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Gezeitenwende

Wellen, Strömungen und Gezeiten enthalten soviel Energie, dass sie den Stromverbrauch der Menschheit gleich mehrfach decken könnten. Soweit die Theorie. Tatsächlich erwies es sich als schwierig, das Meer zu zähmen, die Branche hatte in den letzten Jahrzehnten mit schweren Rückschlägen zu kämpfen.

Von Frank Grotelüschen | 07.11.2010
    "Dem Meer verdank' ich alles: Es verschafft die Elektrizität, und diese gewährt Wärme, Licht, Bewegung."

    1869. Kapitän Nemo in "20.000 Meilen unter dem Meer" von Jules Verne.

    "Es macht mich rasend zu sehen, wie all diese Energie nutzlos verpufft. Doch eines Tages werden wir sie an die Kette legen!"

    1889. Thomas Alva Edison während einer Reise über den Atlantik, als er stundenlang auf die Wellen starrt.

    Gezeitenwende. Strom aus dem Meer soll konkurrenzfähig werden. Eine Sendung von Frank Grotelüschen.

    "Funktionieren tut Wellenenergie, das wissen wir!"

    "Ich bin überzeugt, dass Wellenenergie genutzt wird."

    Jahrzehntelang haben die Ingenieure geforscht und entwickelt.

    "Es gibt eine Handvoll Konzepte, die bewiesen haben, dass man das realisieren kann!"

    Nun nähern sie sich ihrem Ziel: die enormen Kräfte von Wellen und Gezeiten zu verwandeln in klimafreundlichen Strom.

    "Wir schätzen das Potenzial auf rund ein Terawatt weltweit. Das ist wahrscheinlich sogar mehr als wir beim Wind erwarten."

    Wellen und Gezeiten enthalten Energie. So viel Energie, dass man den Stromverbrauch der Menschheit mehrfach damit decken könnte, zumindest theoretisch. Aber: Es ist schwierig, diese Energie zu nutzen. Die Technik ist aufwendig, teuer und unzuverlässig – weshalb die meisten Versuche bislang scheiterten. Doch nun, angesichts von Klimawandel und knapper werdenden Ressourcen, wird die Meeresenergie wieder interessant. Mit den verschiedensten Konzepten versuchen Forscher und Firmen, die Kräfte der Ozeane in Megawatt umzuwandeln.

    "Das Gezeitenkraftwerk La Rance ist schon in den 60er-Jahren gebaut worden."

    Jochen Bard, Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik, Kassel.

    "Das hat eigentlich von Anfang an sehr gut funktioniert. Das sind ähnliche Turbinen, wie sie in Flusskraftwerken eingesetzt werden. Die Besonderheit war, dass man diese Turbinen in beide Richtungen betreibt, um den Energieertrag aus der Anlage zu optimieren."

    Saint-Malo in der Bretagne. An der Mündung des Flusses Rance steht ein Staudamm, 750 Meter lang. Bei Flut läuft das Wasser durch offene Schleusen in ein Becken. Bei Hochwasser schließen die Schleusen. Herrscht draußen Ebbe, lässt man das Wasser wieder aus dem Becken laufen. Das Wasser strömt durch Turbinen und erzeugt Strom: 240 Megawatt – immerhin soviel wie ein Gaskraftwerk. Dennoch: Durchsetzen konnte sich das Prinzip nicht. Außer La Rance gibt es nur ein paar kleinere Gezeitenkraftwerke in Kanada, Russland und China.

    "Die Schwierigkeit dabei ist hauptsächlich die Wirtschaftlichkeit. Und zweitens sind die erheblichen Umweltauswirkungen ein Problem. So ein Stauwehr in einer Flussmündung führt dazu, dass die Durchgängigkeit für Lebewesen nicht mehr gegeben ist. Und zweitens ändert sich der Sedimenttransport ganz erheblich. Es kann zu starken Veränderungen der Umwelt führen und damit der Artenzusammensetzung. Und das hat man in La Rance beobachtet."

    Zwar entsteht in Korea eine ähnlich große Staudamm-Anlage. Die Zukunft aber gehört dieser Technik kaum.

