einer Helligkeit, die dann wieder ins andere Extrem umschlägt. Sie wollten uns halt sehr viel zeigen, und sie haben uns auch auf eine Insel geführt, wir haben in einer Hütte gelebt, ein paar Tage lang. Ich war damals erst 18, und für mich war das halt so spannend, dass man halt nicht automatisch fließendes Wasser hat, sondern dass man erst mal an den Fluss gehen muss, dann muss man es aufschlagen und wäscht sich dann mit diesem eiskalten Wasser. Ja, das hat eine Zeit lang in mir gearbeitet."

    Zu Beginn des Romans sitzt der namenlose Protagonist, ein junger österreichischer Autor, noch im Garten eines Wiener Cafés und wird von einem Plakat der "Freien Bühne" magisch angezogen, auf dem eine schwarze Katze abgebildet ist. Und wie sich schon bald im Gespräch mit der am Nachbartisch sitzenden Schauspielerin, Nora, herausstellt, handelt es sich bei dem auf dem Plakat angekündigten Stück um die Dramatisierung eines Romans des finnischen Autors Satu Keinänen, auf den der Protagonist während seines Finnland-Aufenthaltes von seiner Professorin, Dr. Karjalainen, aufmerksam gemacht wurde.
    Drei Erzählebenen werden von Göttfert auf geschickte, unterschwellig sinnfällige Weise miteinander verknüpft:
    Die Zeit, die der Ich-Erzähler als Stipendiat im Norden Finnlands verbringt, in der er neue, zum Teil dramatische Erfahrungen macht, die Zeit nach seiner Rückkehr nach Wien und seine Bekanntschaft mit Nora, eine Liebes- und Initiationsgeschichte, und das von Satu Keinänen verfasste Romanmanuskript.

    "Genau kann ich Ihnen gar nicht sagen, warum ich das gemacht habe. Es hat sich so entwickelt. Bei mir ist es so, dass ich auch mich ein bisschen verführen lasse von Ideen oder von Dingen, die die Figuren dann machen. Ich hab das Ganze nicht als Roman angefangen, ich hab das begonnen als eine Geschichte, die eigentlich nur in diesem Caféhaus gespielt hat, und daraus hat sich dann dieser Riesen-Finnlandtext entwickelt. Das war ursprünglich einfach die Begegnung mit einer Frau im Caféhaus, und da hat dann der Ich-Erzähler begonnen zu erzählen, und das ist dann so, dass man als Autor ein bisschen staunend zuschaut, was dann so passiert."

    Das durch Kursivdruck hervorgehobene Romanmanuskript – der Roman im Roman – erzählt die bedrückende Familiengeschichte Satus, der auf Hailuoto, einer Insel im Bottnischen Meerbusen aufwächst, die im Sommer vom Festland getrennt und nur mit einer Fähre, im Winter mit dem Auto oder einem Kufenfahrrad direkt über die vereiste See zu erreichen ist. Satus Familie ist zerrüttet. Der Vater trinkt, die Mutter landet in der Psychiatrie. Satu, der in der nahe gelegenen Stadt Oulu Musik studiert, besucht den Vater mehrmals in der Woche und bringt ihm Lebensmittel, Brennholz, Angelhaken oder einen Eisbohrer – und die schwarze Katze, die ihm während eines Besuchs zufällig über den Weg läuft.

    Auf die Insel Hailuoto reist auch Dr. Karjalainen mit dem Ich-Erzähler, zu dem sie in einem ambivalenten, auch libidinös besetzten Verhältnis steht. Und sie erzählt dem jungen Mann, der ihr in einer Mischung von Bewunderung, Respekt und Abwehr begegnet, Geschichten aus dem Kalevala. Zugleich kommt es in der Kälte und Dunkelheit der Hütte zu erotischen Annäherungen, aus denen allerdings weder Sympathie noch Zärtlichkeit spricht. Als wie aus dem Nichts Terho, Karjalainens berserkerhafter, Wodka saufender Ehemann auftaucht und aus seinem Leben erzählt, wird die Situation immer unheimlicher und mysteriöser. Auch durch seine Erzählungen geistert eine schwarze Katze.

