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Gewünscht und verteufelt

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Werbung für die Finanztransaktionssteuer macht, ist ihr Koalitionspartner FDP strikt dagegen. Auch in Europa ist man geteilter Meinung. Dabei könnte die neue Steuer den Finanzmarkt vielleicht stabilisieren - wenn alle Staaten an einem Strang ziehen.

Von Caspar Dohmen | 29.01.2012
    "Ja meine Damen und Herren, die 1,8 Prozent, die sind schaffbar, die sind machbar, die FDP ist schon nahe dran an den 1,8 Prozent. Wir von der FDP, wir haben entschieden, wir konzentrieren uns jetzt auf unser Kerngeschäft, das heißt Politik für Banken, für Spekulanten und deswegen leisten wir weiter erbittert Widerstand in dieser Koalition als die letzten Mohikaner gegen die Finanztransaktionssteuer in der Eurozone. Politik für die 1,8 Prozent. We are the 1.8 Percent, we are the 1.8 Percent, we are the 1.8 Percent."

    Christoph Bautz von der Nichtregierungsorganisation Campact feuert durch ein Megafon bei dieser satirischen Jubeldemo seine Mitstreiter an. Zwei Dutzend Menschen haben sich als Banker und Lobbyisten verkleidet, sie tragen Anzüge und einige Taschen aus denen überdimensionierte falsche Geldscheine schauen, einer hat sich mit einer großen Maske als FDP-Parteichef Philipp Rösler verkleidet und schaut in die Kameras. Die Demonstranten stehen Mitte Januar schräg gegenüber der FDP-Bundeszentrale in der Berliner Reinhardstraße.

    Mit ihrer Aktion wollen sie die Freien Demokraten dazu drängen, auf den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy einzuschwenken: Beide werden sich höchst wahrscheinlich auch auf dem morgigen EU-Gipfel in Brüssel wieder für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aussprechen - auch wenn sie anfangs nur auf die Eurozone beschränkt wäre. Sarkozy, der sich im Wahlkampf befindet, will die Steuer notfalls sogar im Alleingang für Frankreich beschließen. Die FDP ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die sich gegen die Einführung der Spekulationssteuer ausspricht, sollte diese nur auf einzelne Länder oder die Eurozone beschränkt bleiben. Damit steht sie auch in Opposition zu ihren Koalitionspartnern CDU und CSU. Dafür weiß sie aber einen Großteil der deutschen Bevölkerung hinter sich: Schließlich sprechen sich 46 Prozent der Bürger gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aus, falls nicht alle EU-Länder mitmachen. Wären alle EU-Staaten dabei, dann wäre auch eine klare Mehrheit von 58 Prozent für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage, bei der die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF Mitte Januar 1359 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte befragt hatte. Aber was ist das überhaupt, eine Finanztransaktionssteuer? Diese Frage geht am Rande der Protestaktion an Susanne Jacoby, die bei Campact solche Aktionen organisiert.

    "Das ist ein langes kompliziertes Wort. Wir verkürzen es manchmal und sagen, es ist auch eine Spekulationssteuer. Letztendlich ist es eine Steuer auf Finanztransaktionen, also auf den Kauf und Verkauf von Aktien, Anleihen, aber auch von Devisen und letztendlich geht es darum, gerade Geschäfte, die der reinen Spekulation dienen, also die massenhaft getätigt werden und in Sekundenbruchteilen, zum Teil computergesteuert, dass das unrentabler wird, dass das verlangsamt wird, und sich letztendlich auch nicht mehr lohnt und dadurch Finanzmärkte stabilisiert werden können. James Tobin ist ja so ein bisschen der Vater dieser Tobin-Steuer, wie sie ja auch oft genannt wird und die Idee dieser Steuer ist ja jetzt schon sehr alt."

