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Gewalt in Rio
Wie sicher ist Olympia 2016?

Fehlende Kontrolle, unterbezahlte Beamte – dazu die allgemeine, wirtschaftliche Krise im Land: Alles Umstände, die in Brasilien zu einer schwierigen Sicherheitslage führen. Olympia 2016 sei dennoch sicher, sagen die Behörden. Viele Brasilianer sehen das allerdings anders. Sie sehen gerade in den Behörden den Grund für die zunehmende Gewalt.

Von Anne Herrberg | 14.07.2016
    Ein brasilianischer Soldat hält ein Maschinengewehr in der Hand - im Hintergrund ist ein Armenviertel von Rio de Janeiro zu sehen.
    Immer wieder töten brasilianische Polizisten und Soldaten beim Kampf gegen die Drogenmafia in Rio de Janeiro auch Unbeteiligte. (dpa / picture alliance / Antonio Lacerd)
    Welcome to hell, willkommen in der Hölle – es gibt herzlichere Begrüßungen, als die, die Touristen Anfang Juli am internationalen Flughafen von Rio de Janeiro erleben. Rund 100 Polizisten und Feuerwehrmänner spielen Szenen nach von Schießereien, lassen sich reglos auf den Boden fallen. Allein in diesem Jahr seien bereits 58 Polizisten im Kampf gegen Drogengangs getötet worden.
    "Seit Monaten erhalten wir keinen Lohn. Aber jeden Tag wird ein Polizist getötet, gestern wurde einer mit acht Schüssen niedergestreckt. Jeden Tag schweben wir in Lebensgefahr, aber für psychologische Betreuung gibt es auch kein Geld. Es gibt keine Sicherheit, Rio de Janeiro ist eine Schande, was bitte sollen das für Olympische Spiele werden?!"
    Der Protest ging um die Welt. Die Regierung in Brasilia griff dem in Finanznot geratenen Bundesstaat Rio inzwischen unter die Arme. 85.000 Einsatzkräfte stehen bereit. Touristen bräuchten sich keine Sorgen zu machen, heißt das tägliche Mantra der Verantwortlichen, Olympia wird sicher. Doch was passiert abseits des Spektakels?
    Warten auf Gerechtigkeit
    "Aus den Favelas rufen wir: Genug mit der Gewalt! Wir brauchen Bildung und Gesundheit." In Manguinhos, im Norden von Rio, haben sich Anwohner aus verschiedenen Favelas, den Armenvierteln von Rio versammelt. Ihr Protest gilt auch der Befriedungspolizei, kurz UPP genannt. Seit 2008 haben diese Sondereinheiten der Landespolizei Favelas besetzt. Im Vorfeld von Weltmeisterschaft und Olympia sollte die Macht und Gewalt krimineller Banden eingedämmt werden. Doch den Bewohnern hat das keinen Frieden gebracht. Fatima dos Santo Pinho hält ein Transparent in der Hand, darauf das Foto eines jungen, dunkelhäutigen Mannes:
    "2013, am 17. Oktober, wurde mein Sohn Paulo Roberto in einer Seitengasse von der Befriedungs-Polizei umgebracht. Sie haben ihn zum Verhör dorthin geschleppt, ihn geschlagen bis er erstickte. Er sei ein Drogenhändler, hieß es, das stimmt nicht. Bis heute warten wir auf Gerechtigkeit."
    640 Menschen seien allein im vergangenen Jahr von Polizisten getötet worden, heißt es im gerade veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch, die meisten Fälle bleiben straflos. In Teilen der Landespolizei herrsche noch derselbe Korpsgeist wie zu Zeiten der Militärdiktatur, sagt José da Silva, der eigentlich anders heißt – als Mitglied der Polizei möchte er jedoch anonym bleiben:
    "Selbst in der obersten Führungsebene existiert teilweise noch das Denken: Wir gegen den Feind, den ich jagen muss, gegen den alle, auch die brutalsten Mittel recht sind. Dazu kommen schlechte Arbeitsbedingungen, die Drogengangs, die uns jagen und eine Bevölkerung, die nicht an Autorität gewöhnt ist. Viele Polizisten sind dem Stress psychisch auch nicht gewachsen. Und so wächst das gegenseitige Misstrauen immer mehr."
    Es fehlt der politische Wille
    Fehlende Kontrolle, unterbezahlte Beamte – dazu die allgemeine, wirtschaftliche Krise im Land. All das habe die Sicherheits-Situation vor Olympia verschärft, glaubt José da Silva, das Grundproblem sei ein altes: Es fehle der politische Wille, die veralteten Strukturen zu reformieren und wirklich etwas am Status quo zu ändern. Das sagt auch Roberto Custódio, er ist 29 und lebt in der Favela Maré
    "Das Problem mit der Sicherheit fängt ganz oben an, Polizisten, Bewohner, selbst die Drogengangs bekämpfen sich wegen eines Geschäfts, von dem eigentlich andere profitieren. Wo kommen die Waffen denn her? Wer verkauft und konsumiert die Drogen? Die wahren Banditen leben in den Villenvierteln, arbeiten in der Hauptstadt Brasilia. Wenn sie etwas ändern wollten, würden sie das tun."
    Roberto Custódio steht hinter einer Plexiglaswand, die mit Olympia-Aufklebern blickdicht gemacht wurde. Hinter ihm die Favela Maré, ein Labyrinth aus Backsteinen. Auf der anderen Seite braust die Autobahn vorbei, die den internationalen Flughafen mit dem Zentrum verbindet und Touristen Richtung Olympiapark bringt.