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Gläserner Bürger 2.0

Datenschutz. - Informationen aus vielen Quellen zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen - bei dieser Disziplin, der "Informationsfusion", wird auch der Computer immer besser. Dank cleverer Algorithmen kann Software Datensätze verschiedenster Art nach charakteristischen Mustern durchforsten. Damit werden aber auch neue Wege der Überwachung möglich. Die neuesten Trends des Gebiets diskutieren Experten auf einer hochkarätig besetzten Konferenz zur Informationsfusion in Köln.

Von Ralf Kauter | 02.07.2008
    Schlechte Zeiten für Privatdetektive - das ist die Erkenntnis, die sich nach dem Plenarvortrag von Dieter Fox unweigerlich breit macht. Denn was der deutsche Professor von der Universität in Seattle in seinem Labor erprobt, könnte bald schon manchen Schnüffler den Job kosten. Wie lange jemand schläft, wann er frühstückt, ob er mit dem Auto oder dem Bus zur Arbeit fährt und in welchem Restaurant er danach war - all das verrät das Computerprogramm, das Dieter Fox entwickelt hat, auf Knopfdruck. Als Eingangsdaten genügen ihm die GPS-Daten eines Handys mit eingebauter Satellitennavigation, das die Zielperson einige Tage lang bei sich tragen muss. Aktivitätserkennung anhand tragbarer Sensoren nennt sich das. Dieter Fox will sie unter anderem nutzen, um Alzheimer-Patienten ein selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen.

    " Die Idee ist, dass man, wenn man einen Sensor auf der Person hat, der automatisch erkennt, welche Aktivität die Person im Moment durchführen möchte, dann könnte man vielleicht frühzeitig erkennen, wenn etwas schief geht, und ihnen dann helfen, diese Aktion weiter zu führen. Zum Beispiel könnte man, wenn eine Person draußen spazieren geht und man erkennt, dass sie offensichtlich verloren ist, auf dem Weg nach Hause oder zum Supermarkt, könnte man den Leuten helfen, wieder dorthin zu kommen. "

    Alles, was es dazu braucht ist ein tragbarer Sender in der Jackentasche, der kontinuierlich die Position übermittelt. Wer so einen bei sich trägt, hinterlässt innerhalb weniger Tage ein umfassendes Bewegungsprofil, das Dieter Fox mit einer lernfähigen Software nach regelmäßig aufgesuchten Orten und häufig zurück gelegten Wegen durchforsten kann.


    " Von Trainingsdaten, die wir aufnehmen, lernen wir Modelle, die beschreiben, wo eine Person typischerweise hingeht, wie sie dort hin kommt - mit dem Auto, mit dem Bus oder zu Fuß. Und mit diesem Szenario sind wir dann in der Lage frühzeitig zu erkennen, zum Beispiel wenn eine Person den falschen Bus auf dem Weg nach Hause nimmt. In Kombination mit einem Mobiltelefon, sind wir dann in der Lage, die Leute nach Hause zu leiten und ihnen, während sie noch im Bus sitzen, zu sagen, wo sie umsteigen müssen, auf welchen Bus sie gehen müssen. "

    Klingt ambitioniert und ist in Wahrheit ziemlich kompliziert. Denn die GPS-Positionsdaten, die der Computer als Ausgangsmaterial verwendet, sind immer ungenau. Ob ein Mensch an einer Kreuzung gerade geradeaus geht, links abbiegt oder in einen Bus steigt, verraten sie nicht. Die Kunst, die Dieter Fox zur Perfektion betrieben hat, besteht nun darin, diese Unsicherheit in mathematische Formeln zu gießen und mit zusätzlichen Informationsquellen wie Stadtplänen, Busrouten und Restaurantverzeichnissen zu verringern. So kann er nicht nur die jeweils wahrscheinlichste exakte Position der beobachteten Person ermitteln, sondern vorhersagen, welchen Weg sie vermutlich gleich einschlagen wird.

    " Das heißt: Wenn sie in den Bus steigt - innerhalb von zwei, drei Sekunden wissen wir dann mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Person in den Bus gestiegen ist. "

    Deutlich früher also, als sich das allein anhand der GPS-Signale festmachen ließe. Im Prinzip - das belegen die Experimente in den Straßenschluchten Seattles - wäre der Orwell'sche Überwachungsstaat schon heute machbar. Wohnort, Arbeitsstelle, bevorzugte Verkehrsmittel und die Adressen häufig besuchter Bekannter - all das liefert die Software in Sekundenschnelle. Da eingeschaltete Handys und funkende Laptops ähnliche deutliche Spuren hinterlassen, wie ein Peilsender im Rucksack, ist die Gewinnung der dazu nötigen Positionsdaten längst kein technisches Problem mehr. Allein rechtliche Barrieren hindern Fahnder daran, häufiger darauf zu zugreifen. Und dieser Datenschutz tut auch dringend Not, meint Dieter Fox. Einzige Ausnahme: Wenn Menschen ihre Koordinaten bewusst freigeben, weil sie sich einen Nutzen davon versprechen - etwa die bessere Betreuung Hilfsbedürftiger. Wie das funktionieren könnte, erproben die Forscher jetzt gemeinsam mit Intel in mehreren Pflegeheimen. Intelligente Funketiketten, angebracht an allen wichtigen Gegenständen im Heim, spielen eine Schlüsselrolle dabei. Ein Armband mit integrierter Antenne registriert, welche davon sein Träger wann berührt hat. In der Hoffnung:

    " Wenn man über lange Zeit automatisch erkennen kann, wie eine ältere Person Aktivitäten durchführt, ob sie ihre Medizin nimmt, wie oft sie zur Toilette geht, sauber macht, aufräumt und solche Sachen, dass man dann vielleicht frühzeitig schon erkennen kann, wenn eine Person sehr wenig aktiv wird und dann auch frühzeitig eingreifen kann. "

    US-Soldaten im Irak testen derzeit einen kleinen elektronischen Rekorder, der ihre tägliches Aktivitätsmuster aufzeichnet. Die automatische Auswertung soll ihnen künftig das lästige Schreiben von Einsatzberichten ersparen. Dafür weiß der Vorgesetzte dann auch immer genau, wer wann was gemacht hat. Big Brother lässt grüßen.