Freitag, 19. April 2024

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Giovanni Battista Tiepolo
Nicht nur innovativer Dekorateur prachtvoller Residenzen

Viele der sogenannten alten Meister, die im Auftrag anderer repräsentative Werke schufen, dachten über die gängigen Kunstkonzepte ihrer Zeit weit hinaus. Dazu gehörte auch Giovanni Battista Tiepolo, der am 27. März 1770, vor 250 Jahren, starb – er  wollte auch wissen, was die Kunst zur Kunst macht.

Von Carmela Thiele | 27.03.2020
    Zeichnung eines ineinander verschlungenen Kentaurs und Fauns in Naturlandschaft.
    Ein Kentaur und ein weiblicher Faun beim Liebespiel. Bild von Giovanni Domenico Tiepolo, etwa 1775. (imago/Artokoloro)
    Seit Leonardo und Raffael galt Italien als das gelobte Land der Künste. Am Ende dieser bis ins 18. Jahrhundert währenden Ära steht ein Maler, dessen Werk lange unterschätzt wurde. Giovanni Battista Tiepolo schuf nicht nur beeindruckende Wandbilder und Deckenfresken für Kirchen und Paläste, sondern auch programmatische Leinwandbilder und Druckgrafik, deren Brisanz erst spät erkannt wurde. Die Kunsthistorikerin Annette Hojer:
    "Das Spannende an Tiepolo ist, dass sein Werk eigentlich zwei Seiten hat. Es gibt zum einen diese prachtvollen barocken Inszenierungen voller Farbe, voller Licht, voller prunkvoller Motive. Und dann, wenn wir genauer hinschauen, entdecken wir in seinen Bildern plötzlich Witz, Ironie, auch formale Verfremdungen. Und plötzlich können wir merken, dass diese Bilder auch kritisch sind. Kritisch gegenüber dem Kunstsystem des Barock und kritisch gegenüber der Gesellschaftsordnung dieser Zeit."
    Passgenaue Lösungen für den Auftraggeber
    Tiepolo erscheint heute als gebildeter und lebenskluger Mann, der seine Auftraggeber zu nehmen wusste. Schien ihm ein gewünschtes Bildprogramm für die vorgesehenen Räumlichkeiten ungeeignet oder zu langweilig, schlug er eine andere, passgenaue Lösung vor, die ihm auch mehr Entfaltungsmöglichkeiten bot. Diese Strategie wurde zu seinem Erfolgskonzept. Der 1696 in Venedig geborene Künstler wuchs in einfachen Verhältnissen ohne Vater auf. Sein Handwerk lernte er bei Gregorio Lazzarini, einem erfolgreichen venezianischen Maler, der auf Historienmalerei spezialisiert war.
    "Das Interessante an Tiepolo ist, dass er ja aus einer bürgerlichen Kultur kommt, er wächst in Venedig auf. Und Venedig ist schon immer eine Stadtrepublik, in der auch die Maler schon immer als selbstständige Unternehmer agieren. Das ist anders als zum Beispiel in Rom oder Neapel, wo die Maler immer im Dienst des Papstes oder im Dienst von adligen Familien stehen, und sich häufig an einen Auftraggeber binden. In Venedig gibt es einen freien Kunstmarkt und für diesen arbeitet Tiepolo zunächst."
    Aus jener Zeit stammt ein Gemälde auf Leinwand, das er für einen privaten Sammler schuf. Das Thema "Der Raub der Europa" stammt aus den "Metamorphosen" von Ovid. Göttervater Jupiter verwandelte sich in einen Stier, um die schöne Königstochter Europa zu entführen. Doch lässt Tiepolo den massigen Stier unter dem Gewicht der blassen Europa zusammenbrechen. Über den erschöpft wirkenden Figuren schwebt ein feister geflügelter Knabe, der ein Bündel Blitze - ein Attribut des Göttervaters - mit einem Urinstrahl auslöscht.
    "Und mit diesem witzigen Motiv übt Tiepolo Kritik an diesem ständigen Wiederholen eines Darstellungstyps. Tiepolo fragt hier: Welche Relevanz hat der Raub der Europa noch im 18. Jahrhundert? Wie kann ich dieses Thema aktualisiert darstellen?"
    Die Wertschätzung seiner Zeitgenossen gewann Tiepolo jedoch als innovativer Dekorateur prachtvoller Residenzen. Sein bekanntestes Werk ist das monumentale Deckengemälde für das Treppenhaus der Residenz Würzburg. Er folgte zwar einem gängigen Thema - "Apoll und die vier Erdteile" -, entwarf jedoch eine dramaturgisch auf den Raum und das Licht abgestimmte Komposition, bei der das eigentliche Bild, die Personifikationen der Erdteile, zum Rahmen des Deckengemäldes werden. Wie er auf solche Ideen kam? Vielleicht durch seine Radierungen, die nicht für den Verkauf bestimmt waren.
    "Tiepolo selbst nutzt dieses Medium, was nur einem eingeschränkten Kreis von Kunstkennern zugänglich war, um sein Bild von der Kunst zu entwerfen. Und Tiepolo zeigt uns hier, dass der eigentliche Motor der Kunst und der Kreativität die Fantasie und der Traum sind."
    Aufweisen der Grenzen des Verstandes
    Er stellte beispielsweise aus damals bekannten Symbolfiguren wie Eule, Affe oder Magier ganz bewusst Bildkompositionen zusammen, die eine Deutung der Symbole unmöglich machten. Der Künstler zeige uns auf diese Weise die Grenzen des Verstandes auf, sagt Annette Hojer.
    Aber Giovanni Battista Tiepolo war auch Unternehmer. Zwar lehnte er zunächst aus Altersgründen eine Anfrage des spanischen Königs ab, ging dann aber doch auf Druck der venezianischen Regierung nach Madrid.
    Er starb dort am 27. März 1770 im Alter von 74 Jahren. Aus den geplanten zwei Jahren in der Fremde waren acht geworden. Sein Sohn Domenico publizierte die Radierungen Tiepolos posthum unter dem Titel "Scherzi di Fantasia".