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Gier eines Versicherungsvertreters

Mehmet E. Göker hat mit dem telefonischen Vertrieb privater Krankenversicherungen Millionen verdient, als ein Diktator in einem Imperium mit 1000 Angestellten. 2009 ist alles vorbei, Insolvenz. Auf die Leinwand gebracht hat die Geschichte Dokumentarfilmer Klaus Stern.

Klaus Stern im Gespräch mit Camilla Hildebrandt | 06.03.2012
    Camilla Hildebrandt: Mehmet Göker: Ein Mitarbeiter hat Mal gesagt, er hat ein sektenartiges Imperium aufgebaut, wo private Krankenversicherungen verkauft werden. Die Mitarbeiter verdienen sehr gut. Gleichzeitig müssen sie extrem loyal sein und machen, was Göker will. Und letztendlich ist er auch daran gescheitert, an seiner eigenen Selbstsucht und Gier. Ich frage mich: Warum hat er mitgemacht, warum hat er sich diese Blöße gegeben? Oder hat er das selber nicht so gesehen?

    Klaus Stern: Der kommt selbst aus Kassel, ich komme aus Kassel. Und ich habe ihn 2006 zum ersten Mal getroffen und hab ihn schon immer versucht, zu überreden, hab gesagt: Ich würde gerne einen Film über Sie machen und ihre Geschichte erzählen, Sie bei Ihrem Aufstieg begleiten. Und da gab es Leute, die ihm geraten haben: Mach das lieber nicht mit Klaus Stern. Wer mit Klaus Stern filmt, fährt mit dem Fahrstuhl nach unten. Und ich hab dann erst 2009 mit ihm gedreht und hab ihm versucht klarzumachen, es kann nur positiv für ihn sein. Sein Bild in der Öffentlichkeit war so schlecht, dass es schlechter gar nicht mehr sein konnte. Bei Mehemt Göker ist es auch so, dass es ein Film ist über die Abwesenden, die nicht vor der Kamera sind, nämlich die Versicherungskonzerne. Die Versicherungskonzerne in Deutschland, die private Versicherungen verkaufen und die mit privaten Maklern arbeiten und die bereit sind, solchen Leuten wie Mehmet Göker Provisionen zu geben. Wie die Verträge zustande kommen, interessiert sie scheinbar nicht. Die waren ja auch bei den ganzen Jubelveranstaltungen, die man im Film auch sieht, und haben ihn dort gefeiert. Und die haben trotzdem weiter mit ihm zusammen gearbeitet.

    Camilla Hildebrandt: Also, das Einzige, was in dieser Branche interessiert, ist Geld.

    Klaus Stern: Ja, es sieht so aus, als ob die Branche der Versicherungs-konzerne noch weniger Hemmungen hat wie die Bankbranche. Und das Interessante ist auch, dass ich sehr freundlich und sehr nett angefragt habe bei verschiedenen Versicherungskonzernen, die mit Göker zusammengearbeitet haben, die Axa, die Alte Leipziger, ob sie mir ein Interview geben würden vor der Kamera. Und dann haben sich alle zurückgezogen und gesagt: Ach, laufende Prozesse, laufende Verhandlungsverfahren, tut uns leid, Herr Stern, eigentlich sehr gern, aber das können wir leider nicht machen.

    Camilla Hildebrandt: Um einen Eindruck zu bekommen, was das heißt, Provisionen zu zahlen: ich habe gelesen, dass die Versicherungen bis zu 21 Monatsbeiträge bezahlen, wenn sie ein neues Produkt einführen wollen.

    Klaus Stern: Also, ganz einfach: Ich bin Mitarbeiter von Mehmet Göker, ich verkaufe Ihnen eine private Kranken-Versicherung, die hat einen monatlichen Beitrag von 500 Euro. Dafür bekommen Sie eine private Krankenversicherung mit ganz guter Ausstattung. Und damals war das zum Beispiel die Inter Versicherung, die hat 21 Monatsbeiträge einmalig bezahlt, das heißt ich als Mehmet Göker bekomme 10.000 Euro für den Abschluss der Versicherung.

    Camilla Hildebrandt: Das heißt, das Einkommen eines Mitarbeiters lag bei 9.000 bis 18.000 Euro.

    Klaus Stern: Nein, die sogenannten Vertriebsdirektoren haben am Ende 30.000 im Monat verdient, aber Sie müssen wissen: Göker hat schnell Leute rausgeschmissen, wenn ihm die Nasse nicht gepasst hat oder die Umsätze nicht gestimmt haben. Dann hat er sie innerhalb von zwei Stunden rausgeschmissen und sie mussten ihr Büro komplett räumen. Die Fluktuationsrate war höher als der Takt in dem ich meine Socken wechsle.

    Camilla Hildebrandt: Es kommen einige ehemalige Mitarbeiter zu Wort, aber viele auch nicht. Warum? Weil sie immer noch in der gleichen Branche arbeiten?

    Klaus Stern: Das ist sehr interessant. Zum Beispiel auch Versicherungsopfer, die sagen, eir sind falsch beraten worden, wir haben zu teure Versicherungen angedreht bekommen, hab ich nicht gefunden. Die wollten nicht vor die Kamera. Auch ehemalige Mitarabeiter: Viele von ihnen sind weiterhin im Geschäft, 70 Prozent arbeiten als Einzelunternehmer oder haben sich größeren Maklern angeschlossen. Und es geht genauso weiter. Viele von denen, die einen sehr niedrigen Bildungsstand haben, haben den Job ihres Lebens gehabt. In ganz kurzer Zeit - das funktioniert nur kurze Zeit - so viel Geld verdient, wie sie nie wieder in ihrem Leben verdienen werden. Und deswegen hängen die dieser Zeit nach. Aber es gibt auch welche, die Angst haben, dass, wenn sie das offenbaren, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen haben.

