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Gewalt gegen Homosexuelle in der Türkei

Anders als in Großbritannien oder Deutschland war Homosexualität in der Türkei nie verboten. Doch trotz dieser Tradition ist das Klima gegenüber Transsexuellen und Homosexuellen in der Türkei alles andere als liberal. Im jüngsten Bericht von Human Rights Watch beklagt die Menschenrechtsorganisation, dass Homosexuelle in der Türkei immer noch häufig Opfer von Gewalt werden. Gunnar Köhne berichtet.

29.05.2008
    Man nennt sie die "Königinnen der Nacht" am Bosporus. Man trifft sie nach Mitternacht im Istanbuler Stadtteil Beyoglu, in bestimmten Straßen und bestimmten Bars - immer aufreizend gekleidet, mit Stöckelschuhen und grell geschminkt. Doch der Eindruck täuscht, sagt Scott Long, Mitarbeiter der New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: Transsexuelle und Homosexuelle in der Türkei sind auf der Straße massiver staatlicher Gewalt ausgesetzt:
    "Auf der Polizeiwache Beyoglu gilt die Regel, dass Transsexuelle nicht an ihrem Gebäude vorbei gehen dürfen. Tun sie es trotzdem, aus Unwissenheit oder weil sie nun mal in diesem Viertel wohnen, dann werden sie auf der Wache geschlagen und gefoltert."
    Homosexualität ist in der Türkei als einem der wenigen islamischen Länder legal - dennoch sehen sich Homo- und Transsexuelle im täglichen Leben ständiger Diskriminierung, Vorurteilen und Gewalt ausgesetzt. Der Transsexuelle Schlagersänger Bülent Ersoy ist ein Star, doch seine weniger prominenten Schwestern müssen damit rechnen zusammengeschlagen zu werden - von der Polizei oder von Mitbürgern. Denn Homophobie ist weit verbreitet in der türkischen Gesellschaft, berichtet Bora Bengusin vom Schwulenverband LAMBDA:

    "Vor einer Woche sind meine schwulen Mitbewohner spät nachts von einem Barbesuch zurückgekehrt. Auf dem Weg haben sie sich geküsst. Sie wurden von zwei Männern verfolgt und vor der Haustür zusammengeschlagen. Das Leben in Istanbul sieht einfach aus für uns, es gibt für uns zahlreiche Bars. Tatsächlich aber ist es für uns überhaupt nicht einfach."
    Wiederholt hatte Premierminister Tayyip Erdogan versprochen, endlich das 1982 von den Putschgenerälen entworfene Grundgesetz durch eine neue demokratische, zivile Verfassung zu ersetzen. Die Schwulen und Lesben des Landes fordern eine Verfassung, die auch eine Diskriminierung aufgrund "Sexueller Orientierungen" explizit untersagt. Doch Ankara stellt sich in dieser Frage weitgehend taub. Nur einmal ist ein Politiker seiner Partei einer Einladung zu einem Homosexuellen-Kongress gefolgt - die islamistische Presse stellte ihn nachher als Anwalt von Perversen da.

    Stattdessen werden die Organisationen der Homosexuellen mehr und mehr unter Druck gesetzt. Der Istanbuler Verein LAMBDA, in dem neben juristische, psychologische und medizinische Beratungen stattfinden, soll nach dem Willen des Gouverneur der Stadt geschlossen werden. Begründung: der Verein sei weder mit der "allgemeinen Moral", noch mit "türkischen familiären Werten" vereinbar.

    Im türkischen Militär werden homosexuelle Männer als dienstuntauglich ausgemustert. In vielen Fällen fordern die Militärärzte Fotos oder Videoaufnahmen des Bewerbers beim Sexualverkehr. Der Menschenrechtler Scott Long fordert die Regierung auf zu handeln:
    "Die einzige Art solche Vorurteile aufzubrechen, ist das Gesetz. Die Gesetze müssen die Betroffenen eindeutig schützen. Wenn die Regierung nicht einschreitet, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen, wer dann? Wenn die Regierung nicht einschreitet, wenn Transsexuelle auf der Straße geschlagen und vergewaltigt werden - wer dann? Es ist Aufgabe der Regierung und sie sollte sie endlich wahrnehmen."
    Der Reformprozess im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen hat auch bei den Homosexuellen der Türkei Hoffnungen geweckt. Seit ein paar Jahren veranstalten sie in Istanbul sogar eine "Gay Parade", an der jedes Mal ein paar hundert Menschen teilnehmen. Doch je lauter sie ihre Stimme erheben, desto mehr fühlen sich die Homophoben in Staat und Gesellschaft provoziert. Doch aufgeben, sagt Bora Bengusin, wollen sie nicht:
    "Es geht uns nicht allein um die Anerkennung unserer sexuellen Orientierung. Wir sind Teil eines allgemeinen Kampfes in diesem Land für mehr politische und soziale Freiheiten."