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Girgulski-Trikot im Deutschen Fußballmuseum
Mehr als nur ein Trikot

Das einzige erhaltene Fußball-Trikot der jüdischen Makkabi-Bewegung im Dritten Reich wurde heute dem Deutschen Fußballmuseum übergeben. Es gehörte einst dem Frankfurter Ausnahmespieler Max Girgulski und erzählt eine Geschichte, die deutlich macht, wohin Antisemitismus führt.

Von Jessica Sturmberg | 10.11.2019
Susana Baron, Tochter von Max Girgulski, und Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums, bei der Trikotübergabe.
Susana Baron, Tochter von Max Girgulski, und Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums, bei der Trikotübergabe. (Deutschlandfunk / Jessica Sturmberg)
Max Girgulski war vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten einer der großen Talente bei Eintracht Frankfurt, der dann aber wegen seines jüdischen Glaubens 1933 den Club verlassen musste und zum jüdischen Verein Bar Kochba wechselte. Wie es damals so viele Sportler notgedrungen taten. Mit Bar Kochba wurde Max Girgulski deutscher Makkabi-Meister für das Spieljahr 1936/37.
Ein Jahr später, nach der Reichspogromnacht flüchtete er nach Argentinien. Als eine der wenigen Habseligkeiten nahm Max Girgulski auf seiner Flucht sein Meistertrikot mit.
Ein einmaliges Zeugnis
Ein einmaliges Zeugnis aus der damaligen Zeit, bewertet Museumsdirektor Manuel Neukirchner diese Stiftungs-Gabe, die ganz bewusst nicht in den Kontext von Fußball in der NS-Zeit ausgestellt werden soll, sondern viel prominenter: "Wir wollen es in die Vorgeschichte der Bundesliga bringen, um einfach zu zeigen, wie das sporthistorisch auch einzubinden ist. Es hat ja einen überragenden Wert: Es ist das einzige erhaltene Trikot in Deutschland für die jüdische Sportbewegung."

Seine Tochter Susana Baron, 1944 geboren, hat es dem Deutschen Fußballmuseum gestiftet, ihr Vater hätte es richtig gefunden, dass es jetzt der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sagte sie bei der Übergabe. Auch wenn er nach der bitteren Enttäuschung seiner Ausgrenzung und Verfolgung nie mehr nach Deutschland zurückkehrte und 1983 in Buenos Aires starb. "Ich habe nachgedacht", so Baron, "statt dass es in einer Schublade ist, ist es lieber hier, wo viel mehr Leute das sehen können."
Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund wurde heute des jüdischen Fußballspielers Max Girgulski gedacht.
Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund wurde heute des jüdischen Fußballspielers Max Girgulski gedacht. (Deutschlandfunk / Jessica Sturmberg)
Gefährliche Wirkung des Antisemitismus
Dieses Trikot könne eine viel größere Wirkung entfalten als Plakate oder Flyer, betont die Historikerin und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum: "Es ist gerade eine Brücke vor allem für Jugendliche in die Vergangenheit. Denn die tragen heute auch Trikots und dann sieht man, das haben die früher auch getragen und dann fragt man sich, warum haben die da den blauen Stern drauf? Was hat das eigentlich bedeutet in der Nazizeit als jüdischer Junge Fußball zu spielen, wo konnte ich noch Fußball spielen und so hat man ein Kleidungsstück anhand dessen man sehr, sehr viel erklären kann über die Vergangenheit und damit dann auch zu sensibilisieren für die Gegenwart."
Und dies dränge, warnte Schüler-Springorum, da der Antisemitismus in die Stadien getragen werde, wo antisemitische Verhaltens- und Denkweisen stärker als sonst in der Gesellschaft gefördert würden und dort seine gefährliche Wirkung wieder zurück in die Gesellschaft trage. Und: "Antisemitismus kommt nicht allein. Vielmehr ist er ein Syndrom des Bedürfnisses nach einfacher Welterklärung bei starken Gefühlen. Es steigen nicht nur die Zahlen für antisemitische Delikte, sondern allgemein für rassistischen Hass, Diskriminierung und Gewalt in diesem Land."
Gesellschaftliche Werte nicht verrutschen lassen
Bei der Podiumsdiskussion und auch in den Gesprächen vor und nach der Übergabe war zu spüren, dass es allen Beteiligten darum geht, diese Mehrheit, die gegen Antisemitismus und Rassismus ist, als Mehrheit deutlich zu machen und denjenigen, die am schwanken sind, dass auch zu zeigen, gesellschaftliche Werte nicht weiter verrutschen zu lassen.
So forderte der Präsident des Fußball- und Leichtathletikverbands Westfalen, Gundolf Walaschewski: "Wir müssen versuchen, die Vereine dazu zu bringen auch in ihren Satzungen entsprechende Bestimmungen aufzunehmen, dass eben Mitglieder, Fans ausgeschlossen werden können, wenn sie sich offen antisemitisch betätigen oder äußern."
"Es kann etwas bewirken"
Walaschewski sieht Eintracht-Präsident Peter Fischer hier als Vorkämpfer, der mit seiner Äußerung der Unvereinbarkeit von Eintracht- und AfD-Mitgliedschaft im vergangenen Jahr als erster deutlich geworden sei. In der Podiumsdiskussion betonte er:
"Ich finde, dass Demokratieerziehung ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt in der Abwehr von antisemitischen oder rassistischen Vorfällen, Gedankengut, Aussprüchen sein kann und vielleicht auch die einzige Möglichkeit einer so verbalterroristischen Vereinigung wie der AfD zu widerstehen.
Susana Baron, die Tochter des einstigen Frankfurter Fußball-Stars Max Girgulski, sah sich nach der Diskussion umso mehr bestätigt in ihrer Entscheidung, das historische Trikot weitergereicht zu haben: "Jetzt bin ich noch glücklicher, nach allem, was ich hier gehört habe über Antisemitismus und nach allem, was wieder in Deutschland ist - nicht nur in Deutschland, woanders auch - dass es hier ist als ein Zeugnis. Es kann etwas bewirken."