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Die Freilichtsaison wird eröffnet

Mit den ersten Sommerregen beginnt in Deutschland das Freilichttheater. Jede Stadt, die einen Dom als Hintergrund, ein Schloß oder ein Kloster als romantische Szenerie oder einen Landschaftspark besitzt, lässt dort im Sommer unter freiem Himmel Theater spielen. Und ein Publikum aller Schichten, das sich sonst nur schwer in die Stadt- und Staatstheater locken lässt, es strömt mit Decken und Regencapes, mit Proviant und Unterhaltungslust ins Sommertheater. Das, wenn es nicht in Bregenz auf der Seebühne oder in Salzburg mit dem Jedermann stattfindet, künstlerisch oft nicht den besten Ruf besitzt. Populäre Unterhaltung ohne rechtes Niveau, so das (Vor-) Urteil. Das Publikum wird nur bedient, mit immer den gleichen etwa zwanzig Stücken. Da werden Shakespeare-Komödien auf flott getrimmt und Musicals für kleinere Besetzungen eingerichtet: der Erfolg ist sicher.

Von Hartmut Krug | 19.06.2004
    In Bad Gandersheim will ein neuer Intendant im 46.Jahr der Bad Gandersheimer Domfestspiele diese nicht gleich neu erfinden:

    Johannes Klaus, im Winterberuf Studiengangsbeauftragter Schauspiel an der Folkwangschule Essen, hat ein neues Konzept. Er möchte bei seinen sommerlichen Bad Gandersheimer Domfestspielen den Zuschauern sinnliche Geschichten erzählen, aber es soll keinen besinnungslosen Spaß geben. Neben der großen Bühne mit ihren 999 Plätzen vor dem Dom gibt es noch eine kleine Spielstätte für 300 Zuschauer, in der in fünf Wochen fünf Gastspiele zu sehen sein werden. Ko-produziert mit Essen oder Bregenz, werden z.B. der "Hamlet" und ein Musical zu sehen sein. Und auf der großen Bühne versucht sich Johannes Weigand, Oberspielleiter der Wuppertaler Oper, an Mozarts "Die Zauberflöte". Alles keine Freilichttheater-Revolutionen, aber Teil eines durchdachten Konzeptes, das sein Niveau zwischen Unterhaltung und ernster Bedeutung zu finden sucht. Da der mittelalterliche Kern des kleinen Kurortes das Pfund ist, mit dem Bad Gandersheim wuchert, will der neue Intendant sich mit seinen Aufführungen darauf beziehen.

    In Jagsthausen, der Stammburg der Berlichingens, wird seit ewigen Zeiten auch der "Götz von Berlichingen" gegeben, und allerorten zwischen Stralsund und Schweinfurt gibt es Mittelaltermärkte und Historienspektakel. Das Thema Mittelalter ist es also nicht, was besonders sein könnte in Bad Gandersheim. Es sind die Stücke und die Inszenierungen, die sich beweisen müssen. Wolfram von Eschenbachs "Parzival"- Mythos, von Tankred Dorst in zwei wunderbaren Stücken umkreist und von Alfred Muschg in 1000 Romanseiten durchforscht, die vor wenigen Monaten in Hannover die Vorlage zu einem Theaterstück gaben, er animierte den Dramatiker Ulrich Zaum zu einer eigenen Version. Die keine Aktualisierung unternimmt, sondern die bekannten Geschichte auf direkte Weise erzählt. Es beginnt mit dem Turnier um Parzivals Mutter, setzt sich fort mit Parzivals Gang hinaus in die Welt, bei der der aus Naivität gewalttätige Tor die Welt, sich selbst und die Liebe erfährt, und endet mit dem Tode des Artus vor einem zweifelnden, verzweifelten Parzival:

    Ulrich Zaums Parzival-Version ist keine, die den vorhandenen Theaterversionen Neues hinzu fügt oder ihnen gar etwas voraus hat. Aber es ist ein dramaturgisch solide gebautes, wenn auch sprachlich etwas flaues Stück, das Regisseur Johannes Klaus die Vorlage zu einer bunten Inszenierung um einen sinnsuchenden Menschen bietet:

    Was man sich als sinnliche Bereicherung hat einfallen lassen, wirkt aber eher hilflos. Ob die Pantomimen, die hier Dämonen und Waldgeister direkt aus dem Uralt-Opernfundus hinzappeln, oder der Puppenspieler, der einige Figuren als Puppen in die Handlung stellt, statt sie richtig mitspielen zu lassen. Während Zaums Idee, einen gleich zu Beginn beim Turnier gefallenen Ritter als räsonierenden und kommentierenden Toten durchs Spiel gehen zu lassen, dem szenischen Geschehen Schwung und Spannung gibt. Johannes Klaus Inszenierung und ein allerdings recht heterogenes Ensemble finden ihren sicheren Weg zwischen den deutlich aufs Publikum zielenden äußeren Effekten und den philosophisch stillen Passagen, zwischen derbem Witz und zarter Philosophie. Und auch der Regen hörte bei Spielbeginn brav auf. Der Dom ist Lockmittel, doch er spielt nicht mit, noch nicht einmal als Kulisse hinter dem ebenerdigen Spielpodest. Aus theatralischen Gründen leuchtet dieser Spielort nicht ein, zumal er wie ein Windkessel wirkt. Doch für die kleine Kurstadt Bad Gandersheim sind die Festspiele aus Image- und ökonomischen Gründen wichtig. Und künstlerisch brauchen sie sich in diesem Jahr jedenfalls wahrlich nicht zu verstecken.