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Glaub nicht alles, was du siehst

Mehr als 300 Wissenschaftler und interessierte Laien wollten in Berlin beim sogenannten Weltskeptikerkongress eine Lanze für die wahrhaftige Wissenschaft brechen. Bleibt die Frage, welche Zweifel sie gerne bei der Bevölkerung setzen würden.

Von Brigitte Baetz | 24.05.2012
    "Wir denken, wir denken. Aber wir denken gar nicht, sondern unser Unterbewusstsein sagt uns, was wir zu tun haben. Dieses Ausmaß des fest Verdrahteten ist so groß, dass es schon fast erschreckend ist. Wer lange nachgedacht hat, wurde gefressen. Das heißt, das Nachdenken wurde nicht belohnt. Heute werden wird nicht mehr von Löwen attackiert. Die Gefahren, die damals richtige Gefahren waren, gibt es heute nicht mehr. Heute können wir uns erlauben, nachzudenken. Sind es aber nicht mehr gewöhnt."

    Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund, ist bekennender Anhänger des britischen Zoologen und Verhaltensforschers Desmond Morris und dessen Bestseller "Der nackte Affe". In dessen Tradition hält er die Gefahrenwahrnehmung des modernen Menschen für antiquiert.

    "Alles, was wir nicht durchschauen, flößt uns mehr Angst ein als Gefahren, deren Mechanismen wir beherrschen. Wenn Sie zuhause Fenster putzen und die Leiter umfällt, sind Sie tot. Aber das haben Sie im Griff. Und diese Dinge sind für uns alltäglich und deshalb ängstigen sie uns nicht mehr, obwohl sie eigentlich summa summarum zusammen viel gefährlicher sind."

    Und so erhöhte sich nach den Anschlägen des 11. September die Zahl der Verkehrsopfer, die beim Autofahren zu Schaden kam, in den USA signifikant, sagt Krämer. Der Grund: Die Menschen stiegen aus Angst vor Anschlägen vom Flugzeug auf das Auto um. Autofahren aber ist grundsätzlich gefährlicher, als mit dem Flugzeug zu reisen. Doch dies war nur ein Beispiel für die Unvernunft des Menschen, wie sie auf dem 6. Weltskeptikerkongress in Berlin verhandelt wurde. Warum glaubt eine Mehrheit der Amerikaner immer noch, dass Saddam Hussein Atomwaffen besaß oder ist in einer großen Zahl der Meinung, Barack Obama sei Muslim? Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Chris Mooney hat dafür eine eigene Erklärung parat. Er stützt sich dabei auf Untersuchungen, die zeigen, dass diese Fehleinschätzungen nichts mit dem Grad der formalen Bildung zu tun haben. Das Phänomen des "Smart Idiot", also des gebildeten Ignoranten, sei unter Anhängern der Republikanischen Partei besonders verbreitet.

    "Wir wissen, dass die politische Rechte in den USA eine autoritäre Bewegung geworden ist. Sie ist immer weniger offen für neue Ideen, Informationen. Es ist ein geschlossener Kreis. Sie akzeptieren, was ihre Anführer sagen und akzeptieren nicht, was die wissenschaftliche Gemeinschaft sagt."

    Dass sich so viele konservative Amerikaner auf wissenschaftlich widerlegbare Aussagen, wie zum Beispiel den Kreationismus verließen, erklärt Mooney damit, dass konservative Menschen schlicht weniger offen für Ideen und Ansichten seien, die ihrem Weltbild widersprächen. Einseitig rechtsorientierte Medien wie der berüchtigte Fernsehsender Fox News, indem unter anderem wiederholt der Klimawandel geleugnet wird, verstärkten diese Ansichten noch. Allerdings meint Mooney:

    "Fox verbreitet Desinformation, aber ich glaube, der autoritäre Konservative möchte auch einen Platz haben, in dem er die Bestätigung seines Glaubens findet."

    Die Unvernunft in den USA sei längst so groß geworden, dass sich das gesellschaftliche Klima nicht mehr länger mit den Maßstäben der Politik- oder Sozialwissenschaften erklären lasse, meint der überzeugte Liberale Chris Mooney. Auch wenn er zugibt, dass natürlich kulturelle und politische Faktoren auch eine Rolle spielen. Sein Buch "The Republican Brain", also "das Gehirn des Republikaners", ist in ein Bestseller in seinem Heimatland.

    "Noch nie war die amerikanische Politik so polarisiert und es wird schlimmer. Es ist wie in einem Stammeskrieg. Deshalb muss man aufhören zu glauben, Politik sei etwas Rationales. Es ist Psychologie, zumindest macht es dann mehr Sinn. Ob das unsere Probleme lost, ist eine andere Frage."

