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Gewalt gegen Kinder
Ermittler befürchten hohe Dunkelziffer

Jeden Tag werden Kinder in Deutschland Opfer von Gewalt, Misshandlung und Missbrauch. Die Zahl der getöteten Kinder ist im vergangenen Jahr gestiegen. Dagegen haben die Behörden weniger Fälle von Misshandlung und sexueller Gewalt registriert. Über die Verbreitung von Kinderpornografie sind die Ermittler dagegen weiter besorgt.

01.06.2016
    Eine Schaukel auf einem Spielplatz in Hamburg-Harburg - im Hintergrund geht ein Kind vorbei.
    Die deutschen Sicherheitsbehörden befürchten eine hohe Dunkelziffer bei Fällen von Gewalt gegen Kinder. (picture alliance / dpa / Malte Christians)
    Insgesamt 130 Kinder wurden im vergangenen Jahr in Deutschland getötet. 81 Prozent von ihnen wurden nicht einmal sechs Jahre alt. Oft handelte es sich um fahrlässige Tötung - etwa durch Verkehrsunfälle, wenn Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten oder durch Behandlungsfehler von Ärzten. Doch in einigen Fällen war es auch Mord oder Totschlag. In vielen Fällen seien die Täter den Opfern nahestehende Personen wie Väter, Onkel oder andere Angehörige gewesen, teilte das Bundeskriminalamt (BKA) anlässlich des Internationalen Kindertages mit. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der getöteten Kinder um durchschnittlich rund 50 Prozent gestiegen. In den vergangenen zehn Jahren schwankten die Zahlen aber immer wieder zwischen 108 und 202 Fällen.
    Doch es gibt auch positive Entwicklungen: So wurden im vergangenen Jahr knapp 300 weniger Misshandlungsfälle (von insgesamt knapp 4.000) und 400 Fälle weniger von sexueller Gewalt gegen Kinder (insgesamt knapp 14.000) registriert. Allerdings befürchten die Ermittler, dass es hier eine hohe Dunkelziffer gibt: "Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben", betonte BKA-Präsident Holger Münch. Kathinka Beckmann, Professorin für klassische und neue Arbeitsfelder der Pädagogik der Frühen Kindheit an der FH Koblenz ergänzte, man müsse davon ausgehen, dass sich hinter jedem der statistisch erfassten Kinder fünf weitere Gewaltopfer verbergen.
    "Kinderpornografie ist ein Massenphänomen"
    Problematisch bleibt die Entwicklung beim Besitz oder der Verbreitung kinderpornografischen Materials im Internet. "Kinderpornografie ist ein Massenphänomen", betonte Münch. Die Verbreitung der Bilder und Videos sei für die Opfer besonders schlimm, weil der Missbrauch dadurch quasi dauerhaft werde. Das Löschen der Dateien gestalte sich schwierig, auch wenn das BKA dabei mit den Sicherheitsbehörden im Ausland zusammenarbeite. Es sei eine Art Katz-und-Maus-Spiel, so Münch: "Wir melden viel, wir löschen viel. Dennoch muss man feststellen: Eine erhebliche Reduzierung kinderpornografischer Angebote im World Wide Web können wir nicht feststellen." Insgesamt weise die Kriminalstatistik 6.560 Fälle in diesem Bereich auf - fast unverändert gegenüber dem vergangenen Jahr.
    Die BKA-Statistik weist außerdem für 2015 beim Menschenhandel 68 Fälle mit 77 minderjährigen Opfern aus. Oft landeten diese Kinder und Jugendlichen in der Zwangsprostitution. Immerhin - beim zuletzt stark diskutierten Thema Flüchtlingskinder konnte Münch Entwarnung geben: Man habe zwar eine hohe Zahl unbegleiteter junger Menschen und erhebliche Probleme mit ihrer Erfassung, aber nach Recherchen der Landeskriminalämter gebe es derzeit "keine Erkenntnisse, dass Flüchtlingskinder Opfer von Menschenhandel werden". Der BKA-Chef räumte dann aber auch ein: "Wir haben da leider ein Feld, das wir schwer überblicken können."
    Forderungen für besseren Kinderschutz
    Der Regionale Sozialpädagogische Dienst forderte anlässlich der Zahlen mehr Ressourcen für die Kinder- und Jugendhilfe. "Kinderschutz und Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Durch den Personalabbau sind die Jugendämter am Ende ihrer Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit", so Regionalleiterin Kerst Kubisch-Piesk. Und Rainer Becker, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, fordert einen ganzheitlichen Wandel: "Kinderschutz ist keine freiwillige Wohltätigkeit, sondern originäre Pflicht des Staates. Wir bitten nicht um Unterstützung, sondern fordern einen Paradigmenwechsel."
    (pr/adi)