Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Gewalt gegen Frauen in Italien
"Frauenhass ist in unserer Kirche weit verbreitet"

Die Gewalt gegen Frauen in Italien nimmt immer größere Ausmaße an. Die Behörden sind oft machtlos, denn viele Taten spielen sich im häuslichen Umfeld ab. Einige Experten sehen nun die katholische Kirche in der Pflicht. Doch viele Geistliche schweigen – oder geben den Frauen die Schuld.

Von Thomas Migge | 21.08.2017
    Menschen versammeln sich am 6. November 2016 an der Kirche Santa Maria dei Monti in Rom, um an einer Kundgebung der italienischen Arbeitsunion (UIL) gegen Gewalt an Frauen teilzunehmen. Die Kundgebung soll auf die zunehmende Gewalt von Männern an Frauen in Italien aufmerksam machen.
    Menschen versammeln sich am 6. November 2016 an der Kirche Santa Maria dei Monti in Rom, um an einer Kundgebung der italienischen Arbeitsunion (UIL) gegen Gewalt an Frauen teilzunehmen. (imago / ZUMA Press)
    Eine junge Frau, keine 18 Jahre alt. Sie wurde vergewaltigt und anschließend brutal von ihrem Peiniger zusammengeschlagen. Sie erzählt ihre Geschichte – mit einem Klassenkameraden, der erst liebevoll war und dann immer gewalttätiger wurde.
    Das kurze Video zeigt die Erzählerin. Sie sitzt auf einem Stuhl, hinter ihrem Rücken erscheinen zwei Arme. Kräftige Männerarme. Sie streicheln die junge Frau, zunächst, und legen ihr dann die Hände um den Hals.
    Der Videofilm ist ein Spot gegen Gewalt an Frauen. Gedreht von Schülern eines Gymnasiums am Stadtrand von Rom. Eine zwölfte Klasse, in der bereits zwei Schülerinnen vergewaltigt wurden. Eine Schülerin aus einer Nachbarklasse ist gestorben, nachdem sie von einem eifersüchtigen Gleichaltrigen angegriffen wurde.
    Gewalttaten nehmen zu
    Das römische Stadtrandviertel Don Bosco ist keine heruntergekommene Gegend. Und doch wird auch hier immer mehr Gewalt gegen Frauen angezeigt. Auch so genannte "femminicidi", Frauenmorde. Ihre Zahl wird in Italien immer größer, erklärt Carlo Raffredi, Sprecher der italienischen Polizei:
    "2016 wurden in Italien 108 Frauen ermordet. In ihrer Familie und ihren eigenen vier Wänden. Das ist die offizielle Zahl. Sicherlich gibt es auch eine Dunkelziffer. Misshandelt, schwer bis sehr schwer, wurden mindestens 13.000 Frauen. Fast 4.000 Tausend Frauen zeigten eine Vergewaltigung an. Tendenz steigend. Für die Polizei ist das eine wachsende Herausforderung."
    Polizei, Bürgerinitiativen, Frauenorganisationen, Medien, Politiker und auch einige Geistliche fordern betroffene Frauen dazu auf, so schnell wie möglich jede Form von Gewalt anzuzeigen oder sich entsprechenden Personen und Organisationen anzuvertrauen. Auch Papst Franziskus ist wegen der Gewalt an Frauen besorgt:
    "Wir müssen immer daran denken, dass es viele schmerzliche Situationen gibt. Vor allem in Sachen Gewalt gegen Frauen. Frauen werden von männlicher Aufdringlichkeit versklavt. Sie werden immer wieder zu Opfern der Lust der Männer."
    Unternimmt die Kirche zu wenig?
    Der Papst fordert entschieden mehr Einsatz seitens seiner Kirche gegen Gewalt an Frauen. Doch wie so oft wenn der reformfreudige Franziskus etwas kritisiert, lässt die Umsetzung auf sich warten.
    Bis auf den Papst und wenige Bischöfe und Priester schweige die katholische Kirche zu den femminicidi. Das sagt der römische Psychiater Andrea Tomasini, der sich intensiv mit Gewalt an Frauen befasst. Da in Italien, so Tomasini, die Idee der Familie immer noch sehr hoch gehalten wird – nicht zuletzt dank des weitgehend ungebrochenen Einflusses der katholischen Kirche – werde häusliche Gewalt zu oft verschwiegen. Auch von Frauen.
    "Es ist doch ein Unding, dass heute gerade im familiären Umfeld die Situation für Frauen so gefährlich geworden ist, dass sie in nicht seltenen Fällen sogar umgebracht werden."
    Deshalb, fordert der Psychiater, habe die in Italien fast überall präsente Kirche die Pflicht, wie der Papst die Dinge beim Namen zu nennen. Die Kirche solle betroffenen Frauen dabei helfen, in ihren Gemeinden Ansprechpartner zu finden. Das geschehe aber kaum, klagt Tomasini.
    Im Gegenteil. Immer wieder werden Fälle von katholischen Geistlichen bekannt, die die Schuld bei häuslicher Gewalt den Frauen zuschreiben. Wie etwa im ligurischen Lerici. Dort war bis vergangenen Herbst Don Piero Corsi Geistlicher in der Kirche San Terenzo. Ein Kirchenmann mit eigenwilligen Vorstellungen, wie Chiara del Monte erklärt, die in Lerici einer Frauenorganisation gegen Gewalt vorsteht:
    "Er brachte in seiner Kirche ein Flugblatt an, auf dem er erklärt, dass die Frauen selbst an der Gewalt gegen sie Schuld seien."
    "Frauenhass ist noch sehr weit verbreitet"
    Der zuständige Bischof beließ es bei einem Verweis. Erst auf zunehmenden öffentlichen Druck hin wurde Don Piero Corsi versetzt. Die Ansichten dieses Kirchenmannes seien allerdings keine Seltenheit, meint der katholische Geistliche Don Giorgio De Capitani. Mit seinem aufsehenerregenden Blog "Don Giorgio TV" greift er immer wieder besonders heikle Kirchenthemen auf:
    "Seien wir doch ehrlich: Wie viele Geistliche denken wie mein Ex-Kollege aus Lerici? Auch wenn sie es nicht offen sagen. Wie viele Geistliche verschweigen ihnen bekannt gewordene Gewalt gegen Frauen? Sie erfahren davon durch Gemeindemitglieder, die sich ihnen anvertrauen, aber tun nichts. Frauenhass ist in unserer Kirche, jedenfalls in Italien, noch sehr weit verbreitet."
    Don Giorgio De Capitani fordert seine Landsleute auf, vor allem die Gläubigen, die katholische Kirche stärker als bisher in die Verantwortung zu nehmen. Damit sie sich dem Thema endlich stellt. Wie das bereits seit Jahren die protestantische und die Waldenserkirche tun – die in Sachen Gewalt gegen Frauen eng mit den Behörden und mit entsprechenden Organisationen zusammen arbeiten.