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Gewaltbereitschaft durch Religion
Wenn Koran und Bibel aggressiv machen

Der Soziologe Ruud Koopmans hat in sieben Ländern untersucht, wie sich Glaube auf die Gewaltneigung auswirkt und ob die Lektüre einschlägiger Verse aus Bibel, Koran und Thora darauf Einfluss hat. Unter bestimmten Bedingungen, so der Forscher, erhöhe der Koran die Bereitschaft, Glaubensfeinde zu töten.

Von Mechthild Klein | 18.05.2021
Prof. Dr. Ruud Koopmans (Professor für Soziologie und Migrationsforschung) in der ZDF-Talkshow maybrit illner am 16.03.2017
Der Soziologe Ruud Koopmans hat in einer Studie die Gewaltbereitschaft religiöser Menschen untersucht (imago images / Müller-Stauffenberg)
Die gute Nachricht vorweg: Laut einer neuen Sozialstudie haben Religionsangehörige in Deutschland im Vergleich mit anderen außereuropäischen Ländern aus Afrika, Amerika und dem Nahen Osten die niedrigste Bereitschaft, tödliche Gewalt gegen Glaubensfeinde und Andersdenkende zu unterstützen. Das betrifft sowohl die Christen als auch die Muslime hierzulande. Die Teilnehmer wurden unter anderem gefragt, ob sie persönlich glaubten, dass Menschen, die in den Augen Gottes Unheil anrichten, getötet werden dürften.
"Nur die allerwenigsten Christen und Muslime in Deutschland sagen, ohne dass man vorher einen Hinweis macht auf Bibel oder Koran, dass sie Gewalt gegen Glaubensfeinde, tödliche Gewalt gegen Glaubensfeinde unterstützen würden, sagt Ruud Koopmans, Soziologe an der Humboldt-Universität, der die Studie im Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung mit zwei weiteren Kolleginnen erhoben hat.

Religiöse Verse als Argument für Gewalt

Nur zwei Prozent der Christen in Deutschland und nur fünf Prozent der Muslime hierzulande sehen demnach tödliche Gewalt gegen Menschen als legitim an, auch wenn diese aus Sicht ihrer Religion etwas extrem Verwerfliches getan haben. Damit liegt Deutschland am unteren Ende der hier abgefragten Gewalt-Toleranz im Vergleich zu den sechs außereuropäischen Ländern aus der Studie.
Das war es aber auch schon mit den guten Nachrichten. Denn wenn der oder die Befragte in der Vergleichsgruppe explizit auf einen Koran- oder Bibelvers verwiesen wurde, dann erhöhte sich die Zustimmung zu tödlicher Gewalt. Bei den Christen stiegt der Anteil nur unwesentlich von zwei auf drei Prozent. Aber bei den Muslimen in Deutschland stimmten in der Umfrage viel mehr tödlicher Gewalt zu.
"Wenn wir den Koran-Hinweis bringen, dann verdreifacht sich das schon auf 16 Prozent. Dann sind wir natürlich schon bei einer auf sechs von den Muslimen, die dann, wenn sie konfrontiert werden mit einem Koran-Vers, doch sagen, dass sie Gewalt befürworten."

8000 Befragte in sieben Ländern

Der Soziologe Ruud Koopmans forscht schon länger über Fundamentalismus in den Religionen. In seiner Studie hat er sechs weitere Länder untersucht und insgesamt rund 8000 Gespräche beziehungsweise Fragebögen eingeholt. Die Studie befragte Christen, Muslime und zum Teil auch Juden aus Deutschland, Zypern, USA, Israel sowie Libanon, Palästina und Kenia.
"Wir haben Konstellationen, wo mal die Christen in der Minderheit sind, zum Beispiel im Libanon. Und wir haben auch Konstellationen, wo die Christen in der Mehrheit sind, wie zum Beispiel in Kenia. Und das gleiche natürlich umgekehrt für die Muslime. Dann haben wir Länder wie Deutschland und die USA, wo die Muslime als eingewanderte Minderheit leben."
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Für eine neue Studie wurden Musliminnen und Muslime befragt, die den sozialen Aufstieg geschafft haben. Viele berichteten davon, dass sie sich wegen ihres Glaubens stigmatisiert fühlten.
Koopmans wollte herausfinden, ob Religionsangehörige tödliche Gewalt eher befürworten, wenn sie auf einen entsprechenden Bibel- oder Koran-Vers verwiesen werden. Weil Fundamentalisten genau das in ihren Botschaften machen.

