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Gipfel in Hamburg
OECD: Bildungsthemen fehlen bei G20

Bildung wird in einer globalisierten Welt immer wichtiger - und trotzdem spielt das Thema auf dem G20-Gipfel in Hamburg kaum eine Rolle, kritisiert der Bildungsdirektor der OECD, Andreas Schleicher, im Dlf. Gerade für Entwicklungsländer seien Investitionen in diesem Sektor von zentraler Bedeutung.

Andreas Schleicher im Gespräch mit Jörg Biesler | 07.07.2017
    Eine Grundschule in der kenianischen Hauptstadt Nairobi.
    Bildungsthemen müssten in Zukunft beim G20 Gipfel dazu gehören, meint Andreas Schleicher - denn die Risiken für unzureichend Gebildete würden immer größer werden. (picture alliance / dpa / Foto: Mika Schmidt)
    Jörg Biesler: Heute beginnt die G20-Tagung in Hamburg, und schon gestern haben Sozialverbände darauf hingewiesen, dass ein wichtiges Thema kaum eine Rolle spielt beim Treffen der Staats- und Regierungschefs: die Bildung nämlich. Dabei liegt gerade hier – da sind sich eigentlich alle einig – ein Schlüssel für die Lösung vieler Probleme, die die Welt gerade in Atem halten. Andreas Schleicher ist Direktor des Bereichs Bildung bei der Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Guten Tag, Herr Schleicher!
    Andreas Schleicher: Guten Tag!
    Biesler: Eines der UN-Nachhaltigkeitsziele ist es, bis 2030 allen Kindern Zugang zu guter Bildung zu verschaffen. Darauf haben die Entwicklungsorganisationen hingewiesen. Wenn da jemand etwas erreichen kann, dann doch wohl die wohlhabenden Länder der Erde, nämlich die G20. Teilen Sie denn den Appell der Entwicklungsorganisationen an die G20, sich des Themas anzunehmen?
    Schleicher: Ja, ich glaube, gerade inklusives Wachstum, was ja das zentrale Thema ist der G20, setzt ganz wesentlich voraus, die Investitionen in Zukunftsthemen wie Bildung, insofern ist es schon wichtig. Man muss natürlich sehen, zu den G20-Staaten zählen einige der leistungsfähigsten Bildungssysteme – denken Sie an Japan oder China –, aber auch sehr viele Staaten, die noch sehr, sehr viel zu tun haben.
    "Investition in Bildung von zentraler Bedeutung"
    Biesler: Es sind ja gerade die Entwicklungsländer, die es kaum schaffen, relevante Prozentsätze der Kinder auf ein Bildungsniveau zu bringen, das der Grundschule übersteigt, gleichzeitig wird Bildung immer wichtiger, weil die Arbeitsplätze immer anspruchsvoller werden. Das heißt also, wenn man da nichts unternimmt in dem Gebiet, dann wird sich die Schieflage, die es in der Welt gibt, noch verstärken.
    Schleicher: Ja klar, nie zuvor haben die Menschen, die gut qualifiziert sind, solche Chancen gehabt wie heute in Bezug auf Beteiligung am Arbeitsmarkt, aber auch im sozialen Leben, aber ganz klar ist auch, dass die mit unzureichender Bildung vor immer höheren Risiken stehen, und die Globalisierung, die Integration der Volkswirtschaften, hat im Grunde diese Polarisierung noch vorangetrieben, also gerade für Schwellenländer, Entwicklungsländer ist die Investition in Bildung von absolut zentraler Bedeutung.
    Biesler: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die G20 das nicht weiter oben auf ihrer Tagesordnung haben beziehungsweise gar nicht draufgeschrieben haben?
    Schleicher: Also Bildungsthemen stehen ja im Bereich der Arbeitsmarktpolitik schon immer im Vordergrund dort, aber es ist wohl eher Tradition, die G20 haben sich bislang immer mit klassischen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsthemen befasst, aber ich glaube, in Zukunft muss Bildungskompetenzen da noch dazugehören.
    "Über Grenzen hinweg Kompetenzen anerkennen"
    Biesler: Wir erleben ja auch gerade mit der Migration, was es bedeutet, dass Menschen ihre unsichere oder zumindest perspektivlose Heimat verlassen, welche Dramen das nach sich zieht. Es wäre also an der Zeit, etwas für gleiche Bildungschancen zu tun, und zwar südlich der Sahara genau wie nördlich.
    Schleicher: Ja, ich glaube, wir sehen die Tendenzen nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch innerhalb der Staaten, einfach die Mobilität der Menschen steigt. Es wird auch immer wichtiger, dass wir über Grenzen hinweg Kompetenzen und Know-how anerkennen und erkennen, gerade wenn wir Menschen mit Migrationshintergrund haben, die vielleicht nicht den formalen Qualifikationen des Ziellandes entsprechen, müssen wir einfach und auch zu nutzen, aber entscheidend wird letztendlich sein, wie stark die Herkunftsländer sind, indem sie die Kompetenzen der Menschen fördern und auch Möglichkeiten schaffen, wo Menschen ihre Kompetenzen einsetzen können.
    "Internationale Referenzrahmen schaffen"
    Biesler: Welche Hilfestellung könnte man ihnen dabei geben?
    Schleicher: Also wie gesagt, unter den G20-Staaten finden Sie eine der stärksten Bildungssysteme in der Welt, aber auch sehr viele, die noch sehr viel Arbeit vor sich haben und dort einfach einen stärkeren Austausch anzuregen, auch vielleicht internationale Referenzrahmen zu schaffen, die Zusammenarbeit im Bereich Bildung, Kompetenzen, Weiterbildung fördern. Ich glaube, da kann international sehr, sehr viel passieren. Bildung ist traditionell ein Thema von nationaler Relevanz, aber ich glaube, diese internationalen Verbindungen, Verknüpfungen werden eigentlich zunehmend wichtiger in einer globalisierten Welt.
    Biesler: Am Tag der G20-Tagung in Hamburg war das Andreas Schleicher, Direktor des Bereichs Bildung bei der Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Vielen Dank!
    Schleicher: Bitteschön! Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.