    Dem Meer verdank' ich alles.

    "Funktionieren tut Wellenenergie, das wissen wir!"
    Eines Tages werden wir sie an die Kette legen!
    "Ich bin überzeugt, dass Wellenenergie genutzt wird."

    Peter Fraenkel, Marine Current Turbines, England.

    "SeaGen ist eine Art Unterwasser-Windrad. Statt Wind nutzt es das Wasser, genauer gesagt die Gezeitenströmung. Denn Wasser hat den Vorteil, rund 800 Mal dichter zu sein als Luft. Deshalb kann ein kleiner Rotor unter Wasser genauso viel leisten wie ein großer an der Luft."

    SeaGen, das Aushängeschild einer neuen Generation von Gezeitenkraftwerken. Mit 1,2 Megawatt leistet es so viel wie ein ausgewachsenes Windrad. SeaGen besteht aus einem Metallturm, mehrere Stockwerke hoch. In der Mitte ragen zwei Metallbalken heraus, an deren Ende jeweils ein Rotor hängt, Durchmesser 16 Meter. Seit zwei Jahren läuft SeaGen in einer Meerenge an der nordirischen Küste. Hier findet sich einer der schnellsten Gezeitenströme in Europa, bis zu fünf Metern pro Sekunde schnell.

    "Das größte Problem waren die höchst aggressiven Bedingungen in einer Gezeitenströmung. Kräfte von mehreren hundert Tonnen zerren an der Anlage. Deshalb mussten wir sie so stabil bauen, dass sie diese Kräfte aushält. Und das war gar nicht einfach, da gab es zuvor nur wenig Erfahrung."

    Die Blätter der Rotoren können so verstellt werden, dass sie sich bei Ebbe wie bei Flut drehen. Ein Spezialanstrich verhindert, dass Muscheln und Seepocken auf der Anlage wachsen und die Technik blockieren. Ein Unterwassersonar überwacht die Umgebung und gibt Alarm, sollten sich Robben oder andere Meerestiere nähern. Dann werden die Rotoren gestoppt.

    Bislang hat die Anlage unsere Erwartungen übertroffen. Hier und da gibt es kleinere Probleme, aber zum Glück nichts Ernsthaftes.

    Noch ist die Technik zu teuer, um wirtschaftlich mit Offshore-Windrädern mitzuhalten. Um sie billiger zu machen, will Peter Fraenkel größere Anlagen bauen.

    "Was die Größe der Rotoren angeht, gibt es Grenzen. Irgendwann werden die Kräfte, die an der Anlage zerren, einfach zu groß. Deswegen setzen wir darauf, Anlagen mit mehr als zwei Rotoren ins Wasser zu stellen. Wir denken an Maschinen mit bis zu sechs Rotoren. Das würde die Technik kostengünstiger machen."

    Als Computeranimation gibt es eine solche Anlage schon. Sie sieht aus wie ein mit sechs Propellern bestückter Riesen-Doppeldecker aus den Frühtagen der Luftfahrt. Ein Park mit mehreren dieser Anlagen soll in ein paar Jahren vor Schottland entstehen. Der nächste, der notwendige Schritt.

    "Nach den ersten Testanlagen muss überprüft werden, ob das Ganze in einer Farm funktionieren kann."

    Jochen Weilepp, Voith Hydro, Heidenheim.

    "Es werden wahrscheinlich Felder von fünf bis zehn Anlagen gebaut werden, die dann im Testbetrieb weiterlaufen. Und dann muss es relativ schnell zu einer Kommerzialisierung gehen."

    Auch die Firma Voith Hydro hat einen Prototyp für ein Strömungskraftwerk gebaut. Es soll noch in diesem Winter in Korea ins Wasser gesetzt werden. Gegenüber Windrädern und Solarzellen haben solche Unterwasserturbinen einen gewichtigen Vorteil:

    "Die Gezeiten lassen sich perfekt berechnen. Solange der Mond da bleibt, wo er ist, kann man das auf die nächsten 1000 Jahre genau berechnen. Hier können die Energieversorger perfekt planen. Wenn Sie so ein Kraftwerk haben, wissen Sie ganz genau, wann welche Energie anfallen wird."

