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Giuseppe Conte
Flexibler Quereinsteiger mit neuem Machthunger

Er galt als farblos. Doch im Laufe der italienischen Regierungskrise hat Ministerpräsident Giuseppe Conte neues Selbstbewusstsein gezeigt. Der politische Quereinsteiger entpuppt sich als einer der maßgeblichen Taktgeber.

Von Jörg Seisselberg | 20.08.2019
Der italienische Ministerpräsident Conte bei der Ankunft in Brüssel
Der parteilose Wissenschaftler Conte sei nach außen vorzeigbar, intern aber als Neuling im Politbetrieb leichtgewichtig - so das Kalkül der Koalitionäre zu Beginn der gemeinsamen Regierung 2018. (BELGA)
Immer flexibel bleiben. Das ist eine Konstante im noch jungen politischen Leben des Giuseppe Conte. Der 55 Jahre alte Juraprofessor war vor eineinhalb Jahren im Schattenkabinett der Fünf-Sterne-Bewegung für eine B-Position, das Ministerium für öffentliche Verwaltung, vorgesehen. Nachdem diverse Versuche gescheitert waren, im Anschluss an die Wahl eine Regierung zu bilden, hielt der Polit-Novize aus Apulien plötzlich den Regierungsbildungsauftrag in den Händen. Conte beeilte sich, nach einem Wahlkampf an der Seite der europakritischen Fünf-Sterne-Bewegung, dem europafreundlichen Staatspräsident Sergio Mattarella seine Verlässlichkeit in Sache EU und NATO zu versichern. "Ich bin mir der Notwendigkeit einer künftigen Regierung bewusst, die europäische und internationale Einbindung Italiens zu bekräftigen."
Eitelkeit und Schönfärberei
Eitelkeit war eine der Eigenschaften, die die Medien dem Überraschungs-Ministerpräsidenten attestierten. In letzter Sekunde wäre Conte fast über eine Schönfärberei in seiner Biografie gestolpert. Der Jurist hatte den Eindruck erweckt, er habe einen Teil seiner wissenschaftlichen Ausbildung an der New York University genossen. Am Ende musste Conte einräumen, dass er dort nur einen Englisch-Sprachkurs absolviert hat. Fünf-Sterne-Bewegung und Lega aber hievten Conte trotzdem in das Amt des Regierungschefs. Das Kalkül der Koalitionäre: Der parteilose Wissenschaftler sei nach außen vorzeigbar, intern aber als Neuling im Politbetrieb leichtgewichtig genug, um den Machtambitionen der beiden Parteiführer Luigi di Maio und Matteo Salvini nicht im Weg zu stehen.
Diese Taktik ging viele Monate auf. Nun aber spielt Conte plötzlich auf eigene Rechnung. Schon zu Beginn der Regierungskrise hat der in seinem Jahr in der Politik selbstbewusst gewordene Ministerpräsident dem Führer der rechten Lega den Kampf angesagt:
"Es obliegt natürlich nicht dem Innenminister, den zeitlichen Ablauf einer Regierungskrise festzulegen, auf den ganz andere institutionelle Akteure Einfluss nehmen."
Conte stellt sich Salvini in den Weg
Als Salvini Anfang des Monats das Ende der Regierung verkündete, tat Conte ihm nicht den Gefallen, von sich aus hinzuwerfen – und half dadurch, dem Lega-Chef den Weg zu den von ihm gewünschten schnellen Neuwahlen zu versperren. Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem Conte nicht eine Spitze gegen den Mann verteilt, dem er als Regierungschef kaum widersprochen hat. Bereits am Tag des Bruchs formulierte Conte den Vorwurf Richtung Lega-Chef, den sich hinterher alle Salvini-Kritiker zu eigen machten:
"Er hat mir die Absicht der Lega angekündigt, diese Regierungserfahrung zu unterbrechen und wählen zu gehen, um den Konsens zu kapitalisieren, den die Partei derzeit genießt."
Etwas gestelzt und pathetisch, wie viele öffentlichen Äußerungen Contes – aber die Kampfansage an Salvini war formuliert. Eine Konsequenz: In der Migrations- und Flüchtlingspolitik legt Conte seitdem eine 180-Grad-Wende hin. Über ein Jahr lang hat er den harten Anti-Flüchtlingskurs des Innenministers stets treu mitgetragen, jetzt streitet Conte dafür, Salvinis Politik aufzuweichen.
Laut Umfragen beliebtester Politiker Italiens
Heute im Senat könnte der flexible politische Quereinsteiger Salvini einen finalen Streich spielen – und nach seiner Regierungserklärung, taktisch clever, von sich aus zurücktreten. Das vom Lega-Chef gewünschte Misstrauensvotum wäre damit automatisch vom Tisch, Conte hielte sich die Möglichkeit offen, vom Staatspräsidenten erneut mit der Bildung einer Regierung beauftragt zu werden. Der Corriere della Sera meldet, die bislang oppositionellen Demokraten könnten sich nicht nur den Einstieg in eine neue Regierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung vorstellen, sondern eventuell auch, dass Conte Ministerpräsident bleibt. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich für Conte bereits ausgezahlt, dass er so schnell auf Distanz zu Salvini gegangen ist und sich ansonsten vieles offenhält: Laut Umfragen ist der bislang so blasse Regierungschef plötzlich beliebtester Politiker in Italien.