Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Gewisse Scheinheiligkeit in diesen europäischen Protesten"

CIA-Sonderberichterstatter des Europarates Dick Marty nimmt an, dass europäische Staaten bislang sehr zufrieden waren, mit der CIA zu kooperieren. Staaten hätten, um Auskünfte zu bekommen, den Amerikanern vieles erlaubt, so Marty. Inzwischen seien die Amerikaner im Überwachungsbereich dominant.

Dick Marty im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.07.2013
    Friedbert Meurer: Edward Snowden, der ehemalige Geheimagent der USA, hängt im Transitbereich des Moskauer Flughafens fest. Das Interview, das er zuvor gegeben hat, liefert immer noch neue Enthüllungen.
    Man muss einfach nur die Spionage-Thriller des Briten John le Carré lesen oder anderer Autoren, um sich zu erinnern: Deutschland war seit dem Zweiten Weltkrieg immer auch ein Tummelplatz für Agenten, für Agenten beider Seiten. Aber auch heute noch? – Dick Marty hat die Machenschaften der CIA wie kaum ein anderer untersucht. Der Schweizer war ab 2005 Sonderermittler des Europarats zu den Geheimflügen und geheimen Gefängnissen der CIA in Europa. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen. Guten Morgen, Herr Marty.

    Dick Marty: Guten Morgen!

    Meurer: Bei Ihren Recherchen damals zu den Geheimgefängnissen der CIA in Europa, haben Sie da schon etwas von diesen Spähprogrammen mitbekommen?

    Marty: Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns damals konzentriert auf die Geheimgefängnisse, auf die Flüge. Aber das wundert mich überhaupt nicht, dass auch solche Methoden damals festgesetzt wurden. Ich glaube, einer der wichtigsten Befunde des Berichtes ist meines Erachtens übersehen worden: die Tatsache, dass Anfang Oktober 2001 haben die Amerikaner sich auf Artikel fünf des NATO-Vertrages gestützt.

    Meurer: Das war unmittelbar nach dem 11. September.

    Marty: Das war drei Wochen nachher. Das heißt, eine Woche später hat Präsident Bush Spezialzuständigkeiten der CIA gegeben wie nie zuvor. Und ganz am Anfang von Oktober im Jahr 2001 war eine normale Sitzung der NATO in Brüssel und in dieser Sitzung haben die Amerikaner sich auf Artikel fünf des NATO-Vertrages gestützt. Diese Bestimmung sagt: Wenn ein Mitglied der Allianz militärisch angegriffen ist, müssen die anderen Mitglieder Hilfe leisten.

    Meurer: Was genau wurde damals bei der NATO-Sitzung im Oktober 2001 beschlossen, die Geheimgefängnisse, die geheimen Entführungen?

    Marty: Nein. Damals wurde bejaht, dieser Artikel fünf ist anwendbar. Das heißt, alle Mitglieder verpflichten sich, Hilfe zu leisten. Und dann, nach der ordentlichen Sitzung, ist eine Geheimsitzung einberufen worden und dort hat man die Operative in ein ganz enges Gremium festgesetzt.

    Meurer: Sie denken, Herr Marty, dass in diesem geheimen Teil der Sitzung über nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen USA und Europa geredet wurde?

    Marty: Ja. Das heißt, man hat entschieden erstens, alle Operationen liegen bei der CIA. Die Mitgliedsstaaten der NATO, aber auch die, die Kandidaten zur NATO waren, die verpflichten sich, eine totale Immunität dieser Agenten zu gewähren, was übrigens unrechtmäßig ist. Dritte Entscheidung: Die ganze Operation wird auf die höchste Stufe des Geheimnisses gesetzt, nach dem berühmten Prinzip "need to know”. Das bedeutet: Das, was in Brüssel damals entschieden wurde, war nur einzelnen Mitgliedern der europäischen Regierungen bekannt.

    Meurer: War das den Premierministern bekannt? War das dem Bundeskanzler bekannt damals in Deutschland?

    Marty: Das ändert sich von Land zu Land. Normalerweise waren der Premierminister beziehungsweise der Präsident, der Innenminister und der Verteidigungsminister und der politische Verantwortliche der Geheimdienste, die waren natürlich im Bilde.

    Meurer: Die deutsche Regierung sagt heute, wir haben nichts gewusst vom geheimen Abhörprogramm Prism der USA.

    Marty: Ja! Sie haben auch gesagt, sie wussten nichts von Rendition.

    Meurer: Das sind Entführungen, Renditions.

