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Gewalt und Willkür die Stirn geboten

Er war ein Kämpfer und Visionär, ein Demokrat und Verfechter eines freien Europa: Robert Blum, der Politiker der Märzrevolution und Abgeordnete der Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, arbeitete er sich empor in die vorderste Reihe der Nation.

Von Peter Reichel | 10.11.2007
    In den frühen Morgenstunden des 10.November 1807 bringt die Ehefrau des Fassbinders Engelbert Blum im damals französischen Köln einen Knaben zur Welt. Er wird Robert getauft.

    "Ein Kind mit breiter off'ner Stirn, ein Kind von heller Lunge/ Ein prächtig Proletarierkind, ein derber Küferjunge","

    wie der Revolutionspoet Ferdinand Freiligrath später in seiner berühmten Blum-Ballade reimen wird.

    Blums Geschichte kennt keine Parallele. Eine sorglose Kindheit war ihm nicht vergönnt. Die frühen Jahre des begabten Knaben sind durch Krankheit, Verlusterfahrung und Armut geprägt. Sein Kapital ist eine den elenden Verhältnissen abgerungene, zähe Disziplin - und ein unermüdlicher Lern- und Leseeifer. Glückliche Zufälle helfen ihm auch. Er wird Theatersekretär, beginnt zu schreiben. Aber seine stärkere Begabung ist forensischer und politischer Natur. Sie entfaltet sich in seinem vierten und schon letzten Lebensjahrzehnt.

    Robert Blum wird aus dem sozialen Abseits in die Zentren politischer Veränderungen katapultiert. Erst nach Leipzig, von dort in die Nationalversammlung nach Frankfurt. Im Paulskirchenparlament steigt er schnell zum Führer der Linken auf. Wäre Deutschland damals geworden, wofür Robert Blum mit Leidenschaft und Überzeugungskraft kämpfte, eine Republik, er hätte ihr erster Präsident werden können. Man hat ihn mit August Bebel und Friedrich Ebert verglichen. Theodor Heuß, der erste Präsident der Bundesrepublik, hat Robert Blum zu den wenigen Großen unserer Demokratiegeschichte gezählt und an ihm bewundert, dass er wie kaum ein zweiter

    ""über tönende Beredsamkeit verfügte, über verströmende Hingabefähigkeit und über sich immer wieder aufbäumenden Trotz gegen Gewalt und Willkür."

    Im Sommer 1848 ist Blum an allen Debatten und Entscheidungen des Paulskirchenparlaments maßgeblich beteiligt und wird herausragender Sprecher der Linken. Aber zu einer stabilen Mehrheit der Mitte-links-Fraktionen kommt es nicht.

    Was in Frankfurt nicht mehr zu erringen ist, versucht Blum im Oktober in Wien zu retten. Mit einer Delegation linker Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung eilt er in die von Revolution und Gegenrevolution umkämpfte Donaustadt. Tapfer kämpft er mit den Aufständischen gegen die kaiserlichen Soldaten, an den Donaubrücken und auf den Barrikaden. Blum fällt schließlich einem Verrat, einem Meuchelmord zum Opfer. Am 9. November 1848 wird er in Wien erschossen - und überall in Deutschland finden Protest- und Trauerkundgebungen statt, auch in Köln. Tausende feiern dort ein Requiem für Blum. Noch einmal Freiligrath:

    "So ehrt die treue Vaterstadt des Tonnenbinders Knaben / Ihn, den die Schergen der Gewalt zu Wien ermordet haben! / Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauen, / Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen! (Dort auch, was er allstündlich war, ein Wackrer, kein Verräter!) / Was greift ihr zu den Schwertern nicht, ihr Singer und ihr Beter?"

    Blum wird als Märtyrer der Demokratie wieder auferstehen und im Gedächtnis der Linksliberalen und der Arbeiterbewegung bis weit in das 20. Jahrhundert präsent bleiben. Dann gerät er in Vergessenheit und mit ihm die Wurzeln unserer Demokratie.

    Robert Blum und seine Geschichte werden erst wiederentdeckt, als man nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den materiellen und ideellen Verwüstungen durch den Nationalsozialismus im geteilten Deutschland anschlussfähige Traditionen sucht. Die doppelte deutsche Staatsgründung, die Entstehung der DDR und der Bundesrepublik, fallen in die Zeit des 100. Jahrestages der 1848er Revolution und des 100. Todestags Robert Blums. Das SED-Regime hat keine Skrupel, Blum für seine Zwecke zu vereinnahmen. Noch in den 1970er Jahren erklärt ihr Chefideologe Kurt Hager:

    "Wir dürfen nicht einen progressiven Denker und Dichter, nicht einen Humanisten dem Gegner (dem Westen) überlassen."

    Friedrich der Große, Friedrich Schiller, Martin Luther, Robert Blum und die vormärzliche Freiheitsbewegung profitierten davon. Dem trat seit 1970 der sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann energisch entgegen und rief dazu auf, die revolutionären Traditionen und freiheitlichen Bewegungen nicht der DDR für ihre fadenscheinigen Zwecke zu überlassen. Er bat um mehr Engagement für das Erbe der 1848er Revolution im Westen und um mehr Gerechtigkeit für Robert Blum.

    Die präsidiale Bitte hat im Jahr des 200.Geburtstages von Robert Blum nichts von ihrer damaligen Aktualität verloren.