Dienstag, 19. März 2024

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Gewalt gegen Journalisten bei Pegida-Demo
"Pack dein Zeug und verschwinde!"

Noch immer treffen sich jeden Montag in Dresden Anhänger der "Pegida"-Bewegung. Journalisten, die über die Demonstrationen berichten wollen, werden dort wüst beschimpft und angegriffen. Viele ziehen inzwischen Konsequenzen.

Von Thilo Schmidt | 03.05.2017
    Ein Anhänger der islamfeindlichen Pegida-Bewegung fährt am 27.03.2017 mit einem Fahrrad und einer Deutschlandfahne während einer Kundgebung über den Altmarkt in Dresden (Sachsen). Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) hatten zu einer Kundgebung in Sachsens Landeshauptstadt aufgerufen. Gleichzeitig haben mit einem Überraschungsauftritt die Toten Hosen ein Zeichen gegen Rechts gesetzt. Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Pegida-Demonstration in Dresden am 27. März (dpa-Zentralbild)
    Dresden, Ende Februar. 2000 Menschen sind zum "Pegida"-Aufmarsch gekommen, stehen Fahnen schwenkend auf dem Wiener Platz vor dem Hauptbahnhof. Journalisten wissen, dass sie Montagabends in Dresden gefährdet sind – und mit ihnen die Pressefreiheit. Immer wieder kommt es zu verbalen und längst auch gewalttätigen Übergriffen...
    "…durch Steine, durch Schläge, durch was auch immer", wie der Leipziger Fernsehjournalist Arndt Ginzel sagt, der bei Pegida- und AfD-Veranstaltungen regelmäßig Repressionen erfährt. "Dass man über so was überhaupt nachdenken muss, dass ich mich jetzt irgendwie körperlich schützen muss vor Gewalt..."
    Die Pegida-Demonstration hat sich in Bewegung gesetzt. Von der Bühne herab hat eine Rednerin zuvor den syrischen Bürgerkrieg als Erfindung der "Regierungsmedien" bezeichnet. Und die Pegidisten rufen "Lügenpresse". Darauf angesprochen sagt ein älterer Demonstrant: "Schämt ihr Euch nicht? Ihr seid doch keine Journalisten! Kein Hintern und kein Rückgrat, nichts habt ihr! Ihr seid Bezahlschreiber!"
    Selbstzensur aus Angst vor Angriffen
    Eine Studie von Konfliktforschern hat ergeben: Jeder dritte Journalist wird wegen seiner Arbeit angegriffen, von Angesicht zu Angesicht. Und immer mehr Kollegen legen sich Selbstzensur auf aus Angst vor weiteren Angriffen.
    Wer dennoch berichtet, sorgt vor. Journalisten halten sichere Distanz zu den Demos und meiden die Massen. Fernsehteams gehen nur noch mit Bodyguards zu Pegida-Demos. Und selbst das hilft nicht immer.
    Fernsehjournalist Arndt Ginzel sagt: "Also ich habe es erlebt, dass in Heidenau gezielt mit Flaschen Richtung Journalisten geworfen wurde. Es gibt auch Fotografen, die mittlerweile mit einem Helm durch die Gegend ziehen. Also das ist alles Irrsinn und es macht den Beruf weiß Gott nicht einfacher."
    Massive Gewalt gegen Journalisten
    Die Demonstration in Dresden ist losgelaufen. Die Polizei ist außer Sichtweite, es ist dunkel, es regnet. Ich stehe am Rand des Demozuges, dann werde ich attackiert. Ein Demonstrant rammt mir von schräg hinten den Ellenbogen mit Wucht in die Seite.
    "Ey! Was soll das denn?" - "Schnapp dein Mikro und verschwinde! Verpiss dich, man!" - "Scheiß Lügenpresse! Du provozierst die ganze Zeit. Schnapp dein Mikro und verschwinde!" - "Dich will hier keiner, hast du das nicht gemerkt? Komm, schnapp dein Mikro und verschwinde!"
    Ein anderer Demonstrant versucht, mir das Mikrofon aus der Hand zu ziehen. Aber ich halte es fest. Dann entreißt er mir den Windschutz vom Mikro.
    "Ey, lass es los! Hör auf!" – "Pack dein Zeug und verschwinde! Damit verdienst du Kohle, schäm dich du Penner!"
    Anruf vom Staatsschutz
    Ein paar Tage später ruft ein Beamter des polizeilichen Staatsschutzes aus Dresden bei mir an, der auf den mittlerweile veröffentlichten Vorfall aufmerksam wurde. Er sagt, dass er sich für seine Landsleute schäme und die Polizei nun von sich aus Ermittlungen aufnehmen wird.
    Ich habe den Angreifer wiedererkannt. Er ist nicht nur Pegida-Demonstrant, sondern war auf dieser Demo sogar als Ordner eingeteilt – verantwortlich für den "ordnungsgemäßen Ablauf" der Demonstration. Gewalt und Drohungen gegen Journalisten, alltäglich, montags. In Dresden.
    "Ich finde Gewalt zwar bedrohlich. Aber was mich weitaus mehr entsetzt ist die gesellschaftlich weit verbreitete Ablehnung von Presse. Weil das geht tiefer rein und ist zerstörerischer. Also bedrohlich ist für uns die Abkehr von Menschen, die sagen: Medien lügen. Dass es ihr Hauptzweck ist, zu lügen."
    Arndt Ginzel wurde bei Recherchen in der Türkei und auch in der Ostukraine inhaftiert. Er wurde vom Oberbürgermeister Bautzens angegangen, weil er veröffentlichte, dass ein Dachdecker in der Brandruine des angesteckten Flüchtlingsheims "Sieg heil" rief. Dass Politiker ihnen unangenehme Journalisten befehden, kennt er – auch aus Deutschland. Doch die Presse steht längst nicht mehr nur unter Druck von oben, von der Politik, sondern auch von unten, von den Bürgern.