    Die Tobin-Steuer hat eine der erstaunlichsten Karrieren in der ökonomischen Dogmengeschichte hinter sich: Sie beginnt vor gut 40 Jahren. Am 15. August 1971 erklärte der damalige amerikanische Präsident Richard Nixon, dass die Vereinigten Staaten keine Dollar anderer Notenbanken mehr zu einem garantierten Kurs gegen Gold eintauschen werden. Mit seiner Entscheidung beerdigte Nixon endgültig das Währungssystem der Nachkriegszeit, das die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Bretton Woods geschaffen hatten. In diesem System waren alle Währungen, ob die Deutsche Mark, der japanische Yen oder das englische Pfund durch feste Wechselkurse an den Dollar und dieser wiederum an das Edelmetall Gold gekoppelt. Ein Vierteljahrhundert hatte dieses Währungssystem gehalten, bei dem bei wirtschaftlichen Ungleichgewichten zwischen Staaten die Regierungen eine Ab- oder Aufwertung beschließen mussten. Das kam einige Male vor, aber die Kurse schwankten nicht im Minutentakt, so wie heute. Über die Folgen weiß Peter Wahl Bescheid. Er arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation Weed, die sich für eine aus ihrer Sicht sozial gerechte und ökologisch zukunftsfähig gestaltete Globalisierung engagiert.

    "Das Ende von Bretton Woods war so etwas wie der Urknall der finanziellen Globalisierung. Plötzlich war es möglich durch die freien Wechselkurse und den Wegfall politischer Beschränkungen praktisch als Bank überall in der Welt, wo offene Finanzmärkte waren, tätig zu werden. Das hat allein quantitativ einen völlig neuen Markt von riesigem Ausmaß erschlossen. Wir haben heute pro Börsentag drei Billionen US-Dollar Umsatz, davon sind ungefähr fünf Prozent für realwirtschaftliche Geschäfte, das heißt also internationalen Handel und Auslandsinvestitionen notwendig, der Rest ist reines Finanzmarktgeschäft, Absicherung ist davon sicher noch ein kleiner Teil, aber 80 Prozent ist rein spekulativ."

    Die Folgen flexibler Wechselkurse für die Wirtschaft interessierten schon damals den Ökonomen James Tobin, der an der amerikanischen Yale-Universität forschte. 2001 beschrieb er rückblickend in der englischen Wirtschaftszeitung "Financial Times" die Entstehungsgeschichte der nach ihm benannten Steuer.

    "In meinen Augen ging es 1971 aber nicht um die Frage flexibler versus fester Wechselkurse, sondern vielmehr darum, wie man die Wechselkurse einigermaßen stabilisieren könnte. Ich erinnerte mich daran, dass John Maynard Keynes nach dem Börsencrash 1929 Interesse daran gezeigt hatte, durch eine Umsatzsteuer auf Börsenumsätze, die Investoren dazu zu bringen, langfristig zu investieren. Mein Hauptziel bei der Tobin-Tax war, ein gewisses Maß an nationaler Autonomie in der Geldpolitik zu wahren. Marktmechanismen und Spekulation neigen dazu, in jeder Währung der Welt die Risiko-bereinigten Zinssätze an den Geldmärkten gleich zu halten. Das hindert Zentralbanken, ihre Geldpolitik an die Erfordernisse im eigenen Land anzupassen. Da diese Spekulation wiederholte Transaktionen erforderlich macht, kann eine Steuer Abhilfe schaffen."

    Peter Wahl ist bis heute von der Weitsicht Tobins beeindruckt, weil,

    "…er genau vorausgesehen hat, dass der freie Kapitalverkehr natürlich dazu führt, dass hier ein, ja, Faktor entsteht, der durch nationalstaatliche Kontrollen sehr schwer zu zügeln ist, und deswegen hat er diese Steuer damals erfunden, die übrigens durchaus im Rückgriff auf einen Gedanken, den Keynes schon in den 30er Jahren formuliert hat, der auch der Meinung war, dass die Globalisierung des Welthandels zwar in Ordnung sei, aber die Globalisierung der Finanzmärkte nicht, mit dem Argument, dass Nationalstaaten diesen Tiger nicht mehr reiten können, der dann entsteht, wenn die nationalstaatlichen Kontrollen quasi durch transnationalen Kapitalverkehr umgangen werden."

    Im zwölften Kapitel, seines im Jahr 1936 unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise geschriebenen Hauptwerkes "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes", schlägt Keynes, der wohl einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts, eine allgemeine Steuer auf alle Börsengeschäfte vor. Seiner Theorie zufolge führen die langfristigen Erwartungen der Unternehmer zu langfristigen Investitionen und bilden die Basis für neuen Wohlstand in einer Volkswirtschaft. Die kurzfristigen Erwartungen jedoch, auf die es den Börsen ankommt, sind da ganz anderer Natur. Keynes, der selbst immer wieder an der Börse spekulierte, schrieb.

