Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gewiefte Taktik oder letztes Gefecht

Italiens Regierung hängt am seidenen Faden. Mit einer Vertrauensabstimmung im Parlament will Regierungschef Enrico Letta Klarheit schaffen. Das Ergebnis ist offen. Eines ist sicher: Die Nerven liegen blank. Und vielleicht ist genau das Silvio Berlusconis Absicht.

Von Kirstin Hausen | 02.10.2013
    Eine Pro-Berlusconi-Demonstration in Mailand. Anhänger, die für ihn auf die Straße gehen, hat der Medienunternehmer immer noch.

    "Ich unterstütze ihn, weil Berlusconi den Italienern geholfen hat und ein echter Mann ist."

    Was die ältere Dame im Flanellmantel damit meint, bleibt ihr Geheimnis. Denn mehr will sie nicht sagen. Auch der Mittvierziger im dunklen Anzug ist kurz angebunden.

    "Berlusconi ist immer noch Berlusconi. Er findet einen Ausweg."

    Der Mythos vom mächtigsten Mann Italiens, dem reichsten sowieso, er scheint zu halten in der italienischen Öffentlichkeit. Obwohl die Fakten anders aussehen. Silvio Berlusconi ist rechtskräftig verurteilt, er kann wählen zwischen Hausarrest oder Sozialdienst, Ende Oktober wird das Urteil vollzogen. Doch Fakten spielen in dem surrealen Theater, das auf der politischen Bühne des Landes derzeit aufgeführt wird, keine große Rolle mehr. Und die Medien haben ihren Teil daran. Der unabhängige Journalist Gianni Barbacetto:

    "Die Fakten verschwinden und werden durch Meinungen ersetzt. Gegenteilige Meinungen werden uns als Pluralismus und als gute Berichterstattung verkauft. Das ist aber Unsinn. Die Fakten, die Wahrheit ist natürlich komplex und man muss sie recherchieren, aber dahin müssen wir Journalisten wieder zurück."

    Statt die Wahrheit über Berlusconis kriminelle Machenschaften ins Zentrum der Berichterstattung zu stellen, geht es in den italienischen Zeitungen und Fernsehsendungen nur darum, welche politischen Folgen sie haben. Regierungskrise ja oder nein? Berlusconi sagt Ministerpräsident Enrico Letta morgens seine Unterstützung zu und abends entzieht er sie ihm wieder. Panikreaktionen oder Strategie? In jedem Fall hält er Italien in Atem, bestimmt das Geschehen. Auch wenn sich Enrico Letta bemüht, das Heft wieder in die Hand zu nehmen.

    "Seit einiger Zeit wird die Regierung wie ein Punchingball benutzt und das lasse ich nicht zu. Im geeigneten Moment gehen wir zum Angriff über."

    Der Moment ist heute. Mit der Vertrauensabstimmung im Parlament will sich Letta aus dem Würgegriff Berlusconis befreien. Doch es könnte ein Eigentor werden. Wenn die Regierung hält, geht das nicht auf das Konto von Enrico Letta, sondern die Berlusconitreuen könnten diesen Erfolg für sich verbuchen, in dem sie ihr "Ja" mit der Staatsräson und der Verantwortung als Parlamentarier begründen. Und Berlusconi könnte behaupten, die Seinen persönlich im letzten Moment umgestimmt zu haben, weil das Land eine stabile Regierung brauche und er sich gerne für sein geliebtes Land opfere. Alles im Bereich der Möglichkeiten. Denn, vor Sentimentalitäten scheut Berlusconi nicht zurück. Im Gegenteil. Je kitschiger, desto besser. Das beweisen seine grotesk anmutenden Videobotschaften ans Volk.

    "Ich liebe mein Land, ich liebe es immer noch. Forza Italia! Es lebe Italien, es lebe die Freiheit. Denn als Gott den Menschen geschaffen hat, wollte er ihn frei!"

    Und nicht hinter Gefängnismauern, wo ihn die Richter hinbringen wollen. Berlusconis Welt ist schwarzweiß wie in einem alten Italo-Western. Das ist nicht erstaunlich angesichts seiner Erfolgsgeschichte. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er die Gerichte, ohne für seine Taten büßen zu müssen, beherrscht er die italienische Politik, bereichert er sich, seine Unternehmen und seine Freunde. Erstaunlich ist, dass seine politischen Gegner und ungefähr ein Viertel der italienischen Wählerschaft ihn immer noch mitspielen lassen auf der politischen Bühne. Und zwar nicht als Komparsen, sondern als Hauptdarsteller.