    Camilla Hildebrandt: Wenn man sich Ihre Filmographie anschaut, Sie interessieren sich für extrem geltungsbedürftige Leute, wie zum Beispiel Werner König, Extremsportler, hat eine Filmfirma aufgebaut, wollte damit Leo Kirch Konkurrenz machen. Henner Sattler, der Bürgermeister, der einen Wellnesspark aufbauen will in einer Region, die relativ uneinladend ist. Und Mehemt Göker, der mit Privatversicherungen tatsächliche Millionen verdient. Was reizt Sie an diesen Menschen, die – man könnte sagen - das Bewustssein für die Realität verlieren?

    Klaus Stern: Weil ich glaube, dass in all diesen Menschen auch Sehnsüchte und Wünsche von uns allen stecken, die sie nur extrem ausleben. Auch ich habe die Gier manchmal in meinen Augen und auch heute noch vielleicht. Gerade die Geschichte mit "Versicherungsvertreter": Es war so, dass ich selbst mit 20 – ich hab Zivildienst gemacht in Marburg. Und ein Kollege von mir hat Versicherungen verkauft für die Continentale damals und hat mich mitgeschleift auf so ein Rekrutierungsseminar. Und das war eine sehr gute Schule! Das war toll, weil ich hab niemals so viele dumme, gierige Menschen auf so einem kleinen Raum gesehen.

    Camilla Hildebrandt: Sie haben gesagt, Sie haben Sympathie für ihre Protagonisten, aber es werden wahrscheinlich nie ihre Freunde werden mit dieser Biografie....

    Klaus Stern: Ich finde, man muss seine Protagonisten - das ist ein Pathoswort - aber man muss seine Protagonisten lieben, wenn man gute Filme über sie machen will. Ich mag alle meine Protagonisten auch heute noch.

    Camilla Hildebrandt: Aber Sie decken Sachen auf, wenn ich ihr Filme sehe, dann denke ich: Wir bräuchten mehr Leute ihrer Sorte, die uns ein wenig unsere eigene Gesellschaft erklären. Totzdem sagen Sie: Sie wollen kein Aufklärer sein.

    Klaus Stern: Ich bin im klassischen Sinne kein investigativer Journalist, aber ich versuche, dass die Leute – nein, das ist zu hart, wenn man sagt - sich selbst demontieren, aber dass der Zuschauer das alles darin sieht, ein bisschen nachdenken muss. Und dass man das nicht mundgerecht serviert bekommt, dass man die Offenbarung im Film sieht. Und dass die Geschichte sich selbst entlarvt. Das ist natürlich schön, wenn man das hinbekommt. Aber noch mal: Ich mache keine moralischen Filme, dass ich sage, so ist es gut und richtig - und dass ich auf der richtigen Seite stehe. Das mach ich nicht!

    Camilla Hildebrandt: Wie sollte man sich verhalten, auf dass einem die Menschen solche Sachen erzählen?

    Klaus Stern: So, dass man weiss, dass man sie noch zwei, drei Mal wiedertrifft. Und dass man sich wieder in die Augen schauen kann. Viele von den Protagonisten wissen, dass ihre Geschichten gut bei mir aufgehoben sind, und dass ich nicht alle Sachen, die schlecht für sie sind, auch nehme, sondern dass ich versuche Pro und Kontra von den Figuren - die meiste fragwürdige Figuren sind - zu zeigen. Und es gibt in Kassel zum Beispiel Leute, die von mir enttäuscht sind, weil sie meinen, ich würde zu pfleglich mit Göker umgehen. die von mir erwarten, ich müsste der Staatsanwalt sein, müsste ihn anklagen, demaskieren und überführen. Aber ich zeige nur, warum er so viel Erfolg hatte, was er für Fähigkeiten hatte, dass er die Leute um den Finger wickelt.

    Camilla Hildebrandt: Sie haben mal gesagt, Sie machen nur das, was Sie interessiert. Das heißt Sie lassen sich von keinem Sender oder Produzenten verbiegen?

    Klaus Stern: Von einem Produzentn lass ich mir nix sagen, weil mein Produzent bin ich selber. Und von den Sendern natürlich, ich muss werben um meine Filme, nicht ganz so einfach. Aber alle Herzensangelegenheiten hab ich bisher unterbekommen. Aber ich hab vielleicht ein Drittel von dem Budget, was so ein Dokumentarfilm normalerweise kostet. Aber ich bin recht schnell in der Produktion, kann meine Sachen verwirklichen. Und ich kann von mir wirklich sagen, ich hab nur zehn Filme bisher gemacht: Es gab keinen Einzigen, wo ich nur mit 80 Prozent zufrieden bin, sondern ich hab alle Sachen mit Verve und großer Lust gemacht.

    Filminfos:
    Der Film "Versicherungsvertreter - Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker" von Klaus Stern kommt am 8. März 2012 in die Kinos. Er wurde vornominiert für den Deutschen Filmpreis.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.