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Glasschleifer und Gelehrter

Er setzte die menschliche Vernunft an die Stelle Gottes und leitete damit eine große Zäsur in der Philosophiegeschichte ein. Mit seinem einzigen veröffentlichten Werk "Ethik" wurde Baruch de Spinoza einer der bedeutensten Philosophen und dies, obgleich er kein offizielles Amt inne hatte, sondern sich als Glasschleifer seinen Lebensunterhalt verdiente.

Von Robert Schurz | 24.11.2007
    "Nach dem Urteil der Engel und der Aussage der Heiligen verbannen, verfluchen, verwünschen und verdammen wir Baruch d' Espinosa. Er sei verflucht bei Tag und verflucht bei Nacht, verflucht sein Hinlegen und verflucht sein Aufstehen, verflucht sein Gehen und verflucht sein Kommen."

    So lautet der Bannfluch, mit dem jüdische Gemeinden im 17. Jahrhundert jene Glaubensgenossen aus ihren Reihen verbannten, die sich schwerster Verfehlungen schuldig gemacht haben. Was aber hatte Baruch de Spinoza verbrochen? Er hatte gewagt, das jüdisch-orthodoxe Ritual als wahre Form des Glaubens in Zweifel zu ziehen. Seine These

    "Der menschliche Geist hat eine adäquate Erkenntnis des ewigen und unendlichen Wesen Gottes."

    widersprach der Auffassung des Talmuds, dass Gott über jede menschliche Vorstellung von ihm erhaben sei.

    "Nimmer möge der Herr ihm vergeben und fortan der Zorn des Herrn und der Eifer Gottes über diesen Menschen kommen und ihn mit allen Flüchen beladen."

    Nicht nur wegen des Bannfluchs ist das Leben von Spinoza von Mythen und Legenden umrankt. Seine Vorfahren wurden als Sepharden - das waren Juden die den Engel- und Wunderglauben pflegten - von der spanischen Inquisition verfolgt und wanderten über Portugal nach den Niederlanden aus. Baruch de Spinoza selber wurde am 24. November 1632 im Amsterdamer Judenviertel geboren, seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war. Er besuchte eine Talmud-Schule, zog sich alsbald aus dem Handelsgeschäft des Vaters zurück und begann mit Protestanten und Jesuiten zu verkehren.

    Nachdem ihn die jüdische Gemeinde ausgestoßen hatte - er war gerade mal 23 Jahre alt - begann er eine Art Universalstudium an der privaten Lateinschule des Ex-Jesuiten Franciscus van den Enden. Spinoza machte sich mit der italienischen Renaissance und der europäischen Aufklärung vertraut, bewunderte Descartes und arbeitete an dem mit, was 200 Jahre später als naturwissenschaftliches Weltbild reifen sollte.

    Die Frage nach Gott stand überall im Raum, und in einer Zeit, da die Kirche verbissen um den weltlichen Machterhalt kämpfte, war es kühn, solche Gedanken zu äußern:

    "Gott ist die innewohnende Ursache aller Dinge. Gott ist nicht nur die wirkende Ursache der Existenz, sondern auch des Wesens der Dinge. Die Dinge konnten auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung von Gott hervorgebracht werden, als sie hervorgebracht worden sind."

    Der Philosoph musste seinen Lebensunterhalt als Glasschleifer verdienen: Er stellte Linsen für Mikroskope und Ferngläser her - ein durchaus angesehener Beruf. Auf Betreiben der Rabbiner wurde er aus Amsterdam verbannt, lebte einige Zeit in Rijnsburg und ließ sich schließlich in Den Haag nieder. Unter den Gelehrten Europas galt er bald als Geheimtipp. Einen Ruf an die Universität Heidelberg lehnte er ab. Zu Lebzeiten hatte Spinoza allerdings wenig publiziert: neben einem unter seinem Namen erschienenen Werk über die Philosophie Descartes gab es nur ein theologisch-philosophisches Traktat, das er anonym herausgab und das enormes Aufsehen erregte. Die Schrift galt als revolutionär und gefährlich.

    "Hütet euch, daß niemand mündlich noch schriftlich mit ihm verkehre, niemand ihm die geringste Gunst erweise, niemand sich ihm auf vier Ellen nähere, niemand eine von ihm gemachte oder geschriebene Schrift lese."

    Spinozas Ruhm zu Lebzeiten baute sich auf seinem privaten Verkehr mit den Gelehrten Europas auf; zeitweise bildete sich um ihn eine richtige kleine Gemeinde und man erwartete voller Hoffnung sein großes Werk, seine Ethik, dessen Veröffentlichung er aus politischen Gründen hinauszögerte. Dieses erst posthum erschienene Buch ist wie ein mathematisches Lehrbuch aufgebaut: eine These nach der anderen wird nach der Art einer strengen Beweisführung abgehandelt. Die Frage nach Gott nimmt allerdings darin keinen großen Raum ein; wichtiger scheint Spinoza die Frage nach dem Verhältnis zwischen Tugend und Affekt. Am Ende steht die Herrschaft der Vernunft: Tugendhaft kann nur der sein, der die wahre Ursache der Dinge erkennt und entsprechend handelt.

    "Die Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst. Wir freuen uns ihrer nicht, weil wir die Gelüste hemmen, sondern weil wir uns ihrer erfreuen, darum können wir die Gelüste hemmen."

    So reiht sich Spinoza in die Phalanx jener Philosophen der Neuzeit ein, die von Descartes bis Karl Marx die menschliche Vernunft an die Stelle Gottes setzten.

    "Und der Herr wird seinen Namen austilgen unter den Himmeln und der Herr wird ihn zu seinem Verderb ausstoßen."

    Baruch de Spinoza starb 1677 an Schwindsucht.