    Der Nachteil: Das Verfahren lohnt nur dort, wo es starke Gezeitenströme gibt – in Meerengen und zwischen Inseln. Das bedeutet:

    "Es kann nicht überall eingesetzt werden. Sondern es müssen spezielle Standorte gefunden werden. Wir schätzen das Potenzial weltweit auf rund 100 GW. Das ist ein theoretisches Potenzial. Wenn man davon ausgeht, dass man nicht überall etwas bauen kann, glauben wir, dass es um die 10.000 Anlagen weltweit geben kann, die betrieben werden."

    Diese 10.000 Anlagen könnten in etwa soviel Strom liefern wie 10 bis 20 Großkraftwerke – ein begrenztes Potenzial.

    Wellen gibt es fast überall. In manchen Regionen der Erde ist das Meer das ganze Jahr in Bewegung. Das Potenzial klingt gewaltig: Wellen speichern 500 Mal mehr Energie als die Menschheit an Strom verbraucht. Selbst wenn man nur die Gewässer in Küstennähe nutzen würde, ließe sich ein Drittel des Weltstrombedarfs mit Wellenkraft decken.

    Islay eine grüne Insel vor der schottischen Westküste. Das Jahr 2000. Direkt am schäumenden Meer, mitten zwischen zerklüfteten Felsen, baut die schottische Firma Wavegen eine Versuchsanlage für ein Wellenkraftwerk.

    Tom Heath, leitender Bauingenieur.

    Wir stehen auf der Südseite und sehen am Fuß der Anlage deutlich die beiden Abschnitte des Wasser-Eintrittstors, die bereits eingebaut wurden. Sie bedecken die ersten zwei Kammern, in denen später die Wassersäule steigen und fallen wird. Wenn alles fertig ist, werden es drei Kammern sein.

    Wie eine Plombe sitzt die 21 Meter breite Anlage im Fels – nach unten, zum Meer hin, offen, wie eine gigantische Dunstabzugshaube. Jede Welle drückt die Luft in der Haube zusammen und treibt eine Stromturbine an, zweieinhalb Meter dick und 15 Meter lang. Weicht die Welle zurück, saugt sie die ausgestoßene Luft wieder ein, und das lässt die Turbine ebenfalls drehen.

    "Wie eine Luftpumpe, die durch eine Turbine Luft hindurchdrückt und Luft zurücksaugt."

    Raphael Arlitt, Voith Hydro. 2005 hat die Heidenheimer Firma Wavegen gekauft.

    Im Jahr 2000 geht der Prototyp in Schottland in Betrieb – das erste Wellenkraftwerk der Welt, das ins öffentliche Stromnetz speist.

    "Der hat mittlerweile 60.000 Betriebsstunden gezeigt. So dass wir zu dem erfolgreichen Ergebnis gelangt sind, die Anlage mit 96 Prozent verfügbar zu haben – über das gesamte Jahr gesehen."

    Zurzeit entsteht in Mutriku an der baskischen Küste eine weitere Anlage mit 16 Turbinen, integriert in die Hafenmauer. Während der Bauphase sorgt sie bei den Anwohnern für Aufregung: Die Betonhauben, in die die Wellen die Luft hineinpressen, wirken wie Orgelpfeifen. Das Geräusch ähnelt einem fauchenden Drachen. Mutriku Dragon, so nennt der Volksmund das Phänomen. Die fertige Anlage wird weitaus weniger Krach machen, versichern die Experten.

    "Die Pläne sind, diese Turbinen zu integrieren in Hafenmolen und Wellenbrecher. So dass man aus diesen passiven Strukturen aktive erneuerbare Energien-Kraftwerke gestalten kann. Und das ließe sich in nördlichen Breiten Europas sehr gut nutzen in Hafenanlagen."

    Wavegen ist nur ein Konzept von Dutzenden. Auf ganz unterschiedliche Weise versuchen die Ingenieure, Strom aus der Kraft der Wellen zu gewinnen. Beispiel 1:

    Wavebob, die wippende Boje.

