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Gleichberechtigung in Fußballschuhen

Fußballspielen ist heute für die meisten Mädchen und Frauen selbstverständlich. Das war nicht immer so. Fragwürdige sittliche und medizinische Gründe wurden ins Feld geführt, warum Männer bei diesem Sport unter sich bleiben sollten. Den Moralhütern im wilhelminischen Deutschland um 1900 etwa galten Spreiz- und Grätschbewegungen der Frau, als sittenwidrig. Inzwischen aber ist Deutschlands Frauenfußball weltweit das Maß aller Dinge, insbesondere durch die Erfolge der Nationalelf, die 2003 im Kalifornischen Carlson, heute vor fünf Jahren, erstmals Weltmeister wurde.

Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza | 12.10.2008
    "Freistoß Lingor noch mal, wieder Künzer, jaaaa – Deutschland ist Weltmeister!"

    Im WM-Finale 2003 in den USA besiegte die deutsche Frauen-Fußball-Nationalelf Schweden mit 2:1 und wurde erstmals Weltmeister. In der Verlängerung köpfte Nia Künzer das alles entscheidende Golden Goal.

    "Der Ball kam wirklich perfekt für mich, dass ich hochsteigen konnte und ihn quasi unter die Latte köpfen konnte."

    "Das waren vier Wochen, die waren so extrem, mit Höhepunkten gespickt und mit tollen Erlebnissen, auch mit der Mannschaft so drum herum, also das war ne tolle Zeit."

    Der absolute Höhepunkt, auch für die damalige Bundestrainerin Tina Theune-Meyer. Nach ihrer Rückkehr sind die Kickerinnen Land auf, Land ab gefragt. In fast jeder Talkshow erscheinen sie. Die Elf erhält den Bambi-Fernsehpreis, wird bei der Sportlerwahl "Mannschaft des Jahres", und der DFB spendiert für jede Weltmeisterin 15.000 Euro Prämie. Der Frauenfußball erlebt einen Boom wie noch nie.

    Der WM-Titel ist aber auch die Krönung einer langen und dornenreichen Geschichte. 1955 nämlich hatte der Deutsche Fußball-Bund den Frauen das Fußballspielen ausdrücklich verboten, aus "grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen". Die DFB-Vereine durften keine Damenteams aufnehmen und keine Plätze zur Verfügung stellen. Hubert Claessen, langjähriges Vorstandsmitglied des DFB, erinnerte sich später an den Verbotsbeschluss.

    "Mädchenfußball, das war ja für die schon schwere Sünde, nicht wahr, dass Mädchen da mit nem wackligen Busen übers Feld liefen und dann auch noch gegen den Ball traten, das waren ja alles Vorstellungen für alte Herren, die sagten, das ist unmöglich."

    Dennoch nahm der "Sturmlauf der fußballbegeisterten Grazien" wie die Bildzeitung geschrieben hatte, kein Ende. Die Frauen kickten weiter, abseits des DFB und auf kommunalen Sportplätzen. Sie gründeten eigene Vereine und Verbände, und im September 1956 kam es sogar zum ersten Länderspiel.

    "Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran. Essen war Schauplatz des ersten Länderkampfs der deutschen Frauen in Schwarz-weiß gegen Holland. 18.000 Zuschauer waren Zeugen dieses historischen Tages. Auch in der zweiten Halbzeit zeigen die deutschen Frauen ein geradezu bestrickendes Spiel. Die Holländerinnen erzielen nur einen Gegentreffer. Mit diesem 2:1 Sieg kommt Deutschlands Fußball endlich wieder zu einem schönen Erfolg."
    Ende der 60er Jahre spielten in Deutschland schätzungsweise 40 – 60tausend Frauen Fußball. Aber erst im Oktober 1970 beugten sich die DFB-Funktionäre dem Druck und hoben ihr Damenfußball-Verbot auf. Auf Drängen der Spielerinnen und Vereinsverantwortlichen wurde ab 1974 eine Deutsche Meisterschaft eingeführt und 1982 dann eine Nationalelf aufgebaut. Die spielte sich von Erfolg zu Erfolg und wurde 1989 bei der EM in Deutschland erstmals Europameister. Im ausverkauften Finale in Osnabrück besiegten die deutschen Fußball-Frauen überraschend die haushohen Favoritinnen aus Norwegen mit 4:1. In einer Reportage heißt es:

    "Bereits in der 22. Minute hatte Uraula Lohn ihren ersten großen Auftritt, 1:0. Die 22.000 Zuschauer feuerten an, wollten mehr, und die Tore purzelten geradezu. Wunderbar, Freude über Freude, ein wahnsinniger Erfolg für die deutsche Mannschaft."

    Die damalige Prämie des DFB, ein Kaffee- und Tafelservice für jede Spielerin, ist noch heute in aller Munde. Dennoch, es war der Durchbruch für den Frauenfußball in Deutschland. Die Medien, insbesondere das Fernsehen, nahmen erstmals richtig Notiz und berichteten ausführlich. Die Zuschauer waren begeistert, und viele Eltern ließen fortan die Töchter getrost Fußball spielen.
    In der Leistungsspitze setzte eine Professionalisierung ein. 1990 wurde die Frauenfußball-Bundesliga eingeführt, und die Erfolge der Nationalelf hielten an.
    Sechsmal wurde sie bis heute Europameister, und im Herbst 2007 holten die deutschen Kickerinnen in China erneut den Weltmeistertitel. Im Finale wurde Brasilien mit 2:0 besiegt, die deutschen Reporter sind begeistert:

    "Fünf Minuten noch bis zum endgültigen Glück, und Toor, Tor für die deutsche Mannschaft, 2:0, Simone Laudehr..."