Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Gewerkschaft IG BCE zum Kohleausstieg
"Wir müssen am Realisieren der Energiewende arbeiten"

Die Diskussion um den Kohlekompromiss sei kontraproduktiv, sagte Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie, im Dlf. "Unser Problem ist, dass wir mit den Erneuerbaren nicht vom Fleck kommen." Je schneller der Umstieg dort gelänge, umso früher könne man aus der Kohle aussteigen.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Rainer Brandes | 25.01.2020
Feldlandschaft mit Kohlekraftwerk
Eigentlich sei man sich bei der Energiewende ja einig, dennoch würden alte Kämpfe weitergeführt, kritisiert Vassiliadis (imago / blickwinkel)
Der Kohlekompromiss, geschlossen zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen der Kohleländer, sollte einen Ausgleich zwischen den sehr gegensätzlichen Interessen von Umweltverbänden, Energieunternehmen, den Beschäftigten im Bergbau und den Kraftwerken bringen. Doch eigentlich ist keine der Seiten zufrieden mit dem Kompromiss.
Die Umweltverbände kritisieren, der Ausstieg gehe viel zu langsam, und mit Datteln 4 soll sogar noch ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen. Die Stadtwerke sind sauer, weil ihre Steinkohlekraftwerke früher abgeschaltet werden sollen, damit Braunkohlekraftwerke länger laufen dürfen.
Das Foto zeigt den Vorstand der Kohlekommission, bestehend aus Stanislaw Tillich (l-r, CDU), Barbara Praetorius und Ronald Pofalla.
Scharfe Kritik am Kohlekompromiss
Ex-Mitglieder der Kohlekommission werfen der Bundesregierung vor, den Ausstieg nicht wie vereinbart umzusetzen. Im Zeitplan der Bundesregierung für den Kohleausstieg würden vor allem die Kompromisse zum Klimaschutz "grob verletzt".
Michael Vassiliadis ist Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und spricht im Interview darüber, was für eine Umsetzung der Energiewende notwendig ist.
Rainer Brandes: Fangen wir mal mit dem Steinkohlekraftwerk Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen an. Die Kohlekommission hatte empfohlen, es nicht ans Netz gehen zu lassen, der Kohlekompromiss jetzt sagt das Gegenteil. Allerdings soll es 2033 schon wieder abgeschaltet werden. Ein nagelneues Kraftwerk, das nur 13 Jahre läuft, wie sinnvoll ist das?
Vassiliadis: Ja, das bringt es eigentlich ziemlich auf den Punkt, das ist natürlich insgesamt auch mit Blick auf das Kommissionsergebnis eine Fragestellung, wie kann man auch den Kohleausstieg effizient machen. Wenn man ihn effizient machen will, muss man aufs Geld achten. Man muss sich die Frage stellen, wo sparen wir am schnellsten CO2. Insofern ist das jetzt eine Veränderung, dass es ans Netz gehen soll. Aber es ist eigentlich nicht gegen die Ziele der Energiewende gerichtet, denn es ist das modernste Kraftwerk, es wäre das teuerste, wenn man es entschädigen müsste, und es gehen ja ältere, andere Kraftwerke vom Netz, deswegen kann ich nicht wirklich die Aufregung verstehen. Am Ende des Tages ist die Effizienz – die neuesten Kraftwerke mit den besten CO2-Bilanzen gehen ans Netz beziehungsweise andere gehen vom Netz – eigentlich damit erreicht.
"Kosten für den Klimaschutz werden sichtbar"
Brandes: Aber macht das auch investitionsmäßig einen Sinn, ein so teures Kraftwerk gerade mal 13 Jahre laufen zu lassen?
Vassiliadis: Natürlich nicht, aber das gilt natürlich für das ganze Thema. Wir haben uns entschieden, aus der fossilen, in dem Fall kohlebefeuerten, Energieversorgung auszusteigen – da sind ja einige Kraftwerke noch nicht so alt –, und das kostet natürlich Geld. Das ist ja auch der Grund, warum es überhaupt zu Entschädigungen kommt. Es ist ja nicht so, als wenn man dort Geschenke macht, sondern es gibt dort Investitionen, es gibt Genehmigungen, es gibt Planungen, und in einem Rechtsstaat muss man sich dann darüber einig werden, wenn man einen solchen Weg gehen will, macht volkswirtschaftlich das Ganze Verlust. Und das ist ein Teil der Kosten eben genau dieses Klimaschutzes. Der überrascht mich nicht, aber der wird jetzt auch sichtbar.
Brandes: Was für mich ein bisschen merkwürdig erscheint, wir haben jetzt also Datteln 4, damit geht ein Steinkohlekraftwerk ans Netz, und Sie sagen korrekt, das stößt ja weniger CO2 aus als viele Braunkohlekraftwerke, gleichzeitig sollen jetzt aber andere Steinkohlekraftwerke früher abgeschaltet werden, damit Braunkohle länger verbrannt werden kann. Was hat das mit Klimaschutz zu tun?