    "Wavebob ist ein Wellenenergiekonverter und beruht auf dem Funktionsprinzip der Relativbewegung von zwei Schwimmkörpern."

    "Die Bewegung wird mit einer Hydraulikanlage abgenommen und in elektrische Energie umgewandelt."

    Eine Boje, bestehend aus zwei konzentrisch angeordneten Körpern. Der innere ist schwer und träge und schwimmt hauptsächlich unter Wasser wie ein Eisberg. Der äußere ist leichter und wird von den Wellen stärker angehoben als der träge Körper in der Mitte. Beide Körper sind hydraulisch miteinander verbunden, ihre Relativbewegung treibt einen Stromgenerator an.

    "Wir bauen jetzt eine Anlage, die wird ungefähr vier Meter Hub haben. Und die Größe wird über zehn Meter Durchmesser sein."

    Vorteil:

    Gut geeignet für lange Wellen auf hoher See.

    Nachteil:

    Für Wartung und Reparaturen schwer zu erreichen.

    Beispiel 2:

    Oyster, die mechanische Auster.

    David Kaye, Aquamarine Power, Schottland:

    "Oyster ist eine große Klappe, 10 Meter hoch und 20 Meter breit. Sie ist direkt vor der Küste am Meeresgrund verankert. Oyster klappt im Takt der Wogen auf und zu und bewegt dabei zwei große Kolben hin und her. Diese Kolben drücken Wasser durch eine Pipeline an Land. Dort treibt das Wasser eine Turbine an. Und diese Turbine erzeugt dann über einen Generator Strom."

    Ein erster Prototyp wurde 2009 installiert, vor der schottischen Insel Orkney.

    "Im nächsten Sommer wollen wir einen größeren Prototypen aufbauen. Er wird effizienter und robuster sein als der erste. Für ein kommerzielles Kraftwerk mit bis zu 20 Megawatt haben wir dann eine Anlage mit 15 Klappen im Sinn, die über eine Pipeline mit einer einzigen Turbine an Land verbunden sind."

    Ein Großteil der Technik steht sicher an Land, gut geschützt gegen das aggressive Meerwasser.

    Nachteil:

    Die Anlage schaut aus dem Wasser heraus – womöglich ein Dorn im Auge von Anwohnern und Touristen.

    Beispiel 3:

    Wave Dragon, der schwimmende Pool.

    Hans Christian Sørenesen, Wave Dragon, Dänemark:

    "Wave Dragon ist eine schwimmende Insel. Eine ihrer Seiten hat die Form einer Rampe. Auf dieser Rampe laufen die Wellen hoch, um in einer Art Swimmingpool zu landen. Irgendwann ist der Wasserpegel in diesem Pool höher als das Meeresniveau. Dann öffnen wir eine Turbine, durch die das Wasser zurück ins Meer läuft, wobei die Turbine Strom erzeugt."

    Einen kleinen Prototypen haben die Forscher schon getestet, 57 Meter lang und 260 Tonnen schwer.

    "Jetzt bauen wir eine Anlage in Originalgröße, 33.000 Tonnen schwer und groß wie sieben Fußballfelder. Sie soll ab Ende 2011 an der Westküste von Wales getestet werden."

    Vorteil:

    Gleichmäßige Energieerzeugung, kein Hydrauliköl nötig.

    Nachteil:

    Anfälligkeit gegen Stürme. Bewuchs mit Algen und Muscheln.

    Wavestar, das Wellenkraftwerk auf Stelzen.

    Laurent Marquis, Wavestar, Dänemark:

    "Wir sind im äußersten Nordwesten Dänemarks, in Hanstholm. Hier haben wir viel Wind und Wellen. Und zwar manchmal sehr, sehr hohe Wellen."

    Wavestar steht im Meer, 300 Meter von der Küste entfernt. Ein flacher Metallbau auf vier Stelzen, fast wie eine Ölbohrinsel im Miniformat.

    "Wir gehen jetzt zu unserer Maschine. Sie liegt am Ende des ehemaligen Hafenpiers von Hanstholm. Wir haben eine Fußgängerbrücke auf ihn gesetzt, um unabhängig vom Seegang zur Maschine laufen zu können."