Die Juden bilden eine Ausnahme

Das Ergebnis ist zum Teil frappierend. In einigen Ländern gibt es eine sehr hohe Zustimmung zu Todes- und Gewaltvorstellungen, in Konfliktgebieten wie Palästina, Libanon oder Kenia ist das vielleicht erwartbar. Aber auch in den USA gibt es demnach eine hohe Zustimmung für Gewaltanwendung – egal ob mit oder ohne Hinweis auf einen Bibel- oder Koran-Vers. 21 Prozent der Christen in den USA befürworteten tödliche Gewalt gegen Andersgläubige. In der Vergleichsgruppe mit Hinweis auf ein Bibel-Zitat stimmten 22 Prozent zu, fast gleich viel, jeder fünfte Christ.
"Meine Erwartung war schon von Anfang an, dass die Gewaltbefürwortung und auch die die Wirkung der Konfrontation mit Gewalt befürwortenden Schriftverse, dass diese vor allem für Menschen mit einem fundamentalistischen Glaubensbild eine starke Wirkung erzeugen. Und da wissen wir natürlich aus der Religionssoziologie, dass gerade die Christen in den USA - und vor allem die Protestanten in den USA - sehr stark von solchen fundamentalistischen Ideen beeinflusst sind."
Eine Bibel und eine Ausgabe des Koran
Religiöse Verse scheinen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft von Gläubigen zu haben (picture alliance / Universität Jena)
Bei den Muslimen in den USA gibt es eine ähnlich hohe Zustimmung zu Gewalt wie bei den Christen, nämlich 25 Prozent. Mit Hinweis auf einen Koran-Vers stimmten ein paar Prozent mehr zu, nämlich 31 Prozent der Muslime, fast jeder Dritte.
"Ich denke, dass das schon mit hineinspielt, auch das im allgemeinen höhere Gewaltniveau in der amerikanischen Gesellschaft. Also auch gewöhnliche Kriminalität, die Zahl der Morde zum Beispiel ist deutlich höher als in Europa. Das spielt sicherlich eine Rolle. Ich denke nicht, dass es alles erklärt, weil da muss man nur auf die Juden in den USA schauen, die sich davon anscheinend nicht beeinflussen lassen und sehr geringe Niveaus der Gewaltbefürwortung zeigen."
Bei den Juden stimmten nur zwölf Prozent dem Töten von Glaubensfeinden zu – egal ob mit oder ohne Bibelvers. Und das mag an der religiösen Ausbildung liegen, denn im Judentum wird auf die Schriftdeutung großen Wert gelegt, die Gewaltszenen aus der Bibel entschärft und umdeutet.

"Fundamentalismus ist nichts, das einzigartig für den Islam wäre"

Am meisten überrascht war Koopmans aber über die Zahlen aus Israel und Palästina. In Israel sprachen sich nur zwei Prozent der Juden für tödliche Gewalt aus, mit Bibelhinweis auch nur drei Prozent mehr. Ähnlich urteilten auch die in Israel lebenden Muslime - nur sieben Prozent von ihnen sahen die Tötung von Glaubensfeinden als legitim an, mit Koran-Hinweis stieg der Anteil auf ein Drittel, während in Palästina insgesamt die Toleranz gegenüber Gewalthandlungen sich auf einem hohen Niveau bewegte: 41 Prozent der Muslime stimmten tödlicher Gewalt zu, mit Schriftzitat sogar 78 Prozent.
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Nun befürworten Fundamentalisten bekanntlich eine wortwörtliche Auslegung heiliger Schriften. Das heißt: Sie ignorieren die lange Auslegungsgeschichte der eigenen theologischen Tradition. Fundamentalisten verneinen, dass göttliche Botschaften an eine bestimmte Situation und Zeit gebunden sind.
"Ja, das Phänomen des religiösen Fundamentalismus ist etwas, das es in allen Religionen gibt. Und wenn man jetzt auf die wissenschaftliche Literatur schaut, dann hat die Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus beim Christentum angefangen. Der Begriff stammt auch aus der christlichen Tradition. Das ist sicherlich nichts, das jetzt einzigartig für den Islam wäre. Es ist nur etwas, das in den letzten 40 Jahren ungefähr in der muslimischen Welt einen großen Auftrieb gehabt hat."

Koran-Wissen als Gewalt-Katalysator?

Ein Argument aus der Fundamentalismus-Debatte untersuchte die Studie ebenfalls: Ob jemand, der viel Textkenntnisse über die heiligen Schriften besitzt, Gewalt eher ablehnt. Koopmans kommt in dieser Frage zu keinem eindeutigen Ergebnis. Juden, die die Thora besser kennen, sind demnach weniger geneigt, Gewalt zu unterstützen. Bei den Christen sei es anders, dort reagierten diejenigen, die sich auskannten, fast genauso wie diejenigen mit wenig Bibel-Kenntnissen.
"Bei den Muslimen war es wiederum anders. Und zwar so, dass die, die viel über den Koran wussten, gerade stärker reagierten mit einer Zunahme der Gewaltbefürwortung, wenn sie mit einem Koran-Vers konfrontiert wurden. Und das heißt natürlich, dass wenn wir einen gewaltverherrlichenden Koran-Vers präsentieren. Und das sind vor allem die Leute, die den Koran besser kennen, die dann ihre Gewaltbefürwortung stärken. Dann heißt es, dass Koran-Wissen nicht eine Impfung gegen Gewaltbefürwortung darstellt, sondern wenn schon, dann eher in die andere Richtung wirkt."
Mit einem Vorurteil räumte die Studie ebenfalls auf. Gelebte Religiosität hat offenbar keinen Einfluss darauf, ob jemand Gewalt befürwortet oder nicht. Das heißt: Ob jemand nun oft in die Moschee oder in die Kirche geht oder nicht, ob er mehrfach am Tag bete oder nicht, das steht in keinem Zusammenhang mit Fundamentalismus.
"Ein wichtiger Befund dieser Studie und auch vorheriger Studien, die ich gemacht habe zum religiösen Fundamentalismus, ist, dass man die Täter von Gewalt auf ihr Wort nehmen muss. Dass man sie ernst nehmen muss, wenn sie sagen, dass ihre Gewalttaten religiös motiviert sind."