Freitag, 19. April 2024

Archiv

Gleichberechtigung
Jüdische Frauen dürfen laut an Klagemauer beten

Nach 27 Jahren haben sich jüdische Frauen jetzt das Recht erkämpft, wie Männer laut an der Klagemauer in Jerusalem beten zu dürfen. Die orthodoxen Juden sind empört, aber eine große Mehrheit in der israelischen Regierung stimmte für diese Änderung. Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verteidigt den Schritt.

Von Sebastian Engelbrecht | 02.02.2016
    Frauen an der Klagemauer in Jerusalem
    Frauen dürfen an der Klagemauer in Jerusalem jetzt auch laut beten und aus der hebräischen Bibel lesen. (dpa / picture alliance / Robert Findeis)
    Frauen singen das jüdische Glaubensbekenntnis, das "Schma' Jisrael" an der sogenannten Klagemauer, an der Westmauer des früheren Jerusalemer Tempels. Sie ziehen in einer Gruppe und mit einer Thorarolle dorthin, legen sich Gebetsschals über die Schultern, beten und lesen laut aus der hebräischen Bibel vor. Genau das ist am heiligsten Ort des Judentums nach orthodox-jüdischem Verständnis verboten. Vom Sommer an wird es Frauen offiziell erlaubt sein, so zu beten – in einem neuen Bereich an der Klagemauer – ein Stück südlich vom traditionellen Ort des Gebets. Fünf Minister der israelischen Regierung stimmten gegen diese Neuerung, 15 dafür. Zu ihnen gehört Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
    "Das ist ein Ort, der Platz bieten soll für das ganze Volk Israel. Ich weiß, dass das ein sensibles Thema ist, und dennoch denke ich, dass es eine vernünftige Lösung ist. Das ist eine kreative Lösung. Es sind immer die komplexen Probleme, die so eine Art von Lösung erfordern, und ich begrüße es, dass das jetzt der Regierung vorgelegt wird."‬
    Der Kampf jüdischer Feministinnen begann vor 27 Jahren. Seither stören die "Frauen der Mauer", wie sie sich nennen, immer wieder den eingespielten Gebetsbetrieb. Sie bringen damit orthodoxe Beter an der Klagemauer in Rage, auch orthodoxe Beterinnen, die still in sich gekehrt in ihrem eigenen Bereich beten. Aber nicht nur am Fuß des früheren israelitischen Tempels streiten sie für ihr Recht, sondern auch vor Gericht. Die jetzige Entscheidung der israelischen Regierung ist ein später Sieg für die "Frauen der Mauer" und für die liberalen jüdischen Bewegungen, das Reformjudentum und das konservative Judentum. In den USA gehören sie zu den stärksten jüdischen Gruppierungen, in Israel bilden sie eine Minderheit. Susan Silverman von den "Frauen der Mauer" ist in Feierlaune.
    "Wir kommen ein ganzes Stück voran mit dieser Erweiterung der Klagemauer, zu der dann auch ein südlicherer Teil der Mauer gehört. Das wird ein offener Bereich sein für alle, die dort beten wollen. Für mich ist das ein unglaublich fröhlicher Tag.‭‮"‬
    Dagegen zeigte sich Religionsminister David Azulai von der ultraorthodoxen Schas-Partei empört. Er sagte im israelischen Rundfunk: "Ich werde mich mit dem Präsidenten unseres Rates der Weisen beraten und mit dem Rat selbst und werde ihre Meinung einholen, um zu sehen, wie ich mich verhalten muss. Denn man darf nicht vergessen - das ist ein schwerer Tag für das Volk Israel, ein Tag, an dem eine Entscheidung getroffen wurde, das Reformjudentum anzuerkennen. Das ist eine laute Minderheit, die versucht, all das zu beschmutzen, was dem Volk Israel heilig ist. Eine kleine lautstarke Gruppe, die keinerlei Einfluss hat."
    Mit dem Beschluss ist das jüdisch-orthodoxe Monopol gebrochen. Das orthodoxe Rabbinat wird weiterhin den Bereich der Westmauer verwalten, für den es bisher zuständig war. Für den neuen Abschnitt wird ein Rat aus 13 Personen zuständig sein, die meisten von ihnen ernennt der Ministerpräsident.