Vassiliadis: Das ist nicht ganz richtig. Die Kommission hat immer unterschieden zwei Pfade: den Pfad in der Steinkohle und den Reduktionspfad in der Braunkohle, die sind nie gemischt worden, ist auch jetzt nicht der Fall. Für Datteln 4 wird kein Braunkohlekraftwerk länger laufen, sondern Datteln 4 ist im Prinzip im Wettbewerb, im Stilllegungswettbewerb, wenn man das so sagen will, mit anderen Steinkohlekraftwerken.
Eon-Kraftwerk Datteln 4 beim Dortmund-Ems-Kanal
Eon-Kraftwerk Datteln 4 beim Dortmund-Ems-Kanal (imago / blickwinkel / S. Ziesex)
Brandes: Ja, das stimmt, aber auf der anderen Seite sagen ja jetzt die Stadtwerke, dass ihre Steinkohlekraftwerke abgeschaltet werden sollen, und zwar früher und damit Braunkohle länger verfeuert werden kann.
Vassiliadis: Ja, das ist aber so nicht richtig. Ich akzeptiere nicht diesen Versuch, die Wirtschaftsinteressen, die ich zwar verstehe, zwischen Braunkohle und Steinkohle mit Blick auf das Kommissionsergebnis einzustellen. Das haben wir dort nicht getan, und das passiert auch jetzt nicht. Was ich verstehen kann, ist – das ist aber ein anderes Thema –, der Kommissionsbericht hat empfohlen, mehrere Stilllegungsausschreibungen zu machen, in denen es natürlich am Ende auch um Geld geht. Und da ist jetzt in dem Ergebnis – das muss man sicherlich weiter diskutieren – nur eine Auktion vorgesehen und nicht mehrere.
Das kann bedeuten, dass Steinkohlekraftwerke am Ende vom Netz gehen müssen, ohne dass es dafür eine wirtschaftliche Entschädigung, also in späteren Zeiten Entschädigung gibt. Das ist sicherlich etwas, über das man noch streiten kann, aber das hat nichts mit Braunkohle und Steinkohle zu tun.
Unterscheidung zwischen Stein- und Braunkohle technisch sinnvoll
Brandes: Aber ist es tatsächlich sinnvoll, Steinkohle und Braunkohle tatsächlich getrennt zu betrachten, denn es geht ja am Ende wirklich um das Einsparen von CO2-Emissionen, und da muss ich doch alle Energieträger gemeinsam betrachten.
Vassiliadis: Das ist richtig, aber es ist einfach technisch ein Unterschied. Das eine ist Grundlast, das heißt, die Braunkohle läuft im Prinzip durch und verschafft uns die Energieversorgungssicherheit, die wir natürlich täglich brauchen. Steinkohle und Gas sind stärker geregelt, also vereinfacht gesagt, tragen Spitzen, und deswegen kann man die nicht einfach beliebig gegeneinander austauschen. Wenn man diese Kraftwerke, die für Spitzen geeignet sind, für Grundlasten, dann wird es einfach unendlich teuer. Deswegen sind es einfach zwei verschiedene Sachgebiete. Beim CO2-Einsparen ist natürlich klar, jedes Gramm zählt, aber so einfach ist es halt nicht.
Brandes: Sie haben gerade gesagt, jedes Gramm zählt, und jetzt kritisieren ja einige ehemalige Mitglieder der Kohlekommission, in der ja alle Interessen vertreten gewesen sind, dass jetzt dieser Kohlekompromiss zwischen Bund und Ländern von ihrem Kompromiss in der Kommission abweicht. Ist das wirklich klug, davon abzuweichen?
Vassiliadis: Ich verstehe die Aufregung ehrlich gesagt nicht. Es gibt marginale Abweichungen, und zwar in alle Richtungen. Es gibt das einmal, das ist nicht falsch, dass man, wenn man minutiös das sozusagen betrachtet und liest, dass es zum Beispiel 20, 25 leichte Verschiebungen gibt bei dem Abschalten eines Blockes. Es gibt aber auch andere Blöcke, die anders als in der Kommission angenommen werden, das ist ja nicht alles da genau aufs Datum taxiert, die weiter nach vorne gezogen worden sind. Ein Streitpunkt war ja immer, ist das möglichst stetig. Ich bleib mal bei der Braunkohle: Ich finde, 20, 21, 22, 23, 25, 27, 29, 33, 35, 38 stetig.
Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie: Michael Vassiliadis
Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie: Michael Vassiliadis (imago / IPON)
"Wir müssen aufhören zurückzublicken"
Brandes: Ja, das stimmt, und trotzdem sagen ja viele, die Kohlekommission hatte eigentlich einen etwas schnelleren Fahrplan vorgesehen, und jetzt hat auch Ihre Gewerkschaft immer gesagt, Klimaschutz ist uns wichtig. Und jetzt bleibt für die Öffentlichkeit übrig, na ja, den Kohleländern und auch der Gewerkschaft ist Klimaschutz jetzt vielleicht doch nicht mehr ganz so wichtig.
