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Gewalt verkauft sich gut

Bilder von Krieg und Gewalt, Szenen enthemmter Brutalität liefert der "arabische Frühling" zuhauf. Diese Bilder hat auch die Kunst aufgegriffen, wenn auch nicht erst seit diesem Jahr. Gewaltdarstellungen haben in der arabischen Gegenwartskunst eine lange Tradition und lassen sich zudem gut verkaufen.

Von Kersten Knipp | 10.09.2011
    Früher sahen Bilder aus dem Orient so aus: Ein paar Kamele trotteten vor einer Palmenlandschaft durch die Wüste, ein paar einsame Tempelreste ragten in den Himmel, etwas verwegenere Maler zeigten träge sich reckende Haremdamen. Heute sieht der Orient in der Kunst oft so aus: verzweifelte Menschen vor Massengräbern, Bilder zerschossene Häuser oder ausradierter Stadtviertel, goldene Schusswaffen, in einer riesigen Installation an die Wand gehängt. Das ist die neue, die zeitgenössische Variante des Orientalismus, in der das Elend Konjunktur hat. Aber was wollen solche Werke dokumentieren? Aufrütteln? Vielleicht. Aber sie will noch etwas, erklärt Catherine David, die viele Ausstellungen in der arabischen Welt, in Afrika und Lateinamerika kuratiert hat. Nämlich schlicht und einfach verkaufen.

    "Das gilt nicht nur für arabische Künstler. Man kann dieses Phänomen überall beobachten. Manche Künstler neigen dazu, die Dinge zu vereinfachen und gewissen Klischees zu entsprechen. Hier werden schlicht Fetische entworfen. Allerdings trifft das auf viele junge Märkte zu. Eben darum muss man genau hinschauen: Es gibt Künstler, die sehr genau arbeiten, die sich für Mikrophänomene vor Ort interessieren. Und andere, die ihre Arbeit sehr allgemein halten."

    Gewalt verkauft sich gut. Könnte es also sein, dass das westliche Publikum einer schlichten Verkaufsstrategie aufsitzt, wenn es auf die ruppige, rabiate Kunst aus dem Nahen Osten setzt? Entsprechende Werke finden regelmäßig ihren WEG in Ausstellungen und aktuelle Publikationen. Denn Gewalt ist eine der effektivsten und einfachsten Formen der Intensitätssteigerung, mithin ein beliebtes Mittel, auf einem gesättigten Markt Aufmerksamkeit zu erregen. Doch der Markt ist nicht alles. Womit sollen Künstler sich auseinandersetzen, wenn nicht mit ihrer unmittelbaren Realität, meint Saleh Baraket, Inhaber der Galerie "Agial" in Beirut. Und im Libanon bestand diese Realität lange Zeit überwiegend aus Gewalt.

    "Die jungen Künstler setzen sich mit dem Krieg auf zeitgenössische Art auseinander, die dem Leben im heutigen Libanon entspricht. Die meisten jungen Künstler wurden zur Zeit des Krieges geboren. Sie waren ihm ausgesetzt, er spielte in ihrem Leben eine große Rolle."

    Gut möglich, dass die Arbeiten arabischer Künstler ganz unterschiedlich wahrgenommen werden, je nachdem wo sie ausgestellt werden. Gewalt, das zeigt sich auch im arabischen Frühling, ist ein Phänomen der arabischen Welt. Während Arbeiten, die sich mit ihr auseinandersetzen, im Westen womöglich vor allem in ihrer expressiven Kraft wahrgenommen werden, tragen sie in der arabischen Welt durchaus zur Selbstverständigung der Gesellschaft bei. Amanda Abi Khalil ist künstlerische Leiterin der Galerie "The Hangar", die im südlichen, von der Hisbollah kontrollierten Beiruter Viertel Dahia liegt. Ihr komme es vor allem auf eines an: Mithilfe der Kunst einen politischen Diskurs anzuregen, für den es sonst kaum Bühnen gibt.

    "Die künstlerischen Darbietungen im Hangar beziehen sich vor allem auf die libanesische Geschichte und weniger auf die Kunst als solche. Wenn wir einen Dokumentarfilm über ein Massaker planen, das sich im Bürgerkrieg ereignete, dann ist es völlig klar, dass dies die Libanesen sehr berührt. Die Leute kommen, weil sie wissen, dass wir uns mit ihrer und unserer Geschichte und Identität auseinandersetzen. Das interessiert sie viel mehr als das künstlerische Ereignis selbst."

    Gewalt in der Kunst ist ein Klischee, das ja. Aber sie ist zugleich viel mehr. Sie ist eine Realität, der viele Künstler aus dem Nahen Osten gar nicht entkommen können, schließlich begegnen sie ihr täglich. Nur bekommt man beim Spaziergang durch westliche Galerien von dieser Gewalt wenig mit. Sodass sie zumindest die Zyniker unter westlichen Galeriebesuchern, das Sektglas in der Hand, glauben, sie als Klischee enttarnen zu können. Was sie übersehen, sind die Verhältnisse und Diskussionen vor Ort. Der Orientalismus liegt im Auge des Betrachters.