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Glaubenskrieger
"Ich sah das Monster in mir"

Assaad Chaftari war christlicher Milizionär im Libanon. "Es war für mich eine heilige Mission. Ich war davon überzeugt, dass ich Gott und Jesus diene, indem ich andere töte", sagt er. Heute ist er Mitglied bei den "Fighters for Peace" - und versucht, Konflikte in deutschen Flüchtlingsunterkünften zu verhindern.

Von Susanne Babila | 10.10.2017
    Veränderung ist möglich: Eine Collage in der Ausstellung "Transformations" zeigt die Vergangenheit und Gegenwart des ehemaligen Milizionärs Assaad Chaftari. Die Ausstellung wurde von der Organisation "Fighters for Peace" initiiert
    Veränderung ist möglich: Eine Collage in der Ausstellung "Transformations" zeigt die Vergangenheit und Gegenwart des ehemaligen Milizionärs Assaad Chaftari (Fighters for Peace/Jamal Saidi)
    "Wie kann ich jemals meinem ehemaligen Kriegsgegner, meinem Feind vergeben? Vor allem, wenn meine Angehörigen, meine Freunde getötet wurden? Wie kann ich verzeihen und selbst Frieden finden?"
    Rund 50 Syrer und Iraker diskutieren mit Assaad Chaftari, einem ehemaligen christlichen Milizionär aus dem Libanon im Saal der evangelischen Kirchengemeinde in Stuttgart-Obertürkheim. Heute kämpft der 62-Jährige für den Frieden und ist Mitglied bei "Fighters for Peace". Es ist sehr schwer zu vergeben und auch um Vergebung zu bitten, sagt er aus eigener Erfahrung:
    Einblick in die Arbeit der Organisation "Fighters for Peace"
    Einblick in die Arbeit der Organisation "Fighters for Peace" (Fighters for Peace/Christina Förch)
    "Stell dir vor, du gehst zu jemandem, den du in der Vergangenheit töten wolltest, und würdest ihn jetzt gern um Vergebung bitten. Für mich war das ein sehr langer und schwieriger Prozess. Ich habe zwölf Jahre gebraucht, um einen solchen Brief zu schreiben und auf Gott oder mein Gewissen zu hören."
    12 Jahre lang in einer christlichen Miliz im Libanon
    Mit 19 Jahren kämpfte der charismatische Redner in einer christlichen Miliz im Libanon - 12 Jahre lang. Denn die damals dominierenden Christen sahen in der wachsenden Zahl von Muslimen eine Konkurrenz. Palästinensische Flüchtlinge und bewaffnete Kämpfer der PLO unter Yassir Arafat strömten Anfang der 70er-Jahre in den Libanon und wollten politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Daraus entwickelte sich ein Krieg der Konfessionen, erklärt Assaad Chaftari:
    "Ich hatte die ganze Zeit über nicht das Gefühl, etwas Falsches zu tun. Es war für mich eine heilige Mission und ich war davon überzeugt, dass ich Gott und Jesus diene, indem ich kämpfe und andere töte."
    Je länger der Bürgerkrieg andauerte, desto weniger wussten die unterschiedlichen Fraktionen des Bürgerkriegs, warum und wofür sie kämpften. Politische Programme, aber auch Konfessionszugehörigkeit verloren mehr und mehr an Bedeutung. Unter dem Krieg litt vor allem die Zivilbevölkerung. Massaker an Frauen, Kindern und alten Menschen waren an der Tagesordnung. 1988, kurz vor Ende des Bürgerkriegs traf Assaad Chaftari auf Friedensaktivisten, auf 'The Initiative of Change'. "Erst dann begriff ich, dass ich die ganze Zeit auf dem falschen Weg war", erklärt er:
    "Sie hielten mir den Spiegel vor das Gesicht - und dann sah ich das Monster in mir, mit Blut an den Händen."
