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Gift am Rhein

Am Rhein können Stechmücken in den Sommermonaten zur echten Plage werden. Deshalb werden die Mücken dort seit Jahren flächendeckend mit dem Insektizid B.t.i. bekämpft - ganz offiziell und unter Federführung einer kommunalen Aktionsgemeinschaft. Wissenschaftler aus Frankreich schlagen jetzt Alarm: Das Insektizid könne negative Auswirkungen auf das Ökosystem Rheinaue haben. B.t.i. als Bedrohung ganzer Ökosysteme? Die kommunale Aktionsgemeinschaft will davon nichts wissen. Pikant: Der Biologe, der den Einsatz für die Kommunen koordiniert, hält das Patent am Granulat, mit dem B.t.i. verteilt wird.

Von Nick Schader | 22.08.2012
    Bacillus thuringiensis israelensis - kurz B.t.i.. So heißt das Bakterium, das die Larven bestimmter Mückenarten tötet. Rund 15.000 Hektar wurden damit allein in diesem Jahr behandelt, entlang des Rheins, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen.

    Forscher des Tour du Valat Research Centers in Arles kommen jetzt zu alarmierenden Ergebnissen: B.t.i. könne negative Auswirkungen auf das Ökosystem Rheinaue haben. Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler sechs Gebiete in einem Flussdelta in Frankreich. In dreien wurde B.t.i. zur Stechmückenbekämpfung eingesetzt, in den anderen Gebieten nicht. Dabei fanden die Ökologen heraus, dass vor allem Vögel Probleme bekommen können, wenn großflächig Mücken bekämpft werden.

    Der Ökologieprofessor Martin Entling der Universität Koblenz-Landau hat die Studie ausgewertet:

    "Das Ergebnis der Studie, die gerade veröffentlicht wurde, ist, dass das Nahrungsangebot für Singvögel in Gebieten, wo Mücken bekämpft werden, nur halb so hoch ist, wie in Gebieten wo nicht bekämpft wird."

    Und das habe Folgen, für das gesamte Ökosystem - zum Beispiel für Brutvögel:

    "Man hat herausgefunden, dass sie weniger Eier legen, dort wo Mücken bekämpft werden. Dass sie länger brauchen, um Nahrung zu finden. Und man hat vor allem herausgefunden, dass dort 1/3 weniger Jungvögel flügge werden. Und die Wissenschaftler gehen auch davon aus, dass eben einige Jungvögel einfach im Nest verhungert sind, weil sie nicht genug Nahrung bekommen haben."

    Die vielen Mücken im Sommer sind eine Plage für den Menschen - das sehen 100 Gemeinden, Städte und Landkreise so und sie haben sich darum zusammengeschlossen: Die "Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage", kurz KABS, plant und koordiniert die Mückenbekämpfung. Insgesamt zahlen die Kommunen für diese Aktion rund drei Millionen Euro pro Jahr.

    Der wissenschaftliche Leiter der KABS, Norbert Becker, hat das B.t.i.-Granulat entwickelt. Und er hält das Patent dafür. Einen Interessenkonflikt verneint er aber deutlich. Für den Biologen steht fest: Es gibt kein besseres Mittel gegen die Stechmücken als B.t.i..

    "Wichtig ist bei der Bekämpfung der Stechmücken, dass man das Ökosystem als Netz sieht und dass man nur die Masche reduziert, die uns belästigt, und das sind die Rheinschnaken, ohne dabei andere Maschen, die für andere Organismen stehen, zu schädigen. Sodass also nach einem B.t.i.-Einsatz genügend Nahrungsgrundlagen für Vögel aber auch Fledermäuse da sind. Und das konnten wir in vielen Doktorarbeiten nachweisen."

    Die Ergebnisse der aktuellen Studie aus Frankreich hält Norbert Becker für falsch.

    "Ich würde sagen, die muss irgendwelche fehlerhaften Ansätze haben, denn der Bruterfolg kann ja auch von anderen Faktoren abhängen. Also dass die Mücken grundlegend wichtig sind für die Aufzucht der Jungen, halte ich für ein Gerücht."

    Das sieht auch ein weiterer Forscher der Uni Koblenz-Landau etwas anders: Carsten Brühl ist Gewässerbiologe. Für ihn steht fest: Wer in ein Ökosystem wie die Rheinauen eingreift, muss mit negativen Folgen rechnen.

    "Wichtig ist, dass alle Spinnen die am Rhein sitzen, alle Frösche die da quaken sicherlich beeinflusst sind. Also wir haben einen Einfluss auf das gesamte Ökosystem, also auf viel mehr an Biodiversität."

    Und genau diese Auswirkungen von B.t.i. auf das Nahrungsangebot sei bisher zu wenig untersucht worden. Noch einmal der Landauer Biologe Martin Entling.

    "Spinnen, Libellen, verschiedene andere Insekten, Frösche, Fledermäuse und sehr viele Vogelarten fressen vor allem Insekten. Und die alle sind potenziell davon betroffen, wenn in solchen Gebieten dann weniger Nahrung vorhanden ist."

    Die Autoren der aktuellen Studie kommen daher zu dem Ergebnis: Die Umweltfreundlichkeit des Stoffes B.t.i. müsse infrage gestellt werden. Weitere Forschung sei dringend nötig. Eine Anfrage bei der Stadt Ludwigshafen, die Mitglied in der KASB ist, ergibt: Dort will man die Studie genau prüfen, sieht aber derzeit keinen Handlungsbedarf.

    Entlang des Rheins geht der B.t.i.-Einsatz unterdessen weiter. Bisher wurden in diesem Jahr rund 200 Tonnen des B.t.i.-Granulats eingesetzt.

    "Solange man nicht genau weiß, wie sehr andere Tiere von dieser Mückenbekämpfung betroffen sind, sollte man im Zweifelsfall lieber vorsichtig sein, aus Naturschutzsicht, und sich zurück halten in sensiblen Gebieten solche Bekämpfungen durchzuführen."