    "Spekulanten schaden nicht, solange sie Luftblasen auf einem stetigen Strom unternehmerischer Investitionen sind. Die Lage wird ernst, wenn das Unternehmen zur Blase in einem Strudel wird."

    An diesen Gedanken seines wissenschaftlichen Vorbilds Keynes knüpfte Tobin an: Er wollte kurzfristige Transaktionen auf den Devisenmärkten verteuern, um den Strom ökonomisch sinnvoller langfristiger Investitionen der Unternehmen möglichst frei von Störungen zu halten. Zur Wirkungsweise der Steuer schreibt Tobin:

    "Bei einem einmaligen Transfer ist eine Steuer von 0,05 Prozent zu vernachlässigen, aber wenn man sie einmal pro Woche bezahlen muss – weil die Spekulation häufige Transaktionen macht - senkt sie die jährliche Rendite um 2,5 Prozent. Dieser Puffer lässt der Zentralbank Spielraum für Geldpolitik."

    Auf die Idee von Tobin gab es erst ein viertel Jahrhundert später ein Echo als sich 1995 das UN Development Project damit bei einer wissenschaftlichen Konferenz beschäftigt. Hier wird auch der Name "Tobin-Tax" geprägt. Allerdings interessierten sich die Experten damals mehr für die möglichen Einnahmequellen aus einer solchen Steuer für die Finanzierung von Umwelt- und Klimawandelschäden, als den von Tobin beabsichtigten Nutzen, die Stabilisierung des Devisenmarktes.

    Zwei Jahre später platzt in Südasien eine Kreditblase. Westliche Geldgeber ziehen damals innerhalb kurzer Zeit hohe Summen aus den Ländern ab, was die Krise verstärkt. Wieder einmal werden die schädlichen Wirkungen kurzfristiger Geldgeschäfte offenbar.

    Am 12. Dezember 1997 meldet sich Ignacio Ramonet, der Chefredakteur der französischen Wochenzeitung "Le Monde diplomatique" mit einem Leitartikel unter der Überschrift "Die Märkte entschärfen" zu Wort:

    "Will man verhindern, dass die Welt sich im 21. Jahrhundert endgültig in einen Dschungel verwandelt, in welchem die Räuber den Ton angeben, wird die Entwaffnung der Finanzmächte zur ersten Bürgerpflicht, 1400 bis 1500 Milliarden Dollar wandern mehrmals täglich – meist im Zehnminutentakt – auf den Devisenmärkten hin und her; es wird auf Schwankungen im Devisenkurs spekuliert (…) Es wird höchste Zeit, diesen zerstörerischen Kapitalbewegungen Sand ins Getriebe zu streuen. Das ist auf dreierlei Weise möglich: über die Abschaffung der 'Steuerparadiese' über die höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und über eine allgemeine Besteuerung der Finanztransaktionen. Warum nicht eine weltweite regierungsunabhängige Organisation namens Action pour une taxe Tobin d´aide aux citoyens- Attac -ins Leben rufen?"

    Mit diesem Leitartikel erreicht Ramonet mehr als andere Chefredakteure in ihrer ganzen Karriere. Dazu Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation Weed:

    "Der war der Zünder, der Auslöser dafür das in Frankreich Attac gegründet worden ist, dass ja schon im Namen diese Steuer hat, ist eine Abkürzung zur Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger und Bürgerinnen, heißt es auf Deutsch."

    Zwar klebte Attac auf seine Forderung zunächst das Etikett Tobin-Steuer, doch der Inhalt ist unterschiedlich. Während der amerikanische Ökonom nur Devisengeschäfte besteuern wollte, will Attac alle Finanztransaktionen besteuern. Deswegen spricht man nun auch von der Finanztransaktionssteuer. Tobin distanzierte sich mehrfach, so schrieb er in der Financial Times:

    "Mit diesen Bewegungen habe ich nichts zu tun und ich bin nicht über ihre Forderungskataloge informiert. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich von meinem eigenen Vorschlag distanziere. Das tue ich ganz gewiss nicht. Ich habe allerdings keinerlei Kontrolle über die Verwendung des Begriffs Tobin-Tax. Ich gehe zwar davon aus, dass es die meisten Befürworter gut meinen, aber ich verabscheue die Extremisten unter ihnen."

