Freitag, 29. März 2024

Archiv

Gewaltsame Auseinandersetzungen
Massive Proteste gegen Rumäniens Regierung

In Bukarest haben am Freitagabend mehrere zehntausend Menschen gegen Regierung demonstriert. Dabei wurden 250 Menschen verletzt. Auslöser der Proteste ist ein Gesetzesvorhaben, das die Ermittlungen gegen hochrangige Politiker erschweren und damit aus Sicht der Kritiker die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlt.

Von Srdjan Govedarica | 11.08.2018
    An die 100.000 Menschen demonstrieren am 10. August 2018 in rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen die sozialdemokratische Regierung.
    Schätzungsweise an die 100.000 Menschen demonstrieren in Bukarest gegen die sozialdemokratische Regierung (picture alliance/dpa/AP/Vadim Ghirda)
    Der Siegesplatz in Bukarest am späten Abend. Von Buuh-Rufen der Demonstranten begleitet feuern Polizeieinheiten immer wieder Tränengasgranaten in die Menge. Seit Stunden geht das schon so. Ein beißender Geruch hängt in der Luft, wer kann, rennt weg, bringt sich in Sicherheit. Dieser Junge Mann ist nicht schnell genug:
    "Es war sehr schlimm, vor allem für die Augen. Für Mund und Nase hatte ich ein Tuch."
    Apotheken im Umkreis machen guten Umsatz mit Atemschutzmasken. Die Bilanz des Abends sind fast 250 Verletzte, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen, darunter auch Polizisten.
    Schon zu Beginn der Demonstration am späten Nachmittag liegt Spannung in der Luft des heißen Sommertages. Immer mehr Menschen strömen zum Siegesplatz im Herzen Bukarests, zunächst heißt es sind 30.000, dann 50, letzte Schätzungen gehen von mehr als 100.000 Demonstranten aus. Die Menschen rufen immer wieder: "Diebe, Diebe" und fordern den Rücktritt der Regierung. Es kommt zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei, die massiv aufmarschiert ist und den Weg Regierungspalast sichert. Demonstranten versuchen, die Absperrung zu durchbrechen, Plastikflaschen prasseln im hohen Bogen auf die Polizisten nieder, sie schlagen mit Schlagstöcken zu, setzen Tränengas ein. Am späten Abend verurteilt Staatspräsident Johannis das Vorgehen der Polizei auf Facebook, die Opposition fordert den Rücktritt der Innenministerin.
    Geplante und umgesetzte Gesetzesvorhaben
    Über Social Media haben Auslandsrumänen die Demonstration organisiert, Sie kamen aus Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern. Octavian Stinga ist aus München angereist:
    "Wir machen extra jetzt Urlaub"
    Die Auslandsrumänen, die der regierenden sozialdemokratischen PSD mehrheitlich kritisch gegenüberstehen, wollen mit der Demonstration die inländische Zivilgesellschaft unterstützen, die seit mehr als 1,5 Jahren immer wieder für die Stärkung des Rechtsstaats demonstrieren. So auch Octavian Stinga:
    "Unser Wunsch wäre es, dass die Regierung uns zuhört. Nein, das ist nicht Demokratie, wie wir sie uns vorstellen".
    Stein des Anstoßes sind umgesetzte oder geplante Gesetzesvorhaben der rumänischen Regierung, die nach Ansicht der Demonstranten Ermittlungen gegen hochrangige Politiker erschweren und die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlen. Insbesondere der mächtige Parteichef der Sozialdemokraten und Parlamentspräsident Livnu Dragnea ist den Demonstranten ein Dorn im Auge, den viele als Schatten-Regierungschef bezeichnen. Dragnea ist wegen Wahlbetrugs vorbestraft und zur Zeit wird gegen ihn wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Er gilt als Triebfeder hinter den umstrittenen Gesetzen und die Demonstranten werfen ihm vor, Politik im Eigeninteresse zu betreiben. Dan Barna, Vorsitzender der oppositionellen Union zur Rettung Rumäniens formuliert das so:
    "Anderthalb Jahre kämpfen wir nun im Parlament und die Menschen kämpfen auf der Straße nicht etwa für bessere Krankenhäuser oder ein besseres Bildungssystem – der ganze Kampf war mit der Justiz verbunden und damit, ob es Herrn Dragnea gelingen wird, das Gefängnis zu vermeiden. So einfach ist die Geschichte. Und die Frustration in der Bevölkerung ist riesig."
    Besonders verärgert hat viele der am Siegesplatz anwesenden Auslandsrumänen, dass sie aus den Reihen der regierenden PSD im Vorfeld der Demonstration als Bettler, Diebe und Huren oder Lumpendiaspora beschimpft worden sind. Für George Sisu, einen Unternehmer aus Berlin, war das der Grund, ins Auto zu steigen und nach Bukarest zu fahren:
    "Es ist immer noch mein Land, obwohl ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Und es tut wirklich weh, zu sehen, wie die Menschen in diesem Land verarscht werden. Sie werden wie Sklaven behandelt."