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Gieriger Exzess

Terézia Mora hat einen neuen Helden gefunden. In ihrem Roman "Der einzige Mann auf dem Kontinent" droht dem IT-Spezialisten Darius Kopp der Selbstverlust in seiner Arbeitswelt. Die Gier macht dem 43-Jährigen zu schaffen. Dennoch: Ein Traumtänzer ist Darius keinesfalls.

Von Marli Feldvoß | 15.03.2010
    Was soll man von einem halten, der mitten in der Nacht nach einer Sauferei ins eheliche Schlafzimmer einfällt und Sätze wie diese von sich gibt: "Ich bin Gott. Oder zumindest gottähnlich." Dann seinen Schmerbauch ins volle Licht der Flurlampe dreht und – mit Ehefrau Flora als Zuschauerin - selbstgefällig fortfährt: "Schau wie eine Kathedrale". Der Mann namens Darius Kopp ist jedenfalls kein Traumtänzer, denn er ist gerade zum "einzigen Mann auf dem ganzen Kontinent" befördert worden. Allenfalls ein Egomane mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen. Der ehemals "drahtige junge Mann aus dem Osten", von Beruf diplomierter Informatiker, hat mit seinem optimistischem Naturell bereits den ersten Crash der New Economy Blase wie ein Stehaufmännchen überlebt. Heute, mit 43, als frischgekürter Alleinvertreter einer amerikanischen IT-Firma, macht er sich keinen Kopf über die restlichen Mitarbeiter, die alle wegrationalisiert wurden. Terézia Moras neuer Held Darius Kopp, dessen altertümlicher Name noch den stürmischen Eroberer unterstreicht, zieht auf der Überholspur an dem pathologischen, vor der Welt verstummten Vorgänger Abel Nemo aus ihrem Romandebüt "Alle Tage" vorbei. Das überrascht.

    "Man möchte ja nicht sein ganzes Leben lang zu den Losern gehören. Und dann denkt man sich: okay, dann bin ich halt in dem neuen System, und dann versuche ich, da irgendwo oben zu schwimmen. Das ist wichtig. Einmal ist mein System untergegangen, vom nächsten werde ich untergebuttert, und es gibt keine Alternative. Und ich hab nur ein Leben, und das ist begrenzt. Das heißt: dieser Versuch muss mit einer größeren Notwendigkeit funktionieren. Außerdem hat man auch was aufzuholen. Wenn ich richtig den Osten betrachte, zum Beispiel Ungarn. Da ist jeder so materialistisch, dass es nicht mehr erträglich ist. Geldbesitz auch um den Preis von hoher Verschuldung. Auch nicht begreifen, dass man Geld nicht drucken kann, dass da ein Wert dahinter stehen muss. Und im Grunde wird darauf fast mit Beleidigtsein reagiert, wenn man anmerkt: Leute, wenn dahinter keine Werte stehen, dann wird das irgendwann zusammenkrachen. Dann empfinden sie es so, als würde ich ihnen sagen, dass sie es nicht verdient hätten, dass es ihnen besser ginge. Im übrigen haben sie es wirklich nicht verdient. Niemand verdient es in dem Sinne. Es ist kein Menschenrecht. Tut mir leid."

    Terézia Mora gibt ihrem Helden gerade mal acht Tage Zeit, bis sie ihn mit einem schulterzuckenden "you win, you loose" wieder das Weite suchen lässt. Ein Tag, ein Kapitel, unterteilt in Tag und Nacht - die strenge Form täuscht über das Leben hinweg, das aus dem Ruder läuft, unterstreicht stattdessen die innere Logik des Geschehens, die auch Darius Kopp ein Schnippchen schlagen wird. Der Held, pragmatisch, handfest, optimistisch wie opportunistisch, ein Außenmensch, dem der entzogene Führerschein schwerer wiegt als die sich ihm entziehende eigene Frau, ist ein Einzelkämpfer par excellence. Nur der Asthmatiker stört das Konterfei des Karrieristen, weniger die Fress- und Saufgelage mit Freund Juri. Darius Kopp ist Ich-Erzähler und Allein-Unterhalter in einem. Es fällt schwer, diesen Typen wirklich sympathisch zu finden.