    Andere sprechen fortan von der Robin-Hood-Tax. Den Reichen nehmen und den Armen geben, dies ist der Grundgedanke vieler Nichtregierungsorganisationen, Kirchen oder Gewerkschaften, die sich nun für die Steuer einsetzten. Nach den Terroranschlägen vom 11. September verschwand die Steuer von der politischen Weltagenda. Ihr Comeback in der politischen Diskussion erlebte sie mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 und den Überlegungen der Staaten, wie die Finanzinstitute an den Kosten für die Krise beteiligt werden können.

    Die deutsche Finanzindustrie wehrt sich gegen die Einführung einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte. Europas größter Versicherungskonzern Allianz hat für den Fall der Einführung der umstrittenen Steuer bereits angedroht, seine Geschäfte künftig über London abzuwickeln. Die grundsätzlichen Bedenken schildert der Ökonom Lüder Gerken, Chef der Freiburger Stiftung Ordnungspolitik, gewissermaßen der Gralshüter des Erbes der Väter der Sozialen Marktwirtschaft wie Walter Eucken:

    "Im Güterwarenverkehr, bei Produktionsvorschriften haben sie grenzüberschreitende Effekte, aber können gleichwohl national regulieren. Bei einer Finanztransaktionssteuer sieht es schon anders aus, denn, wenn sie in Europa eine solche Transaktionssteuer an den Börsen erheben, kann mit einem Federstrich gesagt werden, ich kaufe meine Aktie nicht mehr in Frankfurt, sondern in New York, wo ich keine Transaktionssteuer habe. Das macht für mich als Anleger kein großes Problem, es macht für den Verkäufer der Aktien ebenfalls kein großes Problem. Also wandert das Geschäft ab, das Instrument droht leer zu laufen. Da haben wir in der Tat sinnvollerweise eine grenzüberschreitende Regulierung oder sollten wir sie haben."

    Dem Abwanderungsargument widerspricht Paul Bendix von der britischen Nichtregierungsorganisation Oxfam, gerade mit Blick auf England:

    "Die Briten haben längst eine Finanztransaktionssteuer. Seit Jahren wird in England eine Finanztransaktionssteuer auferlegt auf Finanzgeschäfte, das hat der Londoner City nicht geschadet. Also das ist wirklich ein so an den Haaren herbeigezogenes Argument, natürlich, je mehr mitmachen, desto besser. Und natürlich ist ernst zu nehmen, wenn große deutsche Finanzkonzerne schon jetzt drohen, sie werden aus Deutschland abwandern. Aber das sind alles Drohgebärden. Das wird nicht stattfinden."

    Kauft ein Anleger in Großbritannien für 50.000 Euro Aktien, dann muss er entsprechend der Stempelsteuer von 0,5 Prozent 250 Euro an den Fiskus überweisen. Insgesamt nimmt das britische Schatzamt jährlich etwa 3,6 Milliarden Euro mit der Steuer ein. Diese Steuer gibt es bereits seit dem Jahre 1694. Allerdings gibt es viele Ausnahmen. Zudem bleibt der Hochfrequenzhandel, bei dem in Nanosekunden gehandelt wird, ebenso außen vor, wie alle Finanzgeschäfte mit Anleihen, Devisen oder Rohstoffen. In den Augen der Befürworter einer umfassenden Finanztransaktionssteuer ist die englische Regelung deswegen unzureichend.

    Nach dem Vorbild der Engländer führten die Deutschen 1881 ebenfalls eine Stempelsteuer auf bestimmte Wertpapierkäufe ein. Während der Weimarer Republik fasste die Regierung 1922 diese Stempelsteuer mit der Gesellschafts- und Wertpapiersteuer zu einer Börsenumsatzsteuer zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob der Staat beim Kauf von öffentlichen Anleihen ein Promille vom Kurswert als Steuer und 2,5 Promille des Kurswertes beim Kauf anderer festverzinslicher Papiere und Aktien. Schluss machte damit 1991 die Schwarz-Gelbe Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Sie schaffte die Börsensteuer mit dem Finanzmarktförderungsgesetz ab und begründete dies mit einer Stärkung des heimischen Finanzmarktes. Luxemburg, Spanien und die Niederlanden strichen ebenfalls solche Steuern. Andere Länder wie die Schweiz, Belgien oder Finnland behielten sie bei, einige Länder führten neue Kapitalverkehrssteuern ein, so wie Brasilien vor zwei Jahren.

