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Glanz ohne Glorie

Glamour war fast alles, was Martin Scorseses Berlinale-Eröffnungsfilm leistete. Die Qualität von "Shine a light" blieb weit hinter den Erwartungen zurück.

Von Christoph Schmitz | 08.02.2008
    "Hiermit erkläre ich die 56. Internationalen Filmfestspiele von Berlin eröffnet."

    Diane Kruger war der deutsche Star aus Hollywood, der gestern Abend das Filmfest eröffnen durfte. Die Berlinale berauschte sich an sich selbst. Bei der Galaveranstaltung mit dem Eröffnungsfilm "Shine a light" von Martin Scorsese in Anwesenheit der Hauptdarsteller des Konzertfilms, der Rolling Stones, konnte man es selbst kaum glauben, dass man Mick Jagger und seine drei alten Knaben nach Berlin bekommen hatte. Festivalleiter Dieter Kosslick, das Publikum und die Presse waren schier betrunken vor Glück und Stolz auf den Coup. Endlich Glamour von Weltniveau!

    Glamour ist aber auch fast alles, was Scorseses Film leistet. Denn seine Qualität bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Es gibt wunderbare Momente, etwa die Schwarz-Weiß-Collage am Anfang über die komplizierten Vorarbeiten und Produktionsbedingungen, die hell ausgeleuchteten, fast in Licht gemeißelten alten, schrundigen Körper der Musiker im noch älteren Beacon Theatre am Broadway, wie sie alle glühen und schuften und ganz und gar aufgehen dabei, sich und das Publikum, darunter Bill Clinton, aufzuheizen. Doch was man von Scorsese über die Stones erfährt, ist nicht viel: dass sie immer noch da sind, dass sie immer noch die alten Rocker und in der Rausch-Schau ganz bei sich sind. Doch das wusste man auch vorher. Auch dass sie eigentlich dumme Jungs sind, die in Interviews so viel Geist versprühen wie Fußballer nach dem Spiel. Letztlich ist "Shine a light" ein recht langer Konzertfilm, der noch einmal deutlich macht, dass es bei einen solchen Konzert nicht um Musik geht, sondern um Extase, für die Rhythmen und rudimentäre Klänge und Melodielinien nur Hilfsmittel sind. Gebrauchsmusik eben. Wer nicht mitmacht, geht im Lärmterror hilflos unter. Insofern hat Rockmusik etwas Totalitäres. Scorsese zeigt es wohl unfreiwillig.

    Heute Morgen erst kam das Festival zu sich selbst - mit zwei Spielfilmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ruhig und sparsam in Sprache und Bilder der eine, laut und üppig der andere. Das ästhetisch beinahe minimalistische Stück kam aus China. "In love we trust" heißt der Titel ganz altmodisch. Wang Xiaoshuai ist der Regisseur, der eine moralische Geschichte im heutigen China der Mittelschicht erzählt. Die jungen Protagonisten und Eheleute sind gut im Geschäft. Doch da erkrankt die fünfjährige Tochter an Leukämie, und helfen kann ihr nur die Knochenmarkspende eines Geschwisterkindes, das es aber nicht gibt. Aber die Mutter ist vom Vater des kranken Mädchens längst geschieden. Eine Rettungschance für das Kind besteht nur, wenn die Geschiedenen ein Kind zeugen. Da sie selbst in neuen Ehen leben, beginnt hier der Konflikt.
    ""Ich hatte von solchen Fällen in Medienberichten gelesen, es werden immer wieder Spender gesucht, und mich hat interessiert, wie Erwachsene damit umgehen","

    sagte der Regisseur Wang Xiaoshuai nach der Pressevorführung.

    Eine großartige psychologische und moralische Studie ist ihm gelungen, die ganz und gar vom Können der Schauspieler lebt, die die Kamera stetig fixiert, eine Art filmische Novelle, mit stilistischer Klarheit.

    Das bereits für zahlreiche Oscars nominierte Öl-Boom- Epos "There will be Blood" von Paul Thomas Anderson schöpft dagegen aus dem Vollen. Die Geschichte von einem "Ölmann", der vom armen Schlucker zum Krösus wird und im Machtrausch seinen Adoptivsohn verstößt, betrügt, mordet, seine Seele verliert, wird stark und kalt von Daniel Day-Lewis als Hauptdarsteller erzählt. Viel Menschheitsstoff liegt in den beiden Filmen, die mehr Substanz für eine Eröffnung geboten hätten, aber weniger Glamour.