    Je näher wir kommen, umso besser sind zwei große, kugelige Bojen zu erkennen. Sie ragen aus der Seite der Plattform herab und bewegen sich im Seegang auf und ab.

    "Die Bojen sind an mechanischen Armen an der Plattform befestigt. Jeder Arm ist mit einem Hydraulikzylinder verbunden. Wenn die Boje im Seegang wogt, bewegt sie den Zylinder auf und ab. Er treibt dann eine Pumpe an, die mit einem Stromgenerator verbunden ist."

    Marquis ist auf der Plattform angekommen und öffnet eine Tür. Das Innenleben von Wavestar: wuchtige Blöcke aus Stahl, lange Rohrleitungen, Schaltschränke für die Elektrik.

    "Die Maschine ist groß wie ein Schiff: 40 Meter lang und fast 30 Meter breit. Sie wurde auf einer Werft in Danzig gebaut. Hier sind die ganzen Hydraulikpumpen und Generatoren aufgestellt."

    Die Pumpen singen, die Generatoren dröhnen. Jeder der beiden Schwimmkörper leistet bis zu 50 kW, soviel wie der Motor eines Kleinwagens. Doch heute ist die See ruhig, die Wellen sind kaum einen halben Meter hoch. Die Bojen dümpeln träge vor sich hin.

    "Optimal ist eine Wellenhöhe von 2,5 Metern. Dann ernten wir die meiste Energie. Sind die Wellen allerdings höher als drei Meter, fahren wir die Bojen hoch, damit sie nicht beschädigt werden. Bei Sturm können wir die ganze Plattform hochfahren, um bis zu zehn Meter. Dann sind wir sicher vor dem Sturm – ein Vorteil gegenüber anderen Wellenkraftwerken, die sich komplett im Wasser befinden."

    Ein weiterer Vorteil: Wavestar ist über eine Brücke mit dem Land verbunden. Daher lässt es sich einfach warten und reparieren.

    "Es gibt natürlich auch Nachteile: Mit unserer Maschine können wir nicht auf hoher See arbeiten, sondern nur in Küstennähe, in Wassertiefen bis zu 15 Metern."

    Dennoch, sagt Marquis: Allein in Europa gäbe es genug Standorte – außer Dänemark die Küsten von Irland, Schottland, Portugal und Frankreich. Gedacht ist an große Parks von Wellenkraftwerken, jedes mit 20 Schwimmkörpern statt der zwei vom Prototypen in Hanstholm. Nur: Auch Wavestar ist noch viel zu teuer.

    Wir müssen die Kosten drastisch reduzieren – gegenüber dem Prototyp hier um 90 Prozent. Zum Glück wissen wir schon, wie wir die Anlage um die Hälfte billiger bauen können, etwa durch ein effizienteres Hydrauliksystem. Aber das reicht noch nicht. Wir müssen noch weiter mit dem Preis runter.

    Die Beispiele zeigen: Es sind völlig unterschiedliche Strategien, mit denen man die Energie der Wellen ernten kann. Jede Strategie hat ihre Stärken und Schwächen. Küstenferne Wellenkraftwerke versprechen eine hohe Energieausbeute, dürften aber wegen der aufwendigen Verkabelung relativ teuer sein. Küstennahe Anlagen sind einfacher zu installieren und zu warten, würden aber weniger Strom liefern, sagt Fraunhofer-Forscher Jochen Bard.

    "Bei der Wellenenergie ist es so, dass man es in unterschiedlichsten Wassertiefen mit unterschiedlichsten Wellenklimaten zu tun hat. Diese Bedingungen werden von unterschiedlichen Anlagentypen verschieden gut berücksichtigt. Das heißt: Man wird nicht mit einer einzigen Technologie alle Wellenenergie-Standorte nutzen können."