    "Ein Großteil der Arbeit bestand darin: wie komme ich in Darius rein, und irgendwann hatte ich das Gefühl: jetzt bin ich in dem drin. Ich weiß nicht, ob man es wirklich am Geschlecht des Autors/der Autorin festmachen kann, worin er/sie sich hineinversetzen kann. Entweder er kann es oder er kann es nicht. Die besten Frauenfiguren in der ungarischen Literatur hat ein Mann verfasst, nämlich László Németh. Es ist möglich. Das Interesse muss da sein. Die Offenheit muss da sein, vielleicht auch die Offenheit zur Beobachtung der eigenen, als männlich definierten Eigenschaften. Ich behaupte auch nicht, dass Männer so sind... Ich glaube auch, dass ich mich für Männer mehr interessiere, vielleicht auch für die Rollen, die Männer spielen müssen. Bei den Rollen, die Frauen spielen müssen, da sehe ich zu viele Forderungen an mich selbst als Person gestellt, mit denen ich mich lieber nicht auseinandersetzen müsste. Ich glaube, da gibt es zu viele Angebote zur Frustration."

    "Warum bin ich hier? Haben sie mich aus aktuellem Anlass eilig herbeordert? Bin ich aus eigenem Antrieb gekommen? Dass er keinerlei Erinnerung an einen Ruf hatte, ließ sein Herz erneut schneller schlagen, diesmal mit negativem Vorzeichen, deswegen sagt man in diesem Fall auch nicht: höher. Oder kann es etwa schon das Sales Meeting in Phoenix, Arizona sein? Das hieße, wir haben es 4 Wochen später! Ja, das kann sein, das passiert häufig, dass du denkst, du hättest 20 Jahre lang irgendwo ein Leben gehabt, aber dann sagen sie dir, nein, das waren nur die Sommerferien oder du warst eine Woche krank gewesen, aber nun wieder hier, in der 12ten Klasse. Oder eben umgekehrt. Dass du eben keine Erinnerung an eine Zwischenzeit hast. Das kann gut und schlecht sein. Ja, es ist das sales meeting in Phoenix, Arizona, erinnere dich an den heißen Wüstenwind auf der Treppe. Darius Kopp war froh, das herausgefunden zu haben, trotzdem: Vorsicht. Du musst jetzt sehr aufmerksam sein. Du musst während des Meetings durch geschicktes Verhalten herausfinden, was wie wann."
    Nein, es war doch nicht das sales meeting in Phoenix, Arizona - in Wirklichkeit landete der einzige Mann auf dem Kontinent in Kilimane, Las Vegas und wurde von der harten Flugzeuglandung aus dem Traum gerissen oder hat er das auch nur geträumt? Hier klingen der saloppe Erzählton und das rasante Erzähltempo der Autorin zwar verhaltener, aber auch hier wechseln Innen- und Außenwahrnehmung und die Hauptperson wird nicht müde, in endlosen Monologen von und mit sich selbst zu sprechen.

    Hauptsache, der Erzählstrom kommt nicht ins Stocken und peitscht eine Geschichte vorwärts, in der nicht nur der Geschäfts-, Ehemann und Saufkumpan, sondern auch noch das Familienoberhaupt Darius Kopp als Ansprechpartner für die Nöte von Mutter und Schwester gefragt ist.