    "Die Brutalität oder die Gefahr, das hat schon auch mit dem Leben in der Wildnis zu tun. Ich hab dort eine Freundin besucht, und die ist tatsächlich im Wald aufgewachsen, das war für mich ganz etwas Faszinierendes, da gab's drei Hütten, eine, in der ihre Eltern gewohnt haben, eine in der ihre Schwester gewohnt hat und eine, in der sie aufgewachsen ist. Sie hat erzählt, es gab keinen elektrischen Strom, es gab keine Müllabfuhr, es gab natürlich auch keine Kanalisation, und es gab das Leben mit Gefahren, und eine der Gefahren ist die Kälte, und das hab ich selber erlebt, ich hatte einmal meine Kopfbedeckung vergessen, wir mussten auf den Bus warten, man hat mich angesprochen und mir ernsthaft gesagt, ob ich lebensmüde bin, und mir ist erst später bewusst geworden, dass das eine Lebensgefahr ist, weil, es gibt die minus 50 Grad, und es gibt die Toten auf der Straße."

    Die schwarze Katze aus dem Roman im Roman bringt Satu nach dem Tod seines Vaters – er erhängt sich mit einem Stromkabel an einem Baum – zur Großmutter. Dort bekommt sie zwei Junge, ein totes und ein lebendiges, die der junge Student in einer Plastiktüte in der Mülltonne findet. So gelangt die schwarze Katze in den zweiten Erzählkreislauf und fungiert als Vorbote der mysteriösen Ereignisse, denen der Ich-Erzähler ausgesetzt ist, aber auch als Katalysator und Verbindungsglied zwischen den verschiedenen Handlungsebenen. Als streunendes Erzählen könnte man das poetologische Konzept des Romans in Anlehnung an die durch verschiedene Zeiten und Orte streunende Katze bezeichnen.

    "Mir ging's auch um den Wert des Erzählens. Ich wollte, dass diese Geschichte erzählt wird, aber auch dass es ein Erzählen über das Erzählen ist, weil alles, was erzählt wird, wieder erzählt wird, und der ganze Roman wird ja dann am Schluss als das Stipendienprojekt auch wieder erzählt, und es werden immer Geschichten übereinander erzählt, wie diese Doktor Karjalainen in dieser Nacht, wo ihr Mann auftaucht. Und dieses Erzählen über sich selbst und dieses dann vermeintlich Schlüssigwerden, warum ist das und das passiert, die Geschichte, die man sich selbst gibt, um das ging's mir auch.
    Man kennt das ja auch, wenn man über sich selbst spricht oder wenn man seinen Lebenslauf niederschreibt, man schreibt das dann so hin, als wär das ein klarer Weg bis dorthin, als wär das ein stringenter Fluss in eine Richtung.

    Aber so sehe ich das Leben nicht, sondern ich sehe das so, dass man sich was erzählt über sich."

    Die größte Faszination des Autors gilt dem intuitiven Erzählen an sich. Er setzt auf die Kraft eines ziellos und zweckfrei umherstreunenden Erzählens, bei dem die Übergänge zwischen Realität und Vorstellung, zwischen Erlebtem und Erdachten verwischen. So gelingen ihm eindringliche Natur-Schilderungen, die nicht nur das Gespenstische der winterlichen Nordlandschaft lebendig werden lassen, sondern auch als Beschreibungen der Düsternis und Trostlosigkeit des menschlichen Daseins, gewissermaßen der Wildnis in uns, zu deuten sind.
    Nicht immer aber sind die Korrespondenzen zwischen Realem und Fiktivem, zwischen Erlebtem und Erzähltem plausibel genug, um sich gegenseitig zu durchdringen. Manches bleibt der Assoziationsbereitschaft des Lesers und damit einer gewissen Zufälligkeit überlassen. Die Vielschichtigkeit und Multiperspektivität birgt somit auch die Gefahr der Beliebigkeit und einer diffusen Bedeutungsfülle in sich. Und doch entwickelt der Roman, der ein gewagter literarischer Ritt über den bottnischen Meerbusen vom Kalevala bis in unsere Tage ist, in seiner verstörenden Rätselhaftigkeit dank der suggestiven sprachlichen Kraft des ambitionierten Autors durchaus einen eigentümlichen Sog.

    Constantin Göttfert: Satus Katze. C.H. Beck Verlag, München.