    John Reekie, Scottish Enterprise, Schottland:

    "Der Saltire-Preis ist ein Wettbewerb, der die Meeresenergie entscheidend voranbringen soll. Mit zehnMillionen. Pfund ist er der höchstdotierte Innovationspreis aller Zeiten. Er wird an denjenigen vergeben, der es bis zum Jahre 2017 als erster schafft, in schottischen Gewässern eine Leistung von 100 Gigawattstunden mit der Meereskraft zu erzeugen, und zwar innerhalb von zwei Jahren."

    Der Saltire-Preis. 10 Millionen Pfund, rund 11,5 Millionen Euro. Ein enormer Anreiz für die Pioniere der Meeresenergie. 100 Gigawattstunden – für ein Großkraftwerk ein Kinderspiel, es braucht dafür vier Tage. Für Gezeitenturbinen und Wellenkraftwerke eine gewaltige Hürde. Die bisherigen Prototypen sind zu klein und zu unzuverlässig. Wird es überhaupt jemand schaffen, die 10 Millionen Pfund einzuheimsen?

    "2017 – es ist möglich!"

    Frank Neumann, Wave Energy Center, Portugal:

    "Aber es muss was in den nächsten zwei bis drei Jahren ernsthaft passieren. Und ich hoffe, dass es passiert."

    Doch noch ist der Weg weit, sagt Neumann. Denn:

    "Wir haben 25 bis 30 Jahre Verspätung im Vergleich zur Windenergie. Es ist eine Technologie, die wesentlich schwieriger zu implementieren ist als viele andere. Man hat extreme Probleme, die Prototypen in voller Größe im Meer zu testen, weil es ein wesentlich schwierigeres Ambiente ist als Windenergie oder Photovoltaik oder Biomasse oder sämtliche anderen erneuerbaren Energien."

    Das Hauptproblem heißt: Haltbarkeit und Zuverlässigkeit. Wellen können extrem viel Energie übertragen – zu viel Energie. Eine Monsterwelle in einem Sturm kann hundertmal so stark sein wie eine normale Woge in der Dünung. Das beansprucht die Anlagen, verschleißt sie – und kann sie im Extremfall in Stücke hauen.

    "Man muss erstmal mit dem Meer Erfahrungen sammeln. Und sobald man einen Fehler macht, sind sofort ein paar Millionen weg. Es gab sehr viele Rückschläge."

    Manche Anlage musste nach einem Sturm in den Hafen geschleppt und repariert werden. Andere Prototypen gingen durch die Wucht der Brecher gleich ganz kaputt. Um solche Rückschläge zu vermeiden, sollte man fortan versuchen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, meint Frank Neumann.

    "Es gibt zu viele verschiedene Konzepte. Jeder, der ein bisschen was von industrieller Entwicklung versteht, sagt: Erst wenn sich ein Konzept durchsetzt, geht's richtig los! Jetzt haben wir aber 50 Firmen, die haben alle die beste Idee, die haben alle das Rad noch mal erfunden. Da gibt es einen richtigen Wettkampf in einem Business, das noch keins ist."

    Eine nüchterne Bestandsaufnahme. Dennoch: Neumann ist optimistisch.

    "Es kann sein, dass sich das Problem in den nächsten Monaten oder Jahren löst. Die Projekte sind inzwischen so weit, dass sie durchaus aus alten Fehlern gelernt haben. Es gibt Firmen, die ernst zu nehmende Investitionsvolumina für ihre Projekte haben. Und diese Unternehmen werden es früher oder später schaffen, dass so ein Prototyp mal ein Jahr lang überlebt. Das ist der Startschuss. Wenn ein Projekt einen ganzen Winter im Meer bleibt, ohne dass es in einen Hafen gezogen werden muss, weil wieder irgendwas nicht funktioniert. Dann fängt plötzlich jeder an, dran zu glauben. Funktionieren tut Wellenenergie, das wissen wir."

    "Ich habe vor 15 Jahren angefangen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Und seitdem ist sehr, sehr viel passiert",

    meint Jochen Bard vom Fraunhofer-Institut in Kassel.

    "Was das Wichtigste ist, dass jetzt auch große Industrieunternehmen in das Thema eingestiegen sind. Man kann so etwas nicht alleine stemmen als kleine Firma. Hier braucht man große Partner, die viel Geld haben und in der Lage sind, eine Technikfertigung aufzubauen. Das ist der wichtige Schritt, der in den letzten Jahren passiert ist. Und das gibt der ganzen Sache natürlich einen neuen Drive."