    "Wollte ich eine Verwirrung? An manchen Stellen natürlich wollte ich es mir zunutze machen, dass es eine Grauzone gibt zwischen dem, dass wir es nicht wissen: hat er es laut gesagt oder leise, hat er es gedacht oder wirklich ausgesprochen. Was verschiedene Möglichkeiten in der Szene an der Textstelle eröffnet, dass man sie so oder so interpretieren kann. Das soll natürlich auch die Lesegewohnheiten ein bisschen trainieren. Das soll uns auch ein wenig entfremden vom Erzähler. Ich hab nämlich ein persönliches Problem mit dem auktorialen Erzähler. Dass je mehr er mit der Attitüde auftritt: mir kannst du alles glauben, umso weniger glaube ich ihm etwas. Umso eher sehe ich, dass der Autor mir etwas aufoktroyieren will. Natürlich tut das der Autor immer, und ich tue es auch mit meiner Methode. Ich halte meine Verhaltensweise im Text für anständiger, weil ich mich hinstelle und sage: ich zeige Dir die Methode ... ich liebe Vielstimmigkeit und bekomme so ein Schwindelgefühl, als wäre ich im luftleeren Raum, wenn da nur dieser Erzähler ist, der mir manchmal gnädig personale Rede anbietet. Aber auch da höre ich, dass er redet. Ich bin ein großer Updike-Fan, zumindest der Rabbit-Romane. Aber es ist deutlich zu sehen, dass wenn die Figur spricht, da spricht John Updike und teilt mir seine Ansichten über die Welt mit."

    Darius Kopp kommt nicht ins Grübeln, sondern kriegt einen hysterischen Lachanfall, als die letzten Dominosteine nachgeben und nicht nur der Job, sondern auch noch das ihm zu Romanbeginn von einem Kunden anvertraute viele Geld, das er sicher in einem Karton verwahrt glaubte, verschwunden war. Der rasselnde Asthmaanfall, der sich wie ein Herzinfarkt anfühlt, sorgt für die passende gruselige Geräuschkulisse. Der Countdown dieses Mannes läuft und addiert sich aus vielen phänomenalen Bausteinchen, die sich dem Leser in den Weg stellen und ihm zu denken geben sollten.

    "Etwas zur Innerlichkeit. Da ist eine sehr, sehr große Tradition in Deutschland, was diese Innerlichkeit anbelangt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ich deswegen diesen Roman so gemacht habe, weil ich gesagt habe, der Versuch eines anderen Blickes. Beschreibe jetzt mal lauter Oberflächen und schau nach, was dabei herauskommt. Nimm nicht einen Helden, der alles 100 mal reflektiert. Das kann auch interessant sein, aber ich habe das Gefühl, dass das mittlerweile zum Exzess getrieben wird. Auf Kosten der Welthaltigkeit des Ganzen, auf Kosten der Beschreibung des Äußeren. Weil es ja auch eine Flucht darstellen kann. Ich verlagere alles ins Innere, dann kann ich ja machen, was ich will und sage, das spielt sich im Inneren ab. Also muss ich nicht darauf achten, zu beschreiben, wie die äußere Welt ist. Und das vermisse ich ein wenig in der deutschen Literatur. Ein bisschen mehr nach außen gehen, bitte! Ich habe einen sehr schönen Lieblingssatz von Peter Esterhazy, nämlich: Klugscheißerei ist der Scheintod des Autors. Das heißt, wenn ich mich ständig in dieser reflexiven Haltung befinde, wie der innerliche Autor das tut, dann ist diese Gefahr der Klugscheißerei so virulent."

    Der Roman zur Krise? Terézia Mora besteht darauf, dass ihr beim Schreiben die Verhältnisse nach dem 11. September 2001 vor Augen standen und nicht die Jetztzeit, die sich beim Lesen unentwegt aufdrängt. Mit den wechselnden Erzählperspektiven und dem Tempo des Romans erzeugt sie eine Atemlosigkeit, hinter der sich – zuletzt - eine große Melancholie auftut. Darius Kopp hat mit seiner Gier und seinen nicht enden wollenden Exzessen zweifellos das passende moralische Rüstzeug zum maroden System, aber dass zuletzt nur eine Liebeserklärung an seine Frau, die Kapitelüberschrift: "Nacht" übrig bleibt und sonst nichts, überlässt ihn der Leere in einem Erzählstück, das wie eine überdimensionale Seifenblase über einer Zeit schwebt, die jeden Augenblick zu zerplatzen droht. Paff. Ein Meisterwerk.

    Terézia Mora, Der einzige Mann auf dem Kontinent, Roman, Luchterhand Verlag, München 2009, 379 Seiten, 21.95 Euro