Vassiliadis: Das fände ich eine doch, sagen wir mal, das ist eine Unterstellung. Wir fangen dieses Jahr, 2020, an mit dem Stilllegen, um die 2020-Ziele möglichst zeitnah zu erreichen – was wir übrigens schaffen, nicht genau Silvester 2020, aber kurz danach ist das in der Energiewirtschaft erreicht. Das zweite Ziel ist 2030, das erreichen wir sicher. Und der Rest, der im Bericht behandelt wird, ist die Frage, wie schnell geht es da drin. Ich will Ihnen eins sagen, das sage ich auch den Hörern, will ich ganz klar, das kann sich alles viel, viel schneller darstellen, wenn wir endlich auch diskutieren über das Einschalten und nicht nur über das Ausschalten.
Unser Problem ist, dass wir mit den Erneuerbaren nicht vom Fleck kommen, und denjenigen in der Kommission, das sind ja die Umweltverbände, die schon kurz nach dem Ergebnis ein bisschen Fluchttendenzen hatten, denen will ich auch wirklich zurufen, lasst uns jetzt aufhören zurückzublicken, wir haben jetzt den Kohleausstieg. Da ist ja kaum ein Land, das nennenswert Kohle verstromt – natürlich die, die keine haben, können sich da leichter zu äußern. Lassen Sie uns jetzt an den Erneuerbaren, an den Leitungen, an dem Realisieren der Energiewende arbeiten, damit das funktioniert, dann kommt auch der Kohleausstieg früher – was soll das jetzt.
Im Land für mehr Akzeptanz sorgen
Brandes: Aber da sagen ja Umweltverbände, dass wir nicht vorankommen mit den erneuerbaren Energien, das läge unter anderem daran, dass eben Kohlekraftwerke sozusagen die Leitungen verstopfen. Wäre es dann nicht sinnvoller, auch aus Sicht der Beschäftigten, zu sagen, früher oder später müssen wir sowieso raus aus der Kohle, schulen wir doch jetzt die Leute um und bieten ihnen sichere Arbeitsplätze, anstatt das noch künstlich in die Länge zu ziehen.
Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace haben ein Banner mit der Aufschrift - Abschalten - an einem Turm des RWE-Braunkohlekraftwerks Neurath aufgehängt und ein rotes Kreuz aufgemalt. 
RWE Turm mit Banner "Abschalten" von Greenpeace (imago/Manngold)
Vassiliadis: Wir ziehen das nicht künstlich in die Länge, sondern wir brauchen den Strom. Wir haben den Atomausstieg vor Augen – das ist übrigens ein Thema, das eben ein ganz besonderes ist. Wir haben uns ja in der ersten Ausstiegswelle energiepolitisch dafür entschieden, den CO2-freien Atomstrom rauszunehmen. Dafür gibt es Gründe, aber das führt natürlich dazu, dass die Lücke, die wir schließen müssen, größer wird. Es geht also nicht darum, ob die Beschäftigten bereit sind, was anderes zu machen, sondern ob wir den Strom haben, den wir benötigen als Industrieland, als Land, das eine sehr sichere Energieversorgung hat, auch in Zukunft zu gewährleisten.
Die Leitungen werden nicht verstopft – erstens sind es nicht die gleichen Leitungen, und zweitens sind die Umweltverbände immer gern dabei, neue Bilder zu bauen. Ich würde doch mal vorschlagen, dass wir uns auch mit den Umweltverbänden, die auf der einen Seite den Kohleausstieg fordern und zum anderen zum Teil gegen den Ausbau der Erneuerbaren und ihrer Leitungen selber demonstrieren. Wir müssen in diesem Land mal einig werden, und wir haben den Punkt erreicht, dass wir eigentlich einig sind bei der Energiewende. Jetzt müssen wir auch mal nach vorne schauen und schauen, dass das Land auch Akzeptanz für das bekommt, was das bedeutet.
Als der US-Elektroautoherstellers Tesla verkündet hat, man werde in Brandenburg, im Speckrand von Berlin, Europas erste Autofabrik bauen, war die Euphorie groß. Es war, als stünde Brandenburg ein leuchtendes 21. Jahrhundert bevor. Doch mittlerweile macht sich Ernüchterung breit. Denn die Ankündigung Teslas, man werde umweltverträglich bauen, wird angezweifelt. In einer Projektbeschreibung ist von einem benötigten Gaskraftwerk die Rede, ebenso von einem immensen Wasserbedarf.Am Wochenende gab es die ersten Proteste in Grünheide gegen die Ansiedelung von Tesla. Januar 2020
Proteste gegen Tesla in Brandenburg: Nach der Euphorie kommt die Ernüchterung
Als der E-Autohersteller Tesla verkündete, er werde in Brandenburg eine Fabrik bauen, war die Euphorie groß. Doch mittlerweile macht sich Ernüchterung breit.
Wir haben in Brandenburg jetzt, da bringen wir Milliarden hin, um Investitionsförderung zu machen. Die Leute demonstrieren jetzt schon gegen Tesla. Ich glaube, wir sind an einem Punkt, wo wir uns mal ein bisschen die Karten legen müssen, nicht was wir aus alten Kämpfen heraus noch alles zu erzählen haben, sondern was der neue Plan für die Zukunft ist, sonst bleiben wir mittendrin stecken. Das ist eigentlich das Thema und meine Sorge.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.