    Siemens, E.ON, Vattenfall. Allmählich steigen finanzkräftige Konzerne in die Meeresenergie ein – wenn auch noch etwas zögerlich.

    "Wir sind jetzt in dem Stadium von Demonstrationsprojekten. Der nächste Schritt ist, dass erste kleine Parks gebaut werden. Solche Projekte sind angekündigt und sind auf dem Weg. Das wird in den nächsten Jahren passieren. Danach kommt die Kommerzialisierungsphase. Und da ist es entscheidend, dass die wirtschaftlichen Randbedingungen stimmen. Dass Netzanschlussmöglichkeiten gegeben sind, dass es eine Einspeisevergütung gibt. Aber das ist alles auf dem Weg. Ich glaube, dass das Thema durch die Finanzkrise der letzten Jahre ein bisschen verlangsamt wurde. Aber das wird sich erholen. Und dann wird die Sache meines Erachtens auch Fahrt aufnehmen."

    Ähnlich wie Deutschland für die Windkraft und die Sonnenenergie haben manche Länder Einspeisevergütungen für die Meeresenergie eingeführt: In Portugal gibt es für jede Kilowattstunde aus dem Ozean 22 Cent. In Schottland sind es sogar bis zu 35 Cent. Anreize, verbunden mit hehren Zielen, sagt Jochem Weber von Wavebob.

    "Es gibt sehr, sehr ambitionierte Ziele auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene in Irland, in Großbritannien, in Portugal. Bis 2020 sind es für Irland zum Beispiel 500 Megawatt. Wenn man sich dann eine Entwicklungskurve anschaut, müssten wir in den nächsten paar Jahren durchaus ein paar Megawatt installiert haben. Und das könnte ein bisschen eng werden."

    Kosten runter, Zuverlässigkeit hoch – und das in einer extrem technikfeindlichen Umgebung. Die Nagelprobe für die Meeresenergie.

    "Ich bin sehr zuversichtlich, dass das möglich ist. Ich bin mir sicher, dass man es schaffen kann. Aber es dauert ein Weilchen. Da es bei den Technologien sehr stark um Zuverlässigkeit geht, sollte man sich lieber ein bisschen Zeit lassen und die Sachen gründlich machen."

    Die Weichen scheinen gestellt. Zwar lässt sich heute noch nicht sagen, welche der zahllosen Konzepte sich durchsetzen werden und welche nicht. Entscheidend ist, dass es den Ingenieuren gelingt, die Anlagen robuster und billiger zu bauen. Und dass Banken, Industrieunternehmen und Energieversorger sich stärker engagieren als bisher. Dann könnte sich die Energie aus dem Ozean ihren festen Platz erobern, sagt Jochen Weilepp von Voith Hydro.

    "Ich glaube, realistisch kann die Meeresenergie vielleicht zehn Prozent vom erneuerbaren Energiemix abdecken. Ich glaube, wir werden alle Energieformen brauchen: Photovoltaik, Wind, Meeresenergie, Biomasse. Und das Ganze noch unterstützt durch starke Pumpspeicher-Kraftwerke und natürlich durch Wasserkraftwerke. So dass wir hier einen relativ guten Ausgleich über die Fluktuationen bekommen können. Und dann wirklich eine sichere Versorgung zur Verfügung stellen können."

    Gezeitenwende. Strom aus dem Meer soll konkurrenzfähig werden. Eine Sendung von Frank Grotelüschen. Es sprachen: Cornelia Schramm, Peter Weis und Michael Harck. Redaktion: Christiane Knoll.


    "Weiterführende Links:"

    Sendungen des Deutschlandradios:

    Die Kraft des Meeres
    (Forschung aktuell, 01.11.2010)

    Der Traum von Atlantropa
    (Forschung aktuell, 31.08.2010)

    180 Kubikmeter Wasser pro Sekunde
    (Forschung aktuell, 14.01.2010)