    Die FDP wirbt neuerdings für die Wiedereinführung einer Stempelsteuer nach britischem Vorbild in der Eurozone. Eine umfassende Finanztransaktionssteuer, wie sie die CDU/CSU mittlerweile befürwortet, lehnt sie ab. Die FDP verweist vor allem auf Wettbewerbsnachteile für den deutschen Finanzmarkt. Als abschreckendes Beispiel gilt ihr Schweden.

    Dort führte die Regierung unter Olaf Palme 1984 eine einprozentige Börsenumsatzsteuer ein. Schon eine Woche nach Einführung der Steuer war der Handel mit festverzinslichen Papieren um 85 Prozent und das mit Termin- und Optionsgeschäften erzielte Volumen gar um 98 Prozent eingebrochen. Als die Regierung darauf den Steuersatz auf zwei Prozent verdoppelte, verlagerten immer mehr schwedische Aktienhändler ihre Geschäfte ins Ausland, vor allem nach London. Mehr als neun Millionen Euro jährlich und damit so gut wie nichts, nahm der schwedische Staat mit der Steuer nie ein. Die Regierung unter Carl Bildt schaffte sie deswegen wieder ab. Aber ist die Erfahrung Schwedens übertragbar? Eine Frage an Donata Riedel, die als Hauptstadtkorrespondentin für die Wirtschaftszeitung Handelsblatt über Finanzpolitik schreibt:

    "Jedenfalls haben sie eine Steuer eingeführt, völlig als nationalen Alleingang. Und Schweden ist ja nun kein besonders großer Finanzmarkt. Insofern war es für alle Akteure sehr, sehr einfach, da auch auszuweichen. Das ist so der Grund, weshalb heute, also auch die Befürworter hier in Deutschland für die Finanztransaktionssteuer sagen, das schwedische Beispiel ist nicht so ganz treffend aus heutiger Sicht, weil man würde ja dann doch in der gesamten Eurozone mindestens mit dieser Steuer anfangen und dann wären auch die großen Märkte Deutschland und Frankreich mit dabei. Und selbst, wenn die Briten nicht dabei wären, wäre das doch ein ganz erheblich größerer Teil der Eurozone, als das eben in Schweden damals alleine gewesen ist."

    Lange Zeit lehnten die etablierten Parteien in den Industrieländern alle Forderungen nach spezifischen Steuern für den Finanzsektor ab. Im August 2010 forderte mit Nicolas Sarkozy erstmals ein prominenter europäischer Politiker eine Beschränkung des internationalen Kapitalmarkts. Für Paul Bendix war dies der entscheidende Moment, in dem die Stimmung in Europa zugunsten einer Transaktionssteuer kippte:

    "Ich denke das Kippen war ein Umschwenk von Sarkozy. Frau Merkel hält sich ja bedeckt, immer, und klug wie sie ist. Aber Sarkozy hat ganz klar einen Positionsschwenk unternommen und viele andere Länder auch: Österreich, Holland, da gibt es ja unterschiedliche Bewegungen."

    Donata Riedel hat dies im politischen Berlin ähnlich erlebt:

    "Da hat sich so nach und nach die Haltung in den etablierten politischen Parteien gewandelt, vor allem innerhalb der CDU. Ich denke es hat etwas damit zu tun, dass zum einen deutlich wurde, dass für Griechenland eben Rettungspakete geschnürt werden müssen und zum anderen sich die Wirtschaft ganz gut erholt hatte und die Banken wieder ganz gute Geschäfte gemacht haben und dann entstand so der Eindruck, die Banken, denen geht es wieder gut und die haben überhaupt nichts bezahlt für die Kosten der Finanzkrise, aber der Steuerzahler muss jetzt als Folge der Finanzkrise auch noch Staaten retten."

    Die Front der Befürworter und Gegner geht sowohl auf europäischer als auch deutscher Ebene noch quer durch die Reihen. Eine Entscheidung über die deutsche Position könnte bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses im Februar fallen. Selbst wenn Kanzlerin Angela Merkel die FDP hier von der Einführung einer umfassenden Transaktionssteuer überzeugt, bleibt noch viel zu tun.

    Der britische Regierungschef David Cameron hat erst diese Woche auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt, die deutsch-französischen Pläne weiterhin zu blockieren, weil sie seiner Meinung nach viel Geld und Tausende Arbeitsplätze kosten würden. Schweden und Tschechen kämpfen offen gegen die Einführung einer solchen Steuer, die Spanier und Italiener wehren sich hinter den Kulissen dagegen.

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