    Marty: Ja. Im Fall Khaled al-Masri hat damals der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einberufen. Das war auf Vorstoß von den Liberalen und von der Linken. Ich wurde damals lange als Zeuge verhört. Und damals hat die Bundesregierung einen Bericht vorgelegt über den Fall al-Masri, aber über 80 Prozent des Inhalts war Staatsgeheimnis, so dass man das nicht einmal lesen konnte. Und wenn Sie sich erinnern, hat die FDP damals eine Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil sie war der Meinung, die FDP, dass die Regierung ihre Informationspflicht, Auskunftspflicht an das Parlament verletzt.

    Meurer: Ganz kurz nur zur Verdeutlichung: Al-Masri ist damals auf dem Balkan, Mazedonien, entführt worden von der CIA, wurde nach Afghanistan gebracht, und Ihre Recherchen ergaben, die deutsche Seite hat irgendwann davon Kenntnis bekommen. Daraus schließen Sie, Herr Marty, dass die Bundesregierung sehr wohl über die Aktivitäten von CIA und NSA in Europa bescheid weiß?

    Marty: Sie kennen wahrscheinlich die Einzelheiten nicht, aber sie haben den freien Weg der CIA gegeben. Und dass die Bundesregierung etwas wusste, ist die Tatsache, dass der Bericht al-Masri für circa 80 Prozent des Inhalts als Staatsgeheimnis eingestuft wurde und nicht einmal dem Untersuchungsausschuss gegeben. Das bedeutet, man wusste etwas, mindestens von dem Fall al-Masri. Aber auch damals hatte vorher die Bundesregierung gesagt, wir wissen überhaupt nichts davon.

    Meurer: Wie viel erfahren die Parlamentarischen Kontrollgremien, die es gibt, im Bundestag?

    Marty: Ganz wenig. – Ganz wenig! – In den meisten Staaten – und das wurde in Italien dank einer großen Arbeit der Staatsanwaltschaft Mailand deutlich; da hat man alle Einzelheiten in einem Entführungsfall kennen gelernt. Damals haben normalerweise immer die militärischen Geheimdienste des jeweiligen Landes gehandelt und kooperiert mit der CIA. Und wie Sie wissen, die militärischen Geheimdienste, die sind viel weniger kontrolliert, wenn überhaupt.

    Meurer: Wer ist denn für die Kontrolle der militärischen Geheimdienste zuständig in der Regel?

    Marty: Das ist das Verteidigungsministerium, aber das hängt von Land zu Land ab. das kann auch das Innenministerium sein oder in Deutschland hat eine Rolle damals gespielt der Chef des Kanzleramtes.

    Meurer: Wie lautet Ihre Konsequenz, Herr Marty, aus den Ermittlungen, die Sie damals geführt haben über Geheimgefängnisse, Entführungen durch die CIA? Wie soll die Zusammenarbeit zwischen US-Nachrichtendiensten und europäischen, deutschen Stellen ablaufen?

    Marty: Ja, das ist schwer zu sagen. Aber ich glaube, man hat den Schlüssel des Hauses an die CIA und andere Dienste von den Vereinigten Staaten gegeben und man weiß heute nicht mehr, was die ganz genau mit diesem Schlüssel gemacht haben. Man muß auch sagen, in diesen letzten Jahren - drei, fünf Jahre, nicht mehr – hat die Speicherkapazität so massiv zugenommen von elektronischen Daten, daß heute die Lauschangriffe total neue, vorher unbekannte Maße angenommen haben.

    Meurer: Sollen die Regierungen den Amerikanern sagen, gebt uns den Schlüssel zurück?

    Marty: Ich meine ja, aber das betrifft nicht nur Deutschland. Ich glaube, das betrifft ganz Europa, und ich glaube, es gibt eine gewisse Scheinheiligkeit in diesen europäischen Protesten. Ich glaube, man war immer zufrieden, mit der CIA zu kooperieren, weil die CIA natürlich unbegrenzte Mittel hatten und die konnten uns immer Auskünfte geben, und das hat natürlich eine Hierarchisierung verursacht, die Amerikaner sind in diesem Bereich dominant und die anderen, um die Auskünfte zu bekommen, haben natürlich vieles erlaubt. Die Frage heute ist, wie viel und wie weit wusste die Politik. Aber die Politik, ich glaube, ist mindestens fahrlässig, weil die in den letzten Jahren nicht ihre Aufsichtsaufgabe ausgeübt hat.

    Meurer: Der Schweizer Politiker Dick Marty war Sonderermittler des Europarats zu den Geheimflügen und Gefängnissen der CIA in Europa. Herr Marty, besten Dank für das Gespräch und auf Wiederhören in die Schweiz.

    Marty: Auf Wiederhören, schönen Tag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.