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Gleichwertige Lebensverhältnisse
Oberesch im Saarland: Ein Dorf will überleben

Überall in Deutschland soll es gleichwertige Lebensverhältnisse geben – doch wie soll das gehen? Während im Bundestag am heutigen Mittwoch eine Debatte dazu stattfindet, bemühen sich viele Bewohner benachteiligter Regionen, ihre Heimat attraktiver zu gestalten. Zum Beispiel das Dorf Oberesch im Saarland.

Von Tonja Koch | 07.11.2018
    Der Ortsvorsteher von Oberesch, Michael Engel, am Dienstag (18.9.2018) in der Landespressekonferenz Saar in der Staatskanzlei in Saarbrücken.
    Der Ortsvorsteher von Oberesch, Michael Engel. (imago/Becker&Bredel)
    Noch zwei Landwirte bestellen die Felder. In der Hauptstraße steht vor fast jedem Haus eine Bank, die zum Verweilen einlädt. Die Walnussbäume tragen reiche Ernte und der Spielplatz am Ende einer Nebenstraße ist in tadellosem Zustand. Es ist ein dörfliches Idyll, dem nur eines fehlt: Infrastruktur.
    "Wir haben keinen Laden, wir haben keine Wirtschaft, bei uns kommt alles ins Dorf, da kommt der Metzger, da kommt der Bäcker, da kommt alles."
    Fliegende Händler in schicken Verkaufswägen stünden mehrmals die Woche auch vor ihrer Tür, sagt Mathilde. Die Grundversorgung werde durch die mobilen Dienste gewährleistet findet die 81-jährige. Sie trifft sich mit einer Reihe gleichaltriger Damen zum Nachmittagscafé im Gemeindehaus. Die Runde ist zu Scherzen aufgelegt.
    Das Dorf der Alten
    "Es sind alles Witwen und Waisen hier, die haben alle die Männer beizeiten unter die Erde gebracht. Sie haben die Pilze gegessen…"
    Brigitte lebt seit Jahrzehnten in Oberesch, aber noch immer, sagt sie schmunzelnd, zähle sie nicht zum alten Landadel dazu. Nur weg wolle sie hier auf gar keinen Fall. Lotte nickt.
    "Ich wollte nur sagen, dass es in Oberesch schön ist. Ich wollte auch nicht sonst wo leben."
    Trotzdem, ein Tante-Emma-Laden, das wäre schön, da sind sich die Damen einig. Aber Ortsvorsteher Michael Engel ist skeptisch.
    "Da haben wir auch Pläne für, aber seien wir ehrlich, ohne Förderung ohne Miete, ist es kaum tragbar."
    Geld für Investitionen fehlt
    Als Ortsvorsteher einer Gemeinde mit gerade einmal 319 Einwohnern, hat er pro Jahr 1500 Euro zur Verfügung, die er investieren kann. Damit lässt sich nicht viel ausrichten. Aber Engel, 45 Jahre, die blonden Haare zum Zopf zusammen gebunden, kann auf seine Vereine zählen. Er kommt mit Andreas ins Gespräch, dem Vereinsvorsitzenden für dörfliche Kultur.
    "Du, ich komme in die nächste Sitzung, Samstag?
    Neue Projekte sollen besprochen werden, freut sich der Ortsvorsteher.
    "Alle reden von sozialen Netzwerken im Internet, wir haben ein reales. Die Vereine sind miteinander vernetzt, wir haben 15 Vereine im Ort, alle aktiv und die Vereine haben in den letzten drei Jahren rund 70.000 Euro hier in den Ort investiert. Sei es in die Infrastruktur auf dem Spielplatz, die Feuerwehr kriegt die Führerschien bezahlt, damit sie das Feuerwehrauto fahren können oder der Dorfplatz wurde saniert."
    Engagement der Bürgerinnen und Bürger
    In den vergangen 10 Jahren ist ein Drittel der Einwohner in Oberesch zugewandert. Dadurch hat sich die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung verbessert. Für einen Kindergarten oder eine Schule reicht das allerdings nicht. Die Kleinsten müssen also mit dem Shuttle-Bus in den Nachbarort. Auf den Bus angewiesen sind auch die älteren Menschen, die selbst nicht mehr Auto fahren möchten und die jungen Leute, die keinen Führerschein besitzen. Stündlich verkehrten während der Woche Busse in die 25 Kilometer entfernte Stadt, sagt Engel mit einem gewissen Stolz.
    "Was ich gegenüber anderen Regionen schon wirklich als Vorteil empfinde. Es wird ab Januar ausgebaut, dann ist das auch Sonntag der Fall. Und der letzte Bus fährt abends zurück um 23 Uhr. Das ist für Jugendliche noch nicht die ideale Zeit, aber es gewährt schon mal einen Transfer hin und her."
    Freuen dürfen sich alle im Ort darüber, dass die Telekom vor ein paar Wochen Glasfaserkabel verlegt hat und Oberesch ans schnelle Internet angebunden hat. Das werde die Zukunft des Dorfes sichern, ist der Ortsvorsteher überzeugt.
    "Für meine Generation wird es nicht mehr so schwer in Sachen Mobilität, beziehungsweise in Sachen Infrastruktur, weil wir damit aufwachsen, uns Dinge im Netz zu besorgen. Also wir haben keine Bank im Ort sondern wir haben eine Online-Bank. Wir bestellen Lebensmittel gegebenenfalls online. Ich glaube, für die Generation 30-40 wird das Problem Bankgeschäfte, Post, später nicht das Problem sein. Wo ist der nächste Arzt, wie kann ich hier im Ort bleiben, das ist die große Herausforderung, die Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass ich hier eben alt werden kann und nicht dann in die Stadt muss."
    Aber dafür hat auch Engel noch keine Lösung.