    "Wir alle brauchten Zeit um zu erkennen, dass wir uns und unserem Land Fürchterliches angetan hatten"
    150 Tausend Tote und 350 Tausend Verletzte: Das Blutvergießen endete ein Jahr nach dem 1989 in Saudi-Arabien abgeschlossenen Friedensabkommen. Es garantierte eine Generalamnestie für alle, die am Bürgerkrieg beteiligt waren. Auch den Kämpfern der Milizen. Sie wurden sozusagen ins zivile Leben entlassen. Auch Ziad Saab kämpfte seit seinem 14. Lebensjahr in einer kommunistischen Miliz, war später sogar Komandant. Ein Leben als Zivilist zu führen, sich wieder in eine friedliche Gesellschaft zu integrieren, war ein sehr schwieriger Prozess in meinem Leben, erklärt er:
    "Als der Krieg 1990 zu Ende war, hatten wir zwar gelernt, wie man ein Gebäude zerstört, aber nicht wie man es aufbaut. Wir alle brauchten Zeit um zu erkennen, dass wir uns und unserem Land Fürchterliches angetan hatten. Wir hatten alles zerstört. Ich habe heute den Mut öffentlich zu sagen, dass es falsch war. Ich warte darauf, dass sich auch die anderen dazu bekennen. Das wäre zumindest ein Verdienst an unsere Gesellschaft, damit unsere Jugend nicht dieselben Fehler begeht wie wir."
    "Bürgerkriegsvergangenheit aufarbeiten, und zwar mit Jugendlichen"
    2012 gründete Ziad Saab mit anderen Friedensaktivisten "Fighters for Peace". Sie starteten als kleine Gruppe. Heute haben sie mehr als 30 Mitglieder, viele von ihnen seien ehemalige Kämpfer, erklärt Ziad Saab, der Vorsitzende der Organisation. Seine deutsche Ehefrau Christina Förch, eine ehemalige Journalistin, arbeitet mit. Sie leben in Beirut und haben seit 2005 miterlebt, wie schnell die Konflikte wieder aufflammen können: Bombenanschläge, politische Attentate - wie der Mord am libanesischen Ex-Premier Rafiq al-Hariri, Studentenunruhen und dann drei Jahre später der Einmarsch der Hisbollah in Beirut.
    Christina Förch (rechts) von "Fighters for Peace"
    Christina Förch (rechts) von "Fighters for Peace" (Fighters for Peace/Jalal_ND_Photos)
    Christina Förch erzählt: "Mein Mann hat die Söhne seiner Freunde zum Teil gesehen, die wieder mit Waffen rumliefen und da haben wir gesagt, das kann ja wohl nicht wahr sein. Denn der Bürgerkrieg war ja solange nicht beendet. Da haben wir gesagt, wir müssen unbedingt was tun und diese Bürgerkriegsvergangenheit aufarbeiten, und zwar mit Jugendlichen. Es fängt ganz banal an mit Classroomculture, also wie benehme ich mich in meiner eigenen Klasse. Zum Beispiel höre ich den anderen zu, höre ich anderen zu, kann ich andere Meinungen, andere Sichtweisen akzeptieren. Also ganz handfest lernen, wie gehe ich mit Konflikten um, in meiner eigenen Umwelt."
    Fighters for Peace arbeiten im Libanon, im Irak und im Jemen, erklärt die ehemalige Journalistin.
    "Es ist schwer für sie"
    "Wir machen Workshops, Ausstellungen, Theaterprojekte. Und zum ersten Mal arbeiten wir auch mit Flüchtlingen in Deutschland", erklärt Gründer und Ehemann Ziad Saab: "Wenn ich mit den syrischen Flüchtlingen spreche, dann ist das nicht einfach, denn - lassen Sie es mich unverblümt sagen - die Erinnerung an die Toten ist noch ganz frisch, sie leiden sehr und es ist sehr schwer für sie, rational zu denken und zu handeln."
    "Fighters for Peace" arbeitet im Libanon, im Irak und im Jemen. Seit Kurzem bietet die Organisation auch Projekte für Flüchtlinge in Deutschland an.
    "Fighters for Peace" arbeitet im Libanon, im Irak und im Jemen. Seit Kurzem bietet die Organisation auch Projekte für Flüchtlinge in Deutschland an (Fighters for Peace/Christiane Förch)
    Deshalb sind Konflikte in den engen Flüchtlingsunterkünften geradezu programmiert, ergänzt seine Ehepartnerin und Mitstreiterin Christiane Förch. Viele seien frustriert, lebten ohne Familie und mit traumatischen Erinnerungen an den Krieg in ihrer alten Heimat.
    "Das sind alles reale Konflikte, die aufeinandertreffen. Wir haben gedacht, in unserem Projekt können wir diese Konflikte ein Stück weit auffangen und gerade in unseren Workshops. Und da dachten wir, wir können ihnen alternative Rollenbilder bieten, weil es gerade ehemalige Kämpfer sind. Sie haben selbst sehr lange an sich gearbeitet, um sich kritisch zu hinterfragen und um sich friedlich zu engagieren."