    Chris Mooneys Versuch, die Tea-Party-Bewegung mit den Mitteln der Psychologie zu erklären, ist bezwingend simpel. Doch wie Mooney selbst zugibt, ist er auch gespeist aus dem Willen, das für ihn Unverständliche in einen logischen Kontext zu bringen. Ob damit auch ein wirklich wissenschaftlicher Nachweis erbracht ist, bleibt fraglich. Beim 6. Weltskeptikerkongress war ohnehin weniger die konkrete Überführung wissenschaftlich haltloser Behauptungen gefragt, als vielmehr die Beschwörung des gesunden Zweifels. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, kurz GWUP war Veranstalter der Berliner Tagung.

    Sie hatte sich 1987 gegründet, als unter anderem zum ersten Mal das Phänomen Wünschelrutengänger mit politischem Segen wissenschaftlich untersucht werden sollte. Für den Diplom-Ingenieur Armadeo Sarma, Gründungsmitglied der GWUP und heute ihr Vorsitzender, ist es untragbar, dass von ihm sogenannte Pseudowissenschaften wie beispielsweise der Kreationismus, der sich auf die Schöpfungslehre beruft, Parapsychologie, Ufologie, aber auch die Homöopathie immer mehr Eingang in den gesellschaftlichen, aber auch wissenschaftlichen Alltag finden.

    "Wir sollten nicht unterscheiden zwischen sogenannter Schulmedizin und alternativer Medizin, sondern die richtige Frage ist: Funktioniert es, dann ist es Medizin. Wenn es nicht funktioniert, wenn der Nachweis nicht erbracht werden kann, dann ist es keine Medizin."

    Ein wirklicher Skeptiker, so Diplomingenieur Sarma, werde sich bis zum Beweis des Gegenteils nicht darauf einlassen, dass Homöopathie eben helfe, weil die Kranken es so empfänden. Relativierungen bei den wissenschaftlichen Prüfkriterien, wie sie die Anhänger sogenannter Alternativmedizin forderten, dürfe man nicht zulassen. Auch wenn Homöopathie an sich nicht schädlich sei, so sei es aber dennoch möglich, dass Patienten zusätzliche wichtige Maßnahmen unterließen, weil sie sich zu sehr auf die Einnahme von Kügelchen verließen.

    "Weil sie sagen, es gibt auch die eine Seite und es gibt die andere Seite. Aber wir glauben, dass die Erkenntnisse, die wir bisher in der Wissenschaft bekommen haben, uns durchaus zu klaren Aussagen führen können."

    In ihrem strengen Fokus auf wissenschaftliche, vor allem naturwissenschaftliche Standards, spricht die internationale Skeptikerbewegung aber nicht nur Forscher an. Ein nicht unwichtiger Teil der Skeptiker rekrutiert sich, so wissenschaftsfern das klingt, aus Zauberkünstlern. Der Bekannteste unter ihnen ist James Randi. Der mittlerweile 84-Jährige, im Auftreten eine kleingewachsene Kopie von Albus Dumbledore, hellwach und mit viel Witz, machte nicht nur als international auftretender Magier von sich reden, sondern auch, weil er bewies, dass weder philippinische Wunderchirurgen noch der Löffelverbieger Uri Geller übersinnliche Fähigkeiten besitzen. Für Randi schließen sich Zauberkunst und Wissenschaft nicht aus, im Gegenteil:

    "Wissenschaftler glauben meistens, sie wüssten alles über ihr Fach. Aber das stimmt nicht immer. Zauberer merken, wenn es um Tricksereien geht. Nicht immer, aber meistens schon. Das ist unser Fach. Wir wissen, wie man Menschen verführt, Dinge zu glauben, die nicht da sind, und das macht uns wertvoll für die Wissenschaft."

    Im sogenannten Projekt Alpha wies James Randi Anfang der 80er-Jahre nach, wie leicht Wissenschaftler, die übernatürliche Phänomene untersuchen, zu täuschen sind. Er schleuste zwei Amateurzauberer in ein Labor der Washington University ein, die behaupteten, parapsychologische Fähigkeiten zu besitzen und die die Forscher hinters Licht führten. In der "One-Million-Dollar-Challenge" hat Randi eine Million Dollar für denjenigen ausgelobt, der ihn von seinen übernatürliche Fähigkeiten überzeugen könne. Dieser Herausforderung hat sich bislang aber niemand wirklich gestellt, das Preisgeld ist noch zu haben. Die Prüfung ist anscheinend zu streng:

    "Ich glaube nur an